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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Das Schießpulver.
Das Schießpulver.

Die frühere Annahme, daß das Pulver von den der Alchimie
ergebenen Mönchen des Mittelalters, als deren Personifikation Berthold
Schwarz gilt, erfunden sei, ist sicher als falsch erwiesen, obgleich dem
genannten Erfinder, von dem man weder Geburtsort noch Lebenszeit
kennt, in Freiburg ein Denkmal gesetzt worden ist. Die Entstehungs-
geschichte des Pulvers gehört überhaupt nicht einer bestimmten Zeit
an, sondern dürfte sich über lange Jahrhunderte erstrecken. Von den
zur Pulverfabrikation notwendigen Ingredienzien, der Kohle, dem
Schwefel und dem Salpeter, sind die beiden ersteren den abendländischen
Kulturvölkern seit Urzeiten bekannt, während der Salpeter, welcher
fertig gebildet, als Auswitterung des Bodens, sich nur in Indien und
China findet, auch nur der Bevölkerung dieser Länder so nahe stand,
daß sie auf seine eigentümlichen Eigenschaften aufmerksam werden
mußte. Jedenfalls hat man den Salpeter im Abendlande erst durch
die Vermittelung arabischer Alchimisten, also nicht vor dem achten
Jahrhundert, kennen gelernt.

Hieraus ergiebt sich mit größter Wahrscheinlichkeit, daß die Chinesen
die ersten gewesen sind, welche von der wichtigsten Eigenschaft des
Salpeters, mit brennbaren Körpern aller Art bei der Entzündung
sehr rasch abzubrennen oder zu verpuffen, Kenntnis hatten und, ihrer
noch heute beobachteten großen Vorliebe für Feuerwerkskünste folgend,
die gemachte Entdeckung in dieser Richtung verwendeten. Marco Polo,
der berühmte Reisende des Mittelalters, welcher auch Ostasien besuchte,
erzählt allerhand wunderbare Dinge, welche auf die erwähnte An-
wendung von Salpetermischungen in der chinesischen Feuerwerkerei
hindeuten. Während nun die Chinesen den Salpeter, welcher übrigens
in arabischen Handschriften geradezu "Chinasalz" oder "Chinaschnee"
genannt wird, nur zu friedlichen Zwecken verwendeten, scheinen andere
kriegerischere Völker, denen die Erfindung allmählich bekannt wurde,
diese im wesentlichen zu Angriffs- und Verteidigungszwecken benutzt
zu haben. Es ist kaum zu bezweifeln, daß das berüchtigte und über-
aus gefürchtete "griechische Feuer" der Byzantiner, welches schon in den
Kriegen des frühen Mittelalters, ganz besonders aber in den Kämpfen
der Kreuzzüge eine besonders wichtige Rolle spielte, auch nichts weiter
gewesen ist, als eine Mischung von Salpeter mit Kohle, Schwefel und
vielleicht noch anderen brennbaren Körpern. Es gelang den Byzan-
tinern, ihr kostbares Geheimnis Jahrhunderte hindurch zu bewahren,
und in den Kriegen, die sie führten, das griechische Feuer als un-
widerstehliches Schreckmittel zu benutzen. Sie schleuderten es in Töpfen
aus Wurfmaschinen auf die Feinde, befestigten es an Pfeilen oder
steckten es an lange Stangen, um auf diese Weise die Schiffe der
Gegner direkt in Brand zu setzen; eine Verwendungsweise, die im
letzten Falle lebhaft an die noch im türkisch-russischen Kriege von 1877

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Das Schießpulver.
Das Schießpulver.

Die frühere Annahme, daß das Pulver von den der Alchimie
ergebenen Mönchen des Mittelalters, als deren Perſonifikation Berthold
Schwarz gilt, erfunden ſei, iſt ſicher als falſch erwieſen, obgleich dem
genannten Erfinder, von dem man weder Geburtsort noch Lebenszeit
kennt, in Freiburg ein Denkmal geſetzt worden iſt. Die Entſtehungs-
geſchichte des Pulvers gehört überhaupt nicht einer beſtimmten Zeit
an, ſondern dürfte ſich über lange Jahrhunderte erſtrecken. Von den
zur Pulverfabrikation notwendigen Ingredienzien, der Kohle, dem
Schwefel und dem Salpeter, ſind die beiden erſteren den abendländiſchen
Kulturvölkern ſeit Urzeiten bekannt, während der Salpeter, welcher
fertig gebildet, als Auswitterung des Bodens, ſich nur in Indien und
China findet, auch nur der Bevölkerung dieſer Länder ſo nahe ſtand,
daß ſie auf ſeine eigentümlichen Eigenſchaften aufmerkſam werden
mußte. Jedenfalls hat man den Salpeter im Abendlande erſt durch
die Vermittelung arabiſcher Alchimiſten, alſo nicht vor dem achten
Jahrhundert, kennen gelernt.

