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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Zweyter Abschnitt.
sucht werden. Denn er ist beydes zugleich,
lasterhaft und unglücklich, unglücklich und
ohne den Stral einer Hofnung, und er
wird, wenn ihm nicht die Religion den
Muth stützt, bald auch äußerst schwermü-
thig werden müssen. Also Schwermuth,
Elend, böses Gewissen, Hofnungslosigkeit --
alles menschliche Leiden vereinigt sich in dem
Schicksale dieses Verbrechers. Und dennoch
kann er dieß sein fürchterliches Schicksal,
die Abgeschiedenheit von den übrigen Men-
schen, das Bewußtseyn seiner Greuelthat,
die Fessel am Beine, das ewige Mitter-
nachtdunkel seiner Gruft, das Vergessen-
oder Verfluchtseyn von seinen Freunden --
alles Leiden kann er zur Quelle des Segens
für sich machen, wenn er nur will; kann
im Dunkeln des Kerkers durch ungestörtes
Nachdenken lernen, was er im Anblicke und
Genusse der freyen, von Gottes Sonne be-
leuchteten Welt nicht gelernet hatte; kann
in dem Zustande der tiefesten Niedrigkeit,
das Nichts aller irdischen Hoheit fühlen, das
er auf dem Gipfel der Ehre wohl nie ge-
fühlet hatte; kann an der sparsamen Misse-

thäter-

Zweyter Abſchnitt.
ſucht werden. Denn er iſt beydes zugleich,
laſterhaft und ungluͤcklich, ungluͤcklich und
ohne den Stral einer Hofnung, und er
wird, wenn ihm nicht die Religion den
Muth ſtuͤtzt, bald auch aͤußerſt ſchwermuͤ-
thig werden muͤſſen. Alſo Schwermuth,
Elend, boͤſes Gewiſſen, Hofnungsloſigkeit —
alles menſchliche Leiden vereinigt ſich in dem
Schickſale dieſes Verbrechers. Und dennoch
kann er dieß ſein fuͤrchterliches Schickſal,
die Abgeſchiedenheit von den uͤbrigen Men-
ſchen, das Bewußtſeyn ſeiner Greuelthat,
die Feſſel am Beine, das ewige Mitter-
nachtdunkel ſeiner Gruft, das Vergeſſen-
oder Verfluchtſeyn von ſeinen Freunden —
alles Leiden kann er zur Quelle des Segens
fuͤr ſich machen, wenn er nur will; kann
im Dunkeln des Kerkers durch ungeſtoͤrtes
Nachdenken lernen, was er im Anblicke und
Genuſſe der freyen, von Gottes Sonne be-
leuchteten Welt nicht gelernet hatte; kann
in dem Zuſtande der tiefeſten Niedrigkeit,
das Nichts aller irdiſchen Hoheit fuͤhlen, das
er auf dem Gipfel der Ehre wohl nie ge-
fuͤhlet hatte; kann an der ſparſamen Miſſe-

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[120/0132] Zweyter Abſchnitt. ſucht werden. Denn er iſt beydes zugleich, laſterhaft und ungluͤcklich, ungluͤcklich und ohne den Stral einer Hofnung, und er wird, wenn ihm nicht die Religion den Muth ſtuͤtzt, bald auch aͤußerſt ſchwermuͤ- thig werden muͤſſen. Alſo Schwermuth, Elend, boͤſes Gewiſſen, Hofnungsloſigkeit — alles menſchliche Leiden vereinigt ſich in dem Schickſale dieſes Verbrechers. Und dennoch kann er dieß ſein fuͤrchterliches Schickſal, die Abgeſchiedenheit von den uͤbrigen Men- ſchen, das Bewußtſeyn ſeiner Greuelthat, die Feſſel am Beine, das ewige Mitter- nachtdunkel ſeiner Gruft, das Vergeſſen- oder Verfluchtſeyn von ſeinen Freunden — alles Leiden kann er zur Quelle des Segens fuͤr ſich machen, wenn er nur will; kann im Dunkeln des Kerkers durch ungeſtoͤrtes Nachdenken lernen, was er im Anblicke und Genuſſe der freyen, von Gottes Sonne be- leuchteten Welt nicht gelernet hatte; kann in dem Zuſtande der tiefeſten Niedrigkeit, das Nichts aller irdiſchen Hoheit fuͤhlen, das er auf dem Gipfel der Ehre wohl nie ge- fuͤhlet hatte; kann an der ſparſamen Miſſe- thaͤter-

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/132>, abgerufen am 21.11.2024.