schnur. Zunächst war eine elektrische Erregung nicht zu spüren. Später aber durchnäßte der Regen die Hanfschnur und machte sie so besser leitend. Da ließen sich dem Schlüssel Funken entziehen, und damit war Franklins Vermutung über die Natur der Gewitter bestätigt. Seine Versuche gaben ihm gleichzeitig einen Wink, wie er den Schaden der Blitze bekämpfen könnte. In erster Linie handelte es sich darum, das Zustandekommen des gewaltigen Ausgleichs überhaupt möglichst zu verhindern, in zweiter darum, dem Blitzschlage eine passende Bahn zu weisen. Wollte man den Ausgleich schwächer machen, so war das naheliegende Mittel die Aufstellung einer mit der Erde in leitender Verbindung stehenden Spitze gegenüber der Gewitterwolke. Jede auf- rechte, oben zugespitzte Metallstange muß ja die Elektrizität vorbei- ziehender Wolken schwächen und damit einen Blitzschlag, der trotzdem noch erfolgt, viel weniger heftig machen, als er sonst werden würde. Eine solche Metallstange ist auch der geeigneteste Weg für den Aus- gleich, wenn er doch heftig erfolgen sollte. Offenbar wird sich die Elektrizität, wenn sie die Wahl für ihren Weg hat, den besten ihr zur Verfügung stehenden Leiter, in diesem Falle die Metallstange, aus- suchen, und dadurch sind dann alle umgebenden Gegenstände gegen die Gefahr des Einschlagens geschützt. Diese Idee hat Franklin zuerst in einem vom 29. Juli 1750 datierten Briefe an Collinson entwickelt, der aber -- wie er angiebt -- bereits 1749 verfaßt ist. Dies wäre also das Erfindungsjahr des Blitzableiters.
Wir würden fürchten, ungerecht gegen einen Anderen zu sein, wenn wir nicht auch der durchaus selbstständigen Erfindung des Blitzschutzes durch den Pfarrer Prokop Divisch zu Brenditz in Mähren gedächten. Bei Gelegenheit eines Besuches in Wien machte er die Elektrisirmaschine des gelehrten Jesuitenpaters Franz durch eine Anzahl von Spitzen unwirksam, die er in seiner Perrücke verborgen hielt. Die Elektrizität vermochte sich nicht zu sammeln, weil sie mit Hilfe der Spitzen durch den Körper des Pfarrers mit der Erde ausgeglichen wurde. Das war im Jahre 1750, und zwei Jahre später vollendete Divisch eine "meteorologische Maschine", die durch die Wirkung vieler Spitzen mehr bestimmt war, einen ruhigen Ausgleich der Elektrizität herbeizuführen, denn als Blitzableiter zu dienen. Divisch fand nicht die Anerkennung, wie der berühmte Amerikaner, obgleich aus sicheren Nachrichten hervorgeht, daß seine Maschine zur Abwendung der Blitzgefahr in seiner Pfarre wesentlich beigetragen hat. Franklins Blitzableiter fanden zuerst zwar lang- same, dann aber immer raschere Verbreitung, und wenn sie auch im einzelnen manche Veränderung erfuhren, so ist die Gestalt, die ihnen Franklin gegeben hat, noch heute erhalten. Wie wichtig die Erfindung ist, wie ihre Bedeutung sogar von Jahr zu Jahr wächst, das mag daraus entnommen werden, daß die Blitzgefahr selbst alljährlich zu- nimmt, und zwar in dem Maße, daß die Zahl der Brandfälle durch Blitz in Bayern sich nach v. Bezold in 50 Jahren vervierfacht hat. Über-
Das Buch der Erfindungen. 9
Die Erfindung des Blitzableiters.
