Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

den Worten Paulus an Timotheus: Nemo adolescentiam
tuam contemnat
. Kein Wort, keine Mine, keine Be-
wegung der Hand gebe Anlass, deiner Jugend zu spot-
ten. Bescheidenheit ist überall die erste Empfehlung des
jungen Mannes, also auch des jungen Predigers. Und
gewisse Belehrungen fodern schlechtweg ein bärtig
Kinn
, um mit Würde vorgetragen zu werden.

Das anerkannte Verdienst eines Predigers um
seine Gemeine, und zugleich der ausgebreitete Glaube,
dass er nie wehe thun, sondern nur segnen, nie das
Fett seiner Herde, sondern nur ihr ewiges Wohlseyn
suche, nie unerträgliche Lasten, sondern nur die leichte
Bürde
Jesu auf die Schultern legen wolle; und erst
nachdem er dieselbe auf seinen eignen schon vorausge-
tragen hat; und besonders das leuchtende Beyspiel seines
untadelichen Wandels, geben ihm ein eignes Recht, die
herrschenden Laster mit einem freymüthigen Mitleiden
zu strafen, und dem einreissenden Verderben einen
Damm entgegenzusetzen.

Die Fassung des Gemüthes, in der sich der Pre-
diger wirklich befindet, hat offenbar den nächsten Ein-
fluss auf seinen Vortrag; und wer gegen diese seine
Fassung spricht, schwimmt gegen den Strom, wer
aber aus dieser Fassung spricht, wird getragen von der
Fülle des Herzens, und kommt schnell zum Ziele.
Er wird, z. B. nie eindringender von der Liebe gegen
Gott reden, als wenn sein Herz davon überfliesset,
und diese Empfindung durch Begebenheiten, Schick-
sale, Zeiten, auf einen höhern Grad gespannt worden.

Er

den Worten Paulus an Timotheus: Nemo adoleſcentiam
tuam contemnat
. Kein Wort, keine Mine, keine Be-
wegung der Hand gebe Anlaſs, deiner Jugend zu ſpot-
ten. Beſcheidenheit iſt überall die erſte Empfehlung des
jungen Mannes, alſo auch des jungen Predigers. Und
gewiſſe Belehrungen fodern ſchlechtweg ein bärtig
Kinn
, um mit Würde vorgetragen zu werden.

Das anerkannte Verdienſt eines Predigers um
ſeine Gemeine, und zugleich der ausgebreitete Glaube,
daſs er nie wehe thun, ſondern nur ſegnen, nie das
Fett ſeiner Herde, ſondern nur ihr ewiges Wohlſeyn
ſuche, nie unerträgliche Laſten, ſondern nur die leichte
Bürde
Jeſu auf die Schultern legen wolle; und erſt
nachdem er dieſelbe auf ſeinen eignen ſchon vorausge-
tragen hat; und beſonders das leuchtende Beyſpiel ſeines
untadelichen Wandels, geben ihm ein eignes Recht, die
herrſchenden Laſter mit einem freymüthigen Mitleiden
zu ſtrafen, und dem einreiſſenden Verderben einen
Damm entgegenzuſetzen.

Die Faſſung des Gemüthes, in der ſich der Pre-
diger wirklich befindet, hat offenbar den nächſten Ein-
fluſs auf ſeinen Vortrag; und wer gegen dieſe ſeine
Faſſung ſpricht, ſchwimmt gegen den Strom, wer
aber aus dieſer Faſſung ſpricht, wird getragen von der
Fülle des Herzens, und kommt ſchnell zum Ziele.
Er wird, z. B. nie eindringender von der Liebe gegen
Gott reden, als wenn ſein Herz davon überflieſset,
und dieſe Empfindung durch Begebenheiten, Schick-
ſale, Zeiten, auf einen höhern Grad geſpannt worden.

