Leistungsfähigkeit dem Handweber die Konkurrenz mit dem mechanischen Stuhl möglich machen und so die mehr und mehr verschwindende Hausindustrie retten. Die angestellten Versuche haben jedoch ergeben, daß dieses rühmliche Streben fruchtlos ist, der mechanische Betrieb nun einmal nicht aufhaltbar, und derselbe, wenn er auch manche Schäden nach sich zieht, wie Überproduktion, doch auch seine guten Seiten hat, die vor allem in der Möglichkeit der Beschäftigung einer ungeheuren Anzahl von Menschen und der Leistung von jedermann zugänglichen Ware bestehen.
Das Wirken und Stricken.
Von den Arbeiten, welche zur Erzeugung von Gebrauchsgegen- ständen aus Fäden dienen, ist nächst dem Weben das Wirken die bedeutendste geworden. Weben und Wirken unterscheiden sich wesent- lich von einander. Während durch Weben hergestellte Stoffe stets die beiden rechtwinklig zu einander liegenden Fadensysteme, Kette und Schuß, aufweisen, entsteht ein gewirkter Stoff durch die Verbindung eines einzigen Fadens mit sich selbst durch in einander hängende Maschen, oder auch vieler nur ein System bildender Fäden unter einander gleichfalls durch Maschen. Hiernach unterscheidet man Kulier- ware und Kettenware, je nachdem nämlich nur ein Faden oder deren viele benutzt wurden. Stricken und Häkeln sind dem Wirken bezüglich der Erzeugnisse ähnlich und sind die gestrickten Sachen mit den Kulier- waren, die gehäkelten mehr mit den Kettenwaren zu vergleichen. Man kann annehmen, daß das Stricken mit der Hand älter als das Wirken ist. Schon 1254 soll es in Italien bekannt gewesen sein; 1594 soll es in Deutschland Hosen- und Strumpfstricker gegeben haben. Andere führen das Stricken sogar bis in die Zeit der alten Griechen zurück. Vom Wirken steht ziemlich fest, daß es in England erfunden worden ist, und zwar von William Lee in Cambridge. Dieser betrieb 1589 mit seinem Handkulierstuhl in Calverton bei Nottingham Wirkerei, ging aber zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Frankreich und führte die Wirkerei dort ein, jedoch mit geringem Erfolge. Nach seinem Tode wurde die Wirkerei sowohl in Frankreich, als auch in England weiter geübt, und nach der Flucht der Protestanten 1685 nach Hessen, Thü- ringen, Sachsen und Württemberg verpflanzt. Die Apparate, mit welchen man Kulier- und Kettenwaren darstellte, waren aus Holz ge- baut, und saß der Arbeiter, wie beim Weben, auf einem Brett; des- halb nannte man solche Apparate Wirkstühle, und werden derartige Handwirkstühle, sowohl Kulier- als Kettenstühle heute noch verwendet, obgleich sie mehr und mehr durch mechanische Wirkstühle verdrängt worden sind. Das Prinzip der Kulierstühle ist folgendes: In dem Stuhle liegen dicht neben einander viele der Breite und Feinheit der Ware entsprechende, horizontale Nadeln mit nach vorn umgebogenen
Die Textil-Induſtrie.
Leiſtungsfähigkeit dem Handweber die Konkurrenz mit dem mechaniſchen Stuhl möglich machen und ſo die mehr und mehr verſchwindende Hausinduſtrie retten. Die angeſtellten Verſuche haben jedoch ergeben, daß dieſes rühmliche Streben fruchtlos iſt, der mechaniſche Betrieb nun einmal nicht aufhaltbar, und derſelbe, wenn er auch manche Schäden nach ſich zieht, wie Überproduktion, doch auch ſeine guten Seiten hat, die vor allem in der Möglichkeit der Beſchäftigung einer ungeheuren Anzahl von Menſchen und der Leiſtung von jedermann zugänglichen Ware beſtehen.
Das Wirken und Stricken.