ſchnur. Zunächſt war eine elektriſche Erregung nicht zu ſpüren. Später aber durchnäßte der Regen die Hanfſchnur und machte ſie ſo beſſer leitend. Da ließen ſich dem Schlüſſel Funken entziehen, und damit war Franklins Vermutung über die Natur der Gewitter beſtätigt. Seine Verſuche gaben ihm gleichzeitig einen Wink, wie er den Schaden der Blitze bekämpfen könnte. In erſter Linie handelte es ſich darum, das Zuſtandekommen des gewaltigen Ausgleichs überhaupt möglichſt zu verhindern, in zweiter darum, dem Blitzſchlage eine paſſende Bahn zu weiſen. Wollte man den Ausgleich ſchwächer machen, ſo war das naheliegende Mittel die Aufſtellung einer mit der Erde in leitender Verbindung ſtehenden Spitze gegenüber der Gewitterwolke. Jede auf- rechte, oben zugeſpitzte Metallſtange muß ja die Elektrizität vorbei- ziehender Wolken ſchwächen und damit einen Blitzſchlag, der trotzdem noch erfolgt, viel weniger heftig machen, als er ſonſt werden würde. Eine ſolche Metallſtange iſt auch der geeigneteſte Weg für den Aus- gleich, wenn er doch heftig erfolgen ſollte. Offenbar wird ſich die Elektrizität, wenn ſie die Wahl für ihren Weg hat, den beſten ihr zur Verfügung ſtehenden Leiter, in dieſem Falle die Metallſtange, aus- ſuchen, und dadurch ſind dann alle umgebenden Gegenſtände gegen die Gefahr des Einſchlagens geſchützt. Dieſe Idee hat Franklin zuerſt in einem vom 29. Juli 1750 datierten Briefe an Collinſon entwickelt, der aber — wie er angiebt — bereits 1749 verfaßt iſt. Dies wäre alſo das Erfindungsjahr des Blitzableiters.
Wir würden fürchten, ungerecht gegen einen Anderen zu ſein, wenn wir nicht auch der durchaus ſelbſtſtändigen Erfindung des Blitzſchutzes durch den Pfarrer Prokop Diviſch zu Brenditz in Mähren gedächten. Bei Gelegenheit eines Beſuches in Wien machte er die Elektriſirmaſchine des gelehrten Jeſuitenpaters Franz durch eine Anzahl von Spitzen unwirkſam, die er in ſeiner Perrücke verborgen hielt. Die Elektrizität vermochte ſich nicht zu ſammeln, weil ſie mit Hilfe der Spitzen durch den Körper des Pfarrers mit der Erde ausgeglichen wurde. Das war im Jahre 1750, und zwei Jahre ſpäter vollendete Diviſch eine „meteorologiſche Maſchine“, die durch die Wirkung vieler Spitzen mehr beſtimmt war, einen ruhigen Ausgleich der Elektrizität herbeizuführen, denn als Blitzableiter zu dienen. Diviſch fand nicht die Anerkennung, wie der berühmte Amerikaner, obgleich aus ſicheren Nachrichten hervorgeht, daß ſeine Maſchine zur Abwendung der Blitzgefahr in ſeiner Pfarre weſentlich beigetragen hat. Franklins Blitzableiter fanden zuerſt zwar lang- ſame, dann aber immer raſchere Verbreitung, und wenn ſie auch im einzelnen manche Veränderung erfuhren, ſo iſt die Geſtalt, die ihnen Franklin gegeben hat, noch heute erhalten. Wie wichtig die Erfindung iſt, wie ihre Bedeutung ſogar von Jahr zu Jahr wächſt, das mag daraus entnommen werden, daß die Blitzgefahr ſelbſt alljährlich zu- nimmt, und zwar in dem Maße, daß die Zahl der Brandfälle durch Blitz in Bayern ſich nach v. Bezold in 50 Jahren vervierfacht hat. Über-
Das Buch der Erfindungen. 9
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0147"n="129"/><fwplace="top"type="header">Die Erfindung des Blitzableiters.</fw><lb/>ſchnur. Zunächſt war eine elektriſche Erregung nicht zu ſpüren. Später<lb/>
aber durchnäßte der Regen die Hanfſchnur und machte ſie ſo beſſer<lb/>
