der Seide künstlich zu ersetzen, und sind die vielfachen Versuche wirklich mit Erfolg gekrönt worden. Auf der letzten Pariser Aus- stellung von 1889 hat ein Pariser, namens Hilaire de Chardonnet, zuerst ein ihm patentiertes Verfahren der Herstellung künstlicher Seide, die dazu erforderlichen Maschinen mit eingeschlossen, dem Publikum vorgeführt. Sein Verfahren besteht im wesentlichen in der Bereitung einer Lösung von Nitro-Cellulose, welche beim Zusammentreffen mit Wasser sofort gerinnt und eine weiße Masse ausscheidet, die sich in Fäden ziehen läßt. Er verwendet hierzu gereinigte Cellulose, welche aus Holz- stoff, Strohpapierzeug, Baumwolle, Lumpen, Filtrierpapier, Hanf, Ramie oder dergl. hergestellt sein kann und bereitet daraus eine Kollodiumlösung, die er durch feine Kapillarröhrchen unter starkem Drucke in Wasser auspreßt, wodurch sich die Fäden bilden. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß möglicherweise die künstliche Seide für die Textilindustrie von ungewöhnlicher Bedeutung werden kann, namentlich wenn die Schwierigkeit des Färbens in heißem Zu- stande überwunden sein wird, während jetzt der Masse der Farbstoff zugesetzt, sowie auch der Leichtentzündlichkeit durch entsprechende Zusätze begegnet wird. -- Pflanzliche glänzende Fasern zu Fäden zu spinnen und sie als Ersatz für Seide zu verwerten, hat sich bisher nicht be- währt, obgleich viele dahinzielende Vorschläge gemacht worden sind.
Flachs und Hanf haben bereits in den ältesten Zeiten bei vielen Völkern als Gespinstfasermaterial gedient, wie aus den Gräberfunden hervorgeht. Beide gehören zu den sog. Bastfasern und liefert ersteren die Leinpflanze, letzteren die Hanfpflanze. Die reine Bastfaser des Leines oder Flachses ist glatt und besitzt großen seidenartigen Glanz, die- jenige des Hanfes ist ähnlich, nur um vieles gröber und fester. Als weitere Bastfaser kam vor etwa 60 Jahren die Jute hinzu, welche heute eine hochwichtige Rolle spielt. Es ist die Faser eines aus Ostindien herrührenden Lindengewächses. Zuvörderst nur zu ganz groben Fäden versponnen und demgemäß für grobe Waren, wie Säcke, bestimmt, stellt man gegenwärtig feinste Garne aus ihr her, welche sich auch für bessere Waren eignen. -- In jüngerer Zeit sind verschiedene Arten aus der Familie der Nesselgewächse in die Textilindustrie ein- geführt worden. Sie geben ein langes, festes und glänzendes Faser- material. Das Chinagras und die Rhea oder der Ramie sind die wichtigeren unter diesen Arten. Auch unsere deutsche Brennnessel würde eine schöne Bastfaser ergeben, wenn sie an der Verästelung gehindert wird. Das ist jedoch nicht die alleinige Bedingung für die Möglichkeit ihrer praktischen Verwertung, vielmehr muß auch noch die geeignete Isolierungsmethode, d. i. das Verfahren für die Ablösung der reinen Faser vom Stengel gefunden werden. Ein Gleiches gilt für manche andere heute noch nicht brauchbare Bastfaser. Nicht nur die Stengel, sondern auch die Blattrippen mancher Pflanzen liefern ebenfalls Fasern für Gespinste, so der neuseeländische Flachs, der Ananashanf, der
Das Buch der Erfindungen. 22
Geſpinſtfaſern.