Hieraus ergiebt ſich mit größter Wahrſcheinlichkeit, daß die Chineſen
die erſten geweſen ſind, welche von der wichtigſten Eigenſchaft des
Salpeters, mit brennbaren Körpern aller Art bei der Entzündung
ſehr raſch abzubrennen oder zu verpuffen, Kenntnis hatten und, ihrer
noch heute beobachteten großen Vorliebe für Feuerwerkskünſte folgend,
die gemachte Entdeckung in dieſer Richtung verwendeten. Marco Polo,
der berühmte Reiſende des Mittelalters, welcher auch Oſtaſien beſuchte,
erzählt allerhand wunderbare Dinge, welche auf die erwähnte An-
wendung von Salpetermiſchungen in der chineſiſchen Feuerwerkerei
hindeuten. Während nun die Chineſen den Salpeter, welcher übrigens
in arabiſchen Handſchriften geradezu „Chinaſalz“ oder „Chinaſchnee“
genannt wird, nur zu friedlichen Zwecken verwendeten, ſcheinen andere
kriegeriſchere Völker, denen die Erfindung allmählich bekannt wurde,
dieſe im weſentlichen zu Angriffs- und Verteidigungszwecken benutzt
zu haben. Es iſt kaum zu bezweifeln, daß das berüchtigte und über-
aus gefürchtete „griechiſche Feuer“ der Byzantiner, welches ſchon in den
Kriegen des frühen Mittelalters, ganz beſonders aber in den Kämpfen
der Kreuzzüge eine beſonders wichtige Rolle ſpielte, auch nichts weiter
geweſen iſt, als eine Miſchung von Salpeter mit Kohle, Schwefel und
vielleicht noch anderen brennbaren Körpern. Es gelang den Byzan-
tinern, ihr koſtbares Geheimnis Jahrhunderte hindurch zu bewahren,
und in den Kriegen, die ſie führten, das griechiſche Feuer als un-
widerſtehliches Schreckmittel zu benutzen. Sie ſchleuderten es in Töpfen
aus Wurfmaſchinen auf die Feinde, befeſtigten es an Pfeilen oder
ſteckten es an lange Stangen, um auf dieſe Weiſe die Schiffe der
Gegner direkt in Brand zu ſetzen; eine Verwendungsweiſe, die im
letzten Falle lebhaft an die noch im türkiſch-ruſſiſchen Kriege von 1877

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[691/0709] Das Schießpulver. Das Schießpulver. Die frühere Annahme, daß das Pulver von den der Alchimie ergebenen Mönchen des Mittelalters, als deren Perſonifikation Berthold Schwarz gilt, erfunden ſei, iſt ſicher als falſch erwieſen, obgleich dem genannten Erfinder, von dem man weder Geburtsort noch Lebenszeit kennt, in Freiburg ein Denkmal geſetzt worden iſt. Die Entſtehungs- geſchichte des Pulvers gehört überhaupt nicht einer beſtimmten Zeit an, ſondern dürfte ſich über lange Jahrhunderte erſtrecken. Von den zur Pulverfabrikation notwendigen Ingredienzien, der Kohle, dem Schwefel und dem Salpeter, ſind die beiden erſteren den abendländiſchen Kulturvölkern ſeit Urzeiten bekannt, während der Salpeter, welcher fertig gebildet, als Auswitterung des Bodens, ſich nur in Indien und China findet, auch nur der Bevölkerung dieſer Länder ſo nahe ſtand, daß ſie auf ſeine eigentümlichen Eigenſchaften aufmerkſam werden mußte. Jedenfalls hat man den Salpeter im Abendlande erſt durch die Vermittelung arabiſcher Alchimiſten, alſo nicht vor dem achten Jahrhundert, kennen gelernt. Hieraus ergiebt ſich mit größter Wahrſcheinlichkeit, daß die Chineſen die erſten geweſen ſind, welche von der wichtigſten Eigenſchaft des Salpeters, mit brennbaren Körpern aller Art bei der Entzündung ſehr raſch abzubrennen oder zu verpuffen, Kenntnis hatten und, ihrer noch heute beobachteten großen Vorliebe für Feuerwerkskünſte folgend, die gemachte Entdeckung in dieſer Richtung verwendeten. Marco Polo, der berühmte Reiſende des Mittelalters, welcher auch Oſtaſien beſuchte, erzählt allerhand wunderbare Dinge, welche auf die erwähnte An- wendung von Salpetermiſchungen in der chineſiſchen Feuerwerkerei hindeuten. Während nun die Chineſen den Salpeter, welcher übrigens in arabiſchen Handſchriften geradezu „Chinaſalz“ oder „Chinaſchnee“ genannt wird, nur zu friedlichen Zwecken verwendeten, ſcheinen andere kriegeriſchere Völker, denen die Erfindung allmählich bekannt wurde, dieſe im weſentlichen zu Angriffs- und Verteidigungszwecken benutzt zu haben. Es iſt kaum zu bezweifeln, daß das berüchtigte und über- aus gefürchtete „griechiſche Feuer“ der Byzantiner, welches ſchon in den Kriegen des frühen Mittelalters, ganz beſonders aber in den Kämpfen der Kreuzzüge eine beſonders wichtige Rolle ſpielte, auch nichts weiter geweſen iſt, als eine Miſchung von Salpeter mit Kohle, Schwefel und vielleicht noch anderen brennbaren Körpern. Es gelang den Byzan- tinern, ihr koſtbares Geheimnis Jahrhunderte hindurch zu bewahren, und in den Kriegen, die ſie führten, das griechiſche Feuer als un- widerſtehliches Schreckmittel zu benutzen. Sie ſchleuderten es in Töpfen aus Wurfmaſchinen auf die Feinde, befeſtigten es an Pfeilen oder ſteckten es an lange Stangen, um auf dieſe Weiſe die Schiffe der Gegner direkt in Brand zu ſetzen; eine Verwendungsweiſe, die im letzten Falle lebhaft an die noch im türkiſch-ruſſiſchen Kriege von 1877 44*

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/709>, abgerufen am 22.11.2024.