Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Dritter Abschnitt.

Aus dieser dreyfachen Bemerkung soll
sich der Vernünftige drey heilsame War-
nungen herausfolgern:

1. Wenn jede Leidenschaft einer Größe
fähig ist, die mich zum Selbstmör-
der machen kann: so will ich keiner
Leidenschaft trauen, so wenig ich ei-
nen bekannten Strassenmörder mir
zum Reisegefährten wählen möchte.
2. Wenn jede Leidenschaft, die ihr Ma-
ximum erreicht, einmal ihr Mini-
mum gehabt haben muß: so will ich
mir's zur Pflicht machen, das Mi-
nimum irgend einer Leidenschaft, wie
ihr Maximum zu verabscheuen. Alle
Selbstmörder rufen uns von der
Ewigkeit herüber: principiis obsta,
sero medicina paratur, cum mala
per longas invaluere moras.
Wohl dem, der sich von dieser Stim-
me warnen läßt!
3. Wenn die Uebergänge von der unter-
sten Stufe der Leidenschaft zur hö-
hern so schnell, und unmerkbar ge-
schehen:
Dritter Abſchnitt.

Aus dieſer dreyfachen Bemerkung ſoll
ſich der Vernuͤnftige drey heilſame War-
nungen herausfolgern:

1. Wenn jede Leidenſchaft einer Groͤße
faͤhig iſt, die mich zum Selbſtmoͤr-
der machen kann: ſo will ich keiner
Leidenſchaft trauen, ſo wenig ich ei-
nen bekannten Straſſenmoͤrder mir
zum Reiſegefaͤhrten waͤhlen moͤchte.
2. Wenn jede Leidenſchaft, die ihr Ma-
ximum erreicht, einmal ihr Mini-
mum gehabt haben muß: ſo will ich
mir’s zur Pflicht machen, das Mi-
nimum irgend einer Leidenſchaft, wie
ihr Maximum zu verabſcheuen. Alle
Selbſtmoͤrder rufen uns von der
Ewigkeit heruͤber: principiis obſta,
ſero medicina paratur, cum mala
per longas invaluere moras.
Wohl dem, der ſich von dieſer Stim-
me warnen laͤßt!
3. Wenn die Uebergaͤnge von der unter-
ſten Stufe der Leidenſchaft zur hoͤ-
hern ſo ſchnell, und unmerkbar ge-
ſchehen:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0228" n="216"/>
        <fw place="top" type="header">Dritter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
        <p>Aus die&#x017F;er dreyfachen Bemerkung &#x017F;oll<lb/>
&#x017F;ich der Vernu&#x0364;nftige drey heil&#x017F;ame War-<lb/>
nungen herausfolgern:</p><lb/>
        <list>
          <item>1. Wenn jede Leiden&#x017F;chaft einer <hi rendition="#fr">Gro&#x0364;ße</hi><lb/>
fa&#x0364;hig i&#x017F;t, die mich zum Selb&#x017F;tmo&#x0364;r-<lb/>
der machen kann: &#x017F;o will ich keiner<lb/>
Leiden&#x017F;chaft trauen, &#x017F;o wenig ich ei-<lb/>
nen bekannten Stra&#x017F;&#x017F;enmo&#x0364;rder mir<lb/>
zum Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten wa&#x0364;hlen mo&#x0364;chte.</item><lb/>
          <item>2. Wenn jede Leiden&#x017F;chaft, die ihr <hi rendition="#aq">Ma-<lb/>
ximum</hi> erreicht, einmal ihr <hi rendition="#aq">Mini-<lb/>
mum</hi> gehabt haben muß: &#x017F;o will ich<lb/>
mir&#x2019;s zur Pflicht machen, das <hi rendition="#aq">Mi-<lb/>
nimum</hi> irgend einer Leiden&#x017F;chaft, wie<lb/>
ihr <hi rendition="#aq">Maximum</hi> zu verab&#x017F;cheuen. Alle<lb/>
Selb&#x017F;tmo&#x0364;rder rufen uns von der<lb/>
Ewigkeit heru&#x0364;ber: <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">principiis ob&#x017F;ta,<lb/>
&#x017F;ero medicina paratur, cum mala<lb/>
per longas invaluere moras.</hi></hi><lb/>
Wohl dem, der &#x017F;ich von die&#x017F;er Stim-<lb/>
me warnen la&#x0364;ßt!</item><lb/>
          <item>3. Wenn die Ueberga&#x0364;nge von der unter-<lb/>
&#x017F;ten Stufe der Leiden&#x017F;chaft zur ho&#x0364;-<lb/>
hern &#x017F;o &#x017F;chnell, und unmerkbar ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chehen:</fw><lb/></item>
        </list>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] Dritter Abſchnitt. Aus dieſer dreyfachen Bemerkung ſoll ſich der Vernuͤnftige drey heilſame War- nungen herausfolgern: 1. Wenn jede Leidenſchaft einer Groͤße faͤhig iſt, die mich zum Selbſtmoͤr- der machen kann: ſo will ich keiner Leidenſchaft trauen, ſo wenig ich ei- nen bekannten Straſſenmoͤrder mir zum Reiſegefaͤhrten waͤhlen moͤchte. 2. Wenn jede Leidenſchaft, die ihr Ma- ximum erreicht, einmal ihr Mini- mum gehabt haben muß: ſo will ich mir’s zur Pflicht machen, das Mi- nimum irgend einer Leidenſchaft, wie ihr Maximum zu verabſcheuen. Alle Selbſtmoͤrder rufen uns von der Ewigkeit heruͤber: principiis obſta, ſero medicina paratur, cum mala per longas invaluere moras. Wohl dem, der ſich von dieſer Stim- me warnen laͤßt! 3. Wenn die Uebergaͤnge von der unter- ſten Stufe der Leidenſchaft zur hoͤ- hern ſo ſchnell, und unmerkbar ge- ſchehen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/228
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/228>, abgerufen am 21.11.2024.