Er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="45"/>
den Worten Paulus an Timotheus: <hi rendition="#i">Nemo adole&#x017F;centiam<lb/>
tuam contemnat</hi>. Kein Wort, keine Mine, keine Be-<lb/>
wegung der Hand gebe Anla&#x017F;s, deiner Jugend zu &#x017F;pot-<lb/>
ten. <hi rendition="#i">Be&#x017F;cheidenheit</hi> i&#x017F;t überall die er&#x017F;te Empfehlung des<lb/>
jungen Mannes, al&#x017F;o auch des jungen Predigers. Und<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Belehrungen fodern &#x017F;chlechtweg ein <hi rendition="#i">bärtig<lb/>
Kinn</hi>, um mit Würde vorgetragen zu werden.</p><lb/>
          <p>Das <hi rendition="#i">anerkannte Verdien&#x017F;t</hi> eines Predigers um<lb/>
&#x017F;eine Gemeine, und zugleich der ausgebreitete Glaube,<lb/>
da&#x017F;s er nie wehe thun, &#x017F;ondern nur &#x017F;egnen, nie das<lb/>
Fett &#x017F;einer Herde, &#x017F;ondern nur ihr ewiges Wohl&#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;uche, nie unerträgliche La&#x017F;ten, &#x017F;ondern nur die <hi rendition="#i">leichte<lb/>
Bürde</hi> Je&#x017F;u auf die Schultern legen wolle; und er&#x017F;t<lb/>
nachdem er die&#x017F;elbe auf &#x017F;einen eignen &#x017F;chon vorausge-<lb/>
tragen hat; und be&#x017F;onders das <hi rendition="#i">leuchtende Bey&#x017F;piel</hi> &#x017F;eines<lb/>
untadelichen Wandels, geben ihm ein <hi rendition="#i">eignes Recht</hi>, die<lb/>
herr&#x017F;chenden La&#x017F;ter mit einem freymüthigen Mitleiden<lb/>
zu &#x017F;trafen, und dem einrei&#x017F;&#x017F;enden Verderben einen<lb/>
Damm entgegenzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#i">Fa&#x017F;&#x017F;ung des Gemüthes</hi>, in der &#x017F;ich der Pre-<lb/>
diger wirklich befindet, hat offenbar den <hi rendition="#i">näch&#x017F;ten</hi> Ein-<lb/>
flu&#x017F;s auf &#x017F;einen Vortrag; und wer gegen die&#x017F;e &#x017F;eine<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;pricht, &#x017F;chwimmt gegen den Strom, wer<lb/>
aber aus die&#x017F;er Fa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;pricht, wird getragen von der<lb/>
Fülle des Herzens, und kommt &#x017F;chnell zum Ziele.<lb/>
Er wird, z. B. nie <hi rendition="#i">eindringender</hi> von der Liebe gegen<lb/>
Gott reden, als wenn &#x017F;ein Herz davon überflie&#x017F;set,<lb/>
und die&#x017F;e Empfindung durch Begebenheiten, Schick-<lb/>
&#x017F;ale, Zeiten, auf einen höhern Grad ge&#x017F;pannt worden.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0059] den Worten Paulus an Timotheus: Nemo adoleſcentiam tuam contemnat. Kein Wort, keine Mine, keine Be- wegung der Hand gebe Anlaſs, deiner Jugend zu ſpot- ten. Beſcheidenheit iſt überall die erſte Empfehlung des jungen Mannes, alſo auch des jungen Predigers. Und gewiſſe Belehrungen fodern ſchlechtweg ein bärtig Kinn, um mit Würde vorgetragen zu werden. Das anerkannte Verdienſt eines Predigers um ſeine Gemeine, und zugleich der ausgebreitete Glaube, daſs er nie wehe thun, ſondern nur ſegnen, nie das Fett ſeiner Herde, ſondern nur ihr ewiges Wohlſeyn ſuche, nie unerträgliche Laſten, ſondern nur die leichte Bürde Jeſu auf die Schultern legen wolle; und erſt nachdem er dieſelbe auf ſeinen eignen ſchon vorausge- tragen hat; und beſonders das leuchtende Beyſpiel ſeines untadelichen Wandels, geben ihm ein eignes Recht, die herrſchenden Laſter mit einem freymüthigen Mitleiden zu ſtrafen, und dem einreiſſenden Verderben einen Damm entgegenzuſetzen. Die Faſſung des Gemüthes, in der ſich der Pre- diger wirklich befindet, hat offenbar den nächſten Ein- fluſs auf ſeinen Vortrag; und wer gegen dieſe ſeine Faſſung ſpricht, ſchwimmt gegen den Strom, wer aber aus dieſer Faſſung ſpricht, wird getragen von der Fülle des Herzens, und kommt ſchnell zum Ziele. Er wird, z. B. nie eindringender von der Liebe gegen Gott reden, als wenn ſein Herz davon überflieſset, und dieſe Empfindung durch Begebenheiten, Schick- ſale, Zeiten, auf einen höhern Grad geſpannt worden. Er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/59
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/59>, abgerufen am 21.11.2024.