der Seide künſtlich zu erſetzen, und ſind die vielfachen Verſuche wirklich mit Erfolg gekrönt worden. Auf der letzten Pariſer Aus- ſtellung von 1889 hat ein Pariſer, namens Hilaire de Chardonnet, zuerſt ein ihm patentiertes Verfahren der Herſtellung künſtlicher Seide, die dazu erforderlichen Maſchinen mit eingeſchloſſen, dem Publikum vorgeführt. Sein Verfahren beſteht im weſentlichen in der Bereitung einer Löſung von Nitro-Celluloſe, welche beim Zuſammentreffen mit Waſſer ſofort gerinnt und eine weiße Maſſe ausſcheidet, die ſich in Fäden ziehen läßt. Er verwendet hierzu gereinigte Celluloſe, welche aus Holz- ſtoff, Strohpapierzeug, Baumwolle, Lumpen, Filtrierpapier, Hanf, Ramie oder dergl. hergeſtellt ſein kann und bereitet daraus eine Kollodiumlöſung, die er durch feine Kapillarröhrchen unter ſtarkem Drucke in Waſſer auspreßt, wodurch ſich die Fäden bilden. Es kann nicht von der Hand gewieſen werden, daß möglicherweiſe die künſtliche Seide für die Textilinduſtrie von ungewöhnlicher Bedeutung werden kann, namentlich wenn die Schwierigkeit des Färbens in heißem Zu- ſtande überwunden ſein wird, während jetzt der Maſſe der Farbſtoff zugeſetzt, ſowie auch der Leichtentzündlichkeit durch entſprechende Zuſätze begegnet wird. — Pflanzliche glänzende Faſern zu Fäden zu ſpinnen und ſie als Erſatz für Seide zu verwerten, hat ſich bisher nicht be- währt, obgleich viele dahinzielende Vorſchläge gemacht worden ſind.
Flachs und Hanf haben bereits in den älteſten Zeiten bei vielen Völkern als Geſpinſtfaſermaterial gedient, wie aus den Gräberfunden hervorgeht. Beide gehören zu den ſog. Baſtfaſern und liefert erſteren die Leinpflanze, letzteren die Hanfpflanze. Die reine Baſtfaſer des Leines oder Flachſes iſt glatt und beſitzt großen ſeidenartigen Glanz, die- jenige des Hanfes iſt ähnlich, nur um vieles gröber und feſter. Als weitere Baſtfaſer kam vor etwa 60 Jahren die Jute hinzu, welche heute eine hochwichtige Rolle ſpielt. Es iſt die Faſer eines aus Oſtindien herrührenden Lindengewächſes. Zuvörderſt nur zu ganz groben Fäden verſponnen und demgemäß für grobe Waren, wie Säcke, beſtimmt, ſtellt man gegenwärtig feinſte Garne aus ihr her, welche ſich auch für beſſere Waren eignen. — In jüngerer Zeit ſind verſchiedene Arten aus der Familie der Neſſelgewächſe in die Textilinduſtrie ein- geführt worden. Sie geben ein langes, feſtes und glänzendes Faſer- material. Das Chinagras und die Rhea oder der Ramie ſind die wichtigeren unter dieſen Arten. Auch unſere deutſche Brennneſſel würde eine ſchöne Baſtfaſer ergeben, wenn ſie an der Veräſtelung gehindert wird. Das iſt jedoch nicht die alleinige Bedingung für die Möglichkeit ihrer praktiſchen Verwertung, vielmehr muß auch noch die geeignete Iſolierungsmethode, d. i. das Verfahren für die Ablöſung der reinen Faſer vom Stengel gefunden werden. Ein Gleiches gilt für manche andere heute noch nicht brauchbare Baſtfaſer. Nicht nur die Stengel, ſondern auch die Blattrippen mancher Pflanzen liefern ebenfalls Faſern für Geſpinſte, ſo der neuſeeländiſche Flachs, der Ananashanf, der
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Geſpinſtfaſern.
der Seide künſtlich zu erſetzen, und ſind die vielfachen Verſuche
wirklich mit Erfolg gekrönt worden. Auf der letzten Pariſer Aus-
ſtellung von 1889 hat ein Pariſer, namens Hilaire de Chardonnet, zuerſt
ein ihm patentiertes Verfahren der Herſtellung künſtlicher Seide, die dazu
erforderlichen Maſchinen mit eingeſchloſſen, dem Publikum vorgeführt.
