kamen mit Blei belegte Glasspiegel auf. Italienische Physiker des sechzehnten Jahrhunderts erwähnten mit Blei ausgegossene spiegelnde Glaskugeln als einen Nürnberger Handelsartikel. Das Belegen von Glastafeln mit Zinnfolie wurde zuerst in Venedig ausgeübt, ging gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach Frankreich über, bis im Jahre 1688 Thevart durch die Erfindung des Spiegelgusses den Grund zu der heute so vollkommen dastehenden Spiegelindustrie legte.
Man kennt jetzt geblasene und gegossene Spiegel. Die Herstellung der ersteren ist, abgesehen natürlich von dem Belegen, dieselbe wie beim Fensterglase. Man ist bei diesen Spiegeln an gewisse Dimensionen gebunden, die nicht überschritten werden dürfen. Größere Spiegel können daher nur mittels des Gießverfahrens hergestellt werden. Die Spiegeltafeln müssen, bei ihrer bedeutenden Größe, eine nicht un- beträchtliche Stärke besitzen; sie müssen ferner absolut durchsichtig und so farblos wie nur möglich sein. Diese Eigenschaften erfordern eines- teils einen Satz aus den reinsten Materialien und schließen alle Stoffe aus, die das Blindwerden befördern; andererseits setzen sie einen sehr vollkommenen Läuterungsprozeß voraus. Der Spiegelglassatz dürfte wegen der schwach färbenden Eigenschaft des Natrons eigentlich keine Soda enthalten. Diese läßt sich aber nicht gut entbehren, da sie dem Glase einen Grad der Leichtflüssigkeit mitteilt, welcher das Läutern und besonders das Gießen wesentlich erleichtert. Die Hauptbestandteile sind daher reinster Sand, reine Soda, sehr wenig Kalk, viele Spiegelglas- brocken und eine geringe Menge Entfärbungsmittel.
Der Spiegelglasofen enthält zweierlei Schmelzgefäße: runde Häfen von der gewöhnlichen Form und viereckige Wannen. Die Häfen dienen zum Schmelzen des Satzes, welcher kalt in drei Portionen eingetragen wird. Brennt man Steinkohlen, so muß der Fluß durch Bedecken der Häfen vor Verunreinigung geschützt werden. Während des Einschmelzens stehen die Wannen leer im Ofen. Ist der Fluß vollkommen, so werden die Wannen mit Zangen ausgefahren, sorgfältig gesäubert und wieder eingefahren. Die Arbeiter reinigen nun das Glas von den an der Oberfläche befindlichen Verunreinigungen und schöpfen es dann mit kupfernen Löffeln in die Wannen; alle Körner und Verunreinigungen, die sich am Grunde der Häfen befinden, bleiben zurück und dürfen nicht aufgerührt werden. Das Einschmelzen dauert 12--15 Stunden, die Läuterung, welche gleich nach dem Über- schöpfen mit dem Heißschüren beginnt, 20--40 Stunden, bis die Proben ganz tadellos erscheinen. Dann folgt ein Kaltschüren von 3--4 Stunden.
Den Spiegelguß nimmt man vor dem mit besonderer Feuerung ver- sehenen Kühlofen (Fig. 470) vor. Die Sohle des letzteren muß die genügende Breite haben, um alle einzuschiebenden Tafeln nebeneinander liegend zu beherbergen und muß mit der vor dem Ofen befindlichen Gießtafel in derselben Ebene liegen. Die Gießtafel T, der teuerste Apparat der Spiegelfabrik, besteht aus Bronze, Gußeisen oder Stahl, ist vollkommen
Das Fenſterglas. — Das Spiegelglas.
kamen mit Blei belegte Glasſpiegel auf. Italieniſche Phyſiker des ſechzehnten Jahrhunderts erwähnten mit Blei ausgegoſſene ſpiegelnde Glaskugeln als einen Nürnberger Handelsartikel. Das Belegen von Glastafeln mit Zinnfolie wurde zuerſt in Venedig ausgeübt, ging gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach Frankreich über, bis im Jahre 1688 Thévart durch die Erfindung des Spiegelguſſes den Grund zu der heute ſo vollkommen daſtehenden Spiegelinduſtrie legte.