leitend. Da ließen ſich dem Schlüſſel Funken entziehen, und damit<lb/>
war Franklins Vermutung über die Natur der Gewitter beſtätigt.<lb/>
Seine Verſuche gaben ihm gleichzeitig einen Wink, wie er den Schaden<lb/>
der Blitze bekämpfen könnte. In erſter Linie handelte es ſich darum,<lb/>
das Zuſtandekommen des gewaltigen Ausgleichs überhaupt möglichſt<lb/>
zu verhindern, in zweiter darum, dem Blitzſchlage eine paſſende Bahn<lb/>
zu weiſen. Wollte man den Ausgleich ſchwächer machen, ſo war das<lb/>
naheliegende Mittel die Aufſtellung einer mit der Erde in leitender<lb/>
Verbindung ſtehenden Spitze gegenüber der Gewitterwolke. Jede auf-<lb/>
rechte, oben zugeſpitzte Metallſtange muß ja die Elektrizität vorbei-<lb/>
ziehender Wolken ſchwächen und damit einen Blitzſchlag, der trotzdem<lb/>
noch erfolgt, viel weniger heftig machen, als er ſonſt werden würde.<lb/>
Eine ſolche Metallſtange iſt auch der geeigneteſte Weg für den Aus-<lb/>
gleich, wenn er doch heftig erfolgen ſollte. Offenbar wird ſich die<lb/>
Elektrizität, wenn ſie die Wahl für ihren Weg hat, den beſten ihr zur<lb/>
Verfügung ſtehenden Leiter, in dieſem Falle die Metallſtange, aus-<lb/>ſuchen, und dadurch ſind dann alle umgebenden Gegenſtände gegen die<lb/>
Gefahr des Einſchlagens geſchützt. Dieſe Idee hat Franklin zuerſt in<lb/>
einem vom 29. Juli 1750 datierten Briefe an Collinſon entwickelt, der<lb/>
aber — wie er angiebt — bereits 1749 verfaßt iſt. Dies wäre alſo<lb/>
das Erfindungsjahr des Blitzableiters.</p><lb/><p>Wir würden fürchten, ungerecht gegen einen Anderen zu ſein, wenn<lb/>
wir nicht auch der durchaus ſelbſtſtändigen Erfindung des Blitzſchutzes<lb/>
durch den Pfarrer Prokop Diviſch zu Brenditz in Mähren gedächten. Bei<lb/>
Gelegenheit eines Beſuches in Wien machte er die Elektriſirmaſchine des<lb/>
gelehrten Jeſuitenpaters Franz durch eine Anzahl von Spitzen unwirkſam,<lb/>
die er in ſeiner Perrücke verborgen hielt. Die Elektrizität vermochte ſich<lb/>
nicht zu ſammeln, weil ſie mit Hilfe der Spitzen durch den Körper des<lb/>
Pfarrers mit der Erde ausgeglichen wurde. Das war im Jahre 1750,<lb/>
und zwei Jahre ſpäter vollendete Diviſch eine „meteorologiſche Maſchine“,<lb/>
die durch die Wirkung vieler Spitzen mehr beſtimmt war, einen<lb/>
ruhigen Ausgleich der Elektrizität herbeizuführen, denn als Blitzableiter<lb/>
zu dienen. Diviſch fand nicht die Anerkennung, wie der berühmte<lb/>
Amerikaner, obgleich aus ſicheren Nachrichten hervorgeht, daß ſeine<lb/>
Maſchine zur Abwendung der Blitzgefahr in ſeiner Pfarre weſentlich<lb/>
beigetragen hat. Franklins Blitzableiter fanden zuerſt zwar lang-<lb/>ſame, dann aber immer raſchere Verbreitung, und wenn ſie auch im<lb/>
einzelnen manche Veränderung erfuhren, ſo iſt die Geſtalt, die ihnen<lb/>
Franklin gegeben hat, noch heute erhalten. Wie wichtig die Erfindung<lb/>
iſt, wie ihre Bedeutung ſogar von Jahr zu Jahr wächſt, das mag<lb/>
daraus entnommen werden, daß die Blitzgefahr ſelbſt alljährlich zu-<lb/>
nimmt, und zwar in dem Maße, daß die Zahl der Brandfälle durch<lb/>
Blitz in Bayern ſich nach v. Bezold in 50 Jahren vervierfacht hat. Über-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Das Buch der Erfindungen. 9</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[129/0147]
Die Erfindung des Blitzableiters.