Von den Arbeiten, welche zur Erzeugung von Gebrauchsgegen- ſtänden aus Fäden dienen, iſt nächſt dem Weben das Wirken die bedeutendſte geworden. Weben und Wirken unterſcheiden ſich weſent- lich von einander. Während durch Weben hergeſtellte Stoffe ſtets die beiden rechtwinklig zu einander liegenden Fadenſyſteme, Kette und Schuß, aufweiſen, entſteht ein gewirkter Stoff durch die Verbindung eines einzigen Fadens mit ſich ſelbſt durch in einander hängende Maſchen, oder auch vieler nur ein Syſtem bildender Fäden unter einander gleichfalls durch Maſchen. Hiernach unterſcheidet man Kulier- ware und Kettenware, je nachdem nämlich nur ein Faden oder deren viele benutzt wurden. Stricken und Häkeln ſind dem Wirken bezüglich der Erzeugniſſe ähnlich und ſind die geſtrickten Sachen mit den Kulier- waren, die gehäkelten mehr mit den Kettenwaren zu vergleichen. Man kann annehmen, daß das Stricken mit der Hand älter als das Wirken iſt. Schon 1254 ſoll es in Italien bekannt geweſen ſein; 1594 ſoll es in Deutſchland Hoſen- und Strumpfſtricker gegeben haben. Andere führen das Stricken ſogar bis in die Zeit der alten Griechen zurück. Vom Wirken ſteht ziemlich feſt, daß es in England erfunden worden iſt, und zwar von William Lee in Cambridge. Dieſer betrieb 1589 mit ſeinem Handkulierſtuhl in Calverton bei Nottingham Wirkerei, ging aber zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Frankreich und führte die Wirkerei dort ein, jedoch mit geringem Erfolge. Nach ſeinem Tode wurde die Wirkerei ſowohl in Frankreich, als auch in England weiter geübt, und nach der Flucht der Proteſtanten 1685 nach Heſſen, Thü- ringen, Sachſen und Württemberg verpflanzt. Die Apparate, mit welchen man Kulier- und Kettenwaren darſtellte, waren aus Holz ge- baut, und ſaß der Arbeiter, wie beim Weben, auf einem Brett; des- halb nannte man ſolche Apparate Wirkſtühle, und werden derartige Handwirkſtühle, ſowohl Kulier- als Kettenſtühle heute noch verwendet, obgleich ſie mehr und mehr durch mechaniſche Wirkſtühle verdrängt worden ſind. Das Prinzip der Kulierſtühle iſt folgendes: In dem Stuhle liegen dicht neben einander viele der Breite und Feinheit der Ware entſprechende, horizontale Nadeln mit nach vorn umgebogenen
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Die Textil-Induſtrie.
Leiſtungsfähigkeit dem Handweber die Konkurrenz mit dem mechaniſchen
Stuhl möglich machen und ſo die mehr und mehr verſchwindende
Hausinduſtrie retten. Die angeſtellten Verſuche haben jedoch ergeben,
daß dieſes rühmliche Streben fruchtlos iſt, der mechaniſche Betrieb
nun einmal nicht aufhaltbar, und derſelbe, wenn er auch manche
Schäden nach ſich zieht, wie Überproduktion, doch auch ſeine guten
Seiten hat, die vor allem in der Möglichkeit der Beſchäftigung einer
ungeheuren Anzahl von Menſchen und der Leiſtung von jedermann
zugänglichen Ware beſtehen.
Das Wirken und Stricken.
Von den Arbeiten, welche zur Erzeugung von Gebrauchsgegen-
ſtänden aus Fäden dienen, iſt nächſt dem Weben das Wirken die
bedeutendſte geworden. Weben und Wirken unterſcheiden ſich weſent-
lich von einander. Während durch Weben hergeſtellte Stoffe ſtets die
beiden rechtwinklig zu einander liegenden Fadenſyſteme, Kette und
Schuß, aufweiſen, entſteht ein gewirkter Stoff durch die Verbindung
eines einzigen Fadens mit ſich ſelbſt durch in einander hängende
Maſchen, oder auch vieler nur ein Syſtem bildender Fäden unter
einander gleichfalls durch Maſchen. Hiernach unterſcheidet man Kulier-
ware und Kettenware, je nachdem nämlich nur ein Faden oder deren
viele benutzt wurden. Stricken und Häkeln ſind dem Wirken bezüglich
der Erzeugniſſe ähnlich und ſind die geſtrickten Sachen mit den Kulier-
waren, die gehäkelten mehr mit den Kettenwaren zu vergleichen. Man
kann annehmen, daß das Stricken mit der Hand älter als das Wirken
iſt. Schon 1254 ſoll es in Italien bekannt geweſen ſein; 1594 ſoll es
in Deutſchland Hoſen- und Strumpfſtricker gegeben haben. Andere
führen das Stricken ſogar bis in die Zeit der alten Griechen zurück.
Vom Wirken ſteht ziemlich feſt, daß es in England erfunden worden
iſt, und zwar von William Lee in Cambridge. Dieſer betrieb 1589
mit ſeinem Handkulierſtuhl in Calverton bei Nottingham Wirkerei,
ging aber zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Frankreich und führte
die Wirkerei dort ein, jedoch mit geringem Erfolge. Nach ſeinem Tode
wurde die Wirkerei ſowohl in Frankreich, als auch in England weiter
geübt, und nach der Flucht der Proteſtanten 1685 nach Heſſen, Thü-
ringen, Sachſen und Württemberg verpflanzt. Die Apparate, mit
welchen man Kulier- und Kettenwaren darſtellte, waren aus Holz ge-
baut, und ſaß der Arbeiter, wie beim Weben, auf einem Brett; des-
halb nannte man ſolche Apparate Wirkſtühle, und werden derartige
Handwirkſtühle, ſowohl Kulier- als Kettenſtühle heute noch verwendet,
obgleich ſie mehr und mehr durch mechaniſche Wirkſtühle verdrängt
worden ſind. Das Prinzip der Kulierſtühle iſt folgendes: In dem
Stuhle liegen dicht neben einander viele der Breite und Feinheit der
Ware entſprechende, horizontale Nadeln mit nach vorn umgebogenen
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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