Sein Verfahren beſteht im weſentlichen in der Bereitung einer
Löſung von Nitro-Celluloſe, welche beim Zuſammentreffen mit Waſſer
ſofort gerinnt und eine weiße Maſſe ausſcheidet, die ſich in Fäden
ziehen läßt. Er verwendet hierzu gereinigte Celluloſe, welche aus Holz-
ſtoff, Strohpapierzeug, Baumwolle, Lumpen, Filtrierpapier, Hanf,
Ramie oder dergl. hergeſtellt ſein kann und bereitet daraus eine
Kollodiumlöſung, die er durch feine Kapillarröhrchen unter ſtarkem
Drucke in Waſſer auspreßt, wodurch ſich die Fäden bilden. Es kann
nicht von der Hand gewieſen werden, daß möglicherweiſe die künſtliche
Seide für die Textilinduſtrie von ungewöhnlicher Bedeutung werden
kann, namentlich wenn die Schwierigkeit des Färbens in heißem Zu-
ſtande überwunden ſein wird, während jetzt der Maſſe der Farbſtoff
zugeſetzt, ſowie auch der Leichtentzündlichkeit durch entſprechende Zuſätze
begegnet wird. — Pflanzliche glänzende Faſern zu Fäden zu ſpinnen
und ſie als Erſatz für Seide zu verwerten, hat ſich bisher nicht be-
währt, obgleich viele dahinzielende Vorſchläge gemacht worden ſind.
Flachs und Hanf haben bereits in den älteſten Zeiten bei vielen
Völkern als Geſpinſtfaſermaterial gedient, wie aus den Gräberfunden
hervorgeht. Beide gehören zu den ſog. Baſtfaſern und liefert erſteren
die Leinpflanze, letzteren die Hanfpflanze. Die reine Baſtfaſer des
Leines oder Flachſes iſt glatt und beſitzt großen ſeidenartigen Glanz, die-
jenige des Hanfes iſt ähnlich, nur um vieles gröber und feſter. Als
weitere Baſtfaſer kam vor etwa 60 Jahren die Jute hinzu, welche
heute eine hochwichtige Rolle ſpielt. Es iſt die Faſer eines aus
Oſtindien herrührenden Lindengewächſes. Zuvörderſt nur zu ganz
groben Fäden verſponnen und demgemäß für grobe Waren, wie Säcke,
beſtimmt, ſtellt man gegenwärtig feinſte Garne aus ihr her, welche ſich
auch für beſſere Waren eignen. — In jüngerer Zeit ſind verſchiedene
Arten aus der Familie der Neſſelgewächſe in die Textilinduſtrie ein-
geführt worden. Sie geben ein langes, feſtes und glänzendes Faſer-
material. Das Chinagras und die Rhea oder der Ramie ſind die
wichtigeren unter dieſen Arten. Auch unſere deutſche Brennneſſel würde
eine ſchöne Baſtfaſer ergeben, wenn ſie an der Veräſtelung gehindert
wird. Das iſt jedoch nicht die alleinige Bedingung für die Möglichkeit
ihrer praktiſchen Verwertung, vielmehr muß auch noch die geeignete
Iſolierungsmethode, d. i. das Verfahren für die Ablöſung der reinen
Faſer vom Stengel gefunden werden. Ein Gleiches gilt für manche
andere heute noch nicht brauchbare Baſtfaſer. Nicht nur die Stengel,
ſondern auch die Blattrippen mancher Pflanzen liefern ebenfalls Faſern
für Geſpinſte, ſo der neuſeeländiſche Flachs, der Ananashanf, der
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/355>, abgerufen am 22.11.2024.
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