ſchnur. Zunächſt war eine elektriſche Erregung nicht zu ſpüren. Später
aber durchnäßte der Regen die Hanfſchnur und machte ſie ſo beſſer
leitend. Da ließen ſich dem Schlüſſel Funken entziehen, und damit
war Franklins Vermutung über die Natur der Gewitter beſtätigt.
Seine Verſuche gaben ihm gleichzeitig einen Wink, wie er den Schaden
der Blitze bekämpfen könnte. In erſter Linie handelte es ſich darum,
das Zuſtandekommen des gewaltigen Ausgleichs überhaupt möglichſt
zu verhindern, in zweiter darum, dem Blitzſchlage eine paſſende Bahn
zu weiſen. Wollte man den Ausgleich ſchwächer machen, ſo war das
naheliegende Mittel die Aufſtellung einer mit der Erde in leitender
Verbindung ſtehenden Spitze gegenüber der Gewitterwolke. Jede auf-
rechte, oben zugeſpitzte Metallſtange muß ja die Elektrizität vorbei-
ziehender Wolken ſchwächen und damit einen Blitzſchlag, der trotzdem
noch erfolgt, viel weniger heftig machen, als er ſonſt werden würde.
Eine ſolche Metallſtange iſt auch der geeigneteſte Weg für den Aus-
gleich, wenn er doch heftig erfolgen ſollte. Offenbar wird ſich die
Elektrizität, wenn ſie die Wahl für ihren Weg hat, den beſten ihr zur
Verfügung ſtehenden Leiter, in dieſem Falle die Metallſtange, aus-
ſuchen, und dadurch ſind dann alle umgebenden Gegenſtände gegen die
Gefahr des Einſchlagens geſchützt. Dieſe Idee hat Franklin zuerſt in
einem vom 29. Juli 1750 datierten Briefe an Collinſon entwickelt, der
aber — wie er angiebt — bereits 1749 verfaßt iſt. Dies wäre alſo
das Erfindungsjahr des Blitzableiters.
Wir würden fürchten, ungerecht gegen einen Anderen zu ſein, wenn
wir nicht auch der durchaus ſelbſtſtändigen Erfindung des Blitzſchutzes
durch den Pfarrer Prokop Diviſch zu Brenditz in Mähren gedächten. Bei
Gelegenheit eines Beſuches in Wien machte er die Elektriſirmaſchine des
gelehrten Jeſuitenpaters Franz durch eine Anzahl von Spitzen unwirkſam,
die er in ſeiner Perrücke verborgen hielt. Die Elektrizität vermochte ſich
nicht zu ſammeln, weil ſie mit Hilfe der Spitzen durch den Körper des
Pfarrers mit der Erde ausgeglichen wurde. Das war im Jahre 1750,
und zwei Jahre ſpäter vollendete Diviſch eine „meteorologiſche Maſchine“,
die durch die Wirkung vieler Spitzen mehr beſtimmt war, einen
ruhigen Ausgleich der Elektrizität herbeizuführen, denn als Blitzableiter
zu dienen. Diviſch fand nicht die Anerkennung, wie der berühmte
Amerikaner, obgleich aus ſicheren Nachrichten hervorgeht, daß ſeine
Maſchine zur Abwendung der Blitzgefahr in ſeiner Pfarre weſentlich
beigetragen hat. Franklins Blitzableiter fanden zuerſt zwar lang-
ſame, dann aber immer raſchere Verbreitung, und wenn ſie auch im
einzelnen manche Veränderung erfuhren, ſo iſt die Geſtalt, die ihnen
Franklin gegeben hat, noch heute erhalten. Wie wichtig die Erfindung
iſt, wie ihre Bedeutung ſogar von Jahr zu Jahr wächſt, das mag
daraus entnommen werden, daß die Blitzgefahr ſelbſt alljährlich zu-
nimmt, und zwar in dem Maße, daß die Zahl der Brandfälle durch
Blitz in Bayern ſich nach v. Bezold in 50 Jahren vervierfacht hat. Über-
Das Buch der Erfindungen. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/147>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.