Man kennt jetzt geblaſene und gegoſſene Spiegel. Die Herſtellung der erſteren iſt, abgeſehen natürlich von dem Belegen, dieſelbe wie beim Fenſterglaſe. Man iſt bei dieſen Spiegeln an gewiſſe Dimenſionen gebunden, die nicht überſchritten werden dürfen. Größere Spiegel können daher nur mittels des Gießverfahrens hergeſtellt werden. Die Spiegeltafeln müſſen, bei ihrer bedeutenden Größe, eine nicht un- beträchtliche Stärke beſitzen; ſie müſſen ferner abſolut durchſichtig und ſo farblos wie nur möglich ſein. Dieſe Eigenſchaften erfordern eines- teils einen Satz aus den reinſten Materialien und ſchließen alle Stoffe aus, die das Blindwerden befördern; andererſeits ſetzen ſie einen ſehr vollkommenen Läuterungsprozeß voraus. Der Spiegelglasſatz dürfte wegen der ſchwach färbenden Eigenſchaft des Natrons eigentlich keine Soda enthalten. Dieſe läßt ſich aber nicht gut entbehren, da ſie dem Glaſe einen Grad der Leichtflüſſigkeit mitteilt, welcher das Läutern und beſonders das Gießen weſentlich erleichtert. Die Hauptbeſtandteile ſind daher reinſter Sand, reine Soda, ſehr wenig Kalk, viele Spiegelglas- brocken und eine geringe Menge Entfärbungsmittel.
Der Spiegelglasofen enthält zweierlei Schmelzgefäße: runde Häfen von der gewöhnlichen Form und viereckige Wannen. Die Häfen dienen zum Schmelzen des Satzes, welcher kalt in drei Portionen eingetragen wird. Brennt man Steinkohlen, ſo muß der Fluß durch Bedecken der Häfen vor Verunreinigung geſchützt werden. Während des Einſchmelzens ſtehen die Wannen leer im Ofen. Iſt der Fluß vollkommen, ſo werden die Wannen mit Zangen ausgefahren, ſorgfältig geſäubert und wieder eingefahren. Die Arbeiter reinigen nun das Glas von den an der Oberfläche befindlichen Verunreinigungen und ſchöpfen es dann mit kupfernen Löffeln in die Wannen; alle Körner und Verunreinigungen, die ſich am Grunde der Häfen befinden, bleiben zurück und dürfen nicht aufgerührt werden. Das Einſchmelzen dauert 12—15 Stunden, die Läuterung, welche gleich nach dem Über- ſchöpfen mit dem Heißſchüren beginnt, 20—40 Stunden, bis die Proben ganz tadellos erſcheinen. Dann folgt ein Kaltſchüren von 3—4 Stunden.
Den Spiegelguß nimmt man vor dem mit beſonderer Feuerung ver- ſehenen Kühlofen (Fig. 470) vor. Die Sohle des letzteren muß die genügende Breite haben, um alle einzuſchiebenden Tafeln nebeneinander liegend zu beherbergen und muß mit der vor dem Ofen befindlichen Gießtafel in derſelben Ebene liegen. Die Gießtafel T, der teuerſte Apparat der Spiegelfabrik, beſteht aus Bronze, Gußeiſen oder Stahl, iſt vollkommen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0879"n="861"/><fwplace="top"type="header">Das Fenſterglas. — Das Spiegelglas.</fw><lb/>
kamen mit Blei belegte Glasſpiegel auf. Italieniſche Phyſiker des<lb/>ſechzehnten Jahrhunderts erwähnten mit Blei ausgegoſſene ſpiegelnde<lb/>
Glaskugeln als einen Nürnberger Handelsartikel. Das Belegen von<lb/>
Glastafeln mit Zinnfolie wurde zuerſt in Venedig ausgeübt, ging gegen<lb/>
Ende des 17. Jahrhunderts nach Frankreich über, bis im Jahre 1688<lb/>
Th<hirendition="#aq">é</hi>vart durch die Erfindung des Spiegelguſſes den Grund zu der<lb/>
heute ſo vollkommen daſtehenden Spiegelinduſtrie legte.</p><lb/><p>Man kennt jetzt geblaſene und gegoſſene Spiegel. Die Herſtellung<lb/>
der erſteren iſt, abgeſehen natürlich von dem Belegen, dieſelbe wie beim<lb/>
Fenſterglaſe. Man iſt bei dieſen Spiegeln an gewiſſe Dimenſionen<lb/>
gebunden, die nicht überſchritten werden dürfen. Größere Spiegel<lb/>
können daher nur mittels des Gießverfahrens hergeſtellt werden. Die<lb/>
Spiegeltafeln müſſen, bei ihrer bedeutenden Größe, eine nicht un-<lb/>
beträchtliche Stärke beſitzen; ſie müſſen ferner abſolut durchſichtig und<lb/>ſo farblos wie nur möglich ſein. Dieſe Eigenſchaften erfordern eines-<lb/>
teils einen Satz aus den reinſten Materialien und ſchließen alle Stoffe<lb/>
aus, die das Blindwerden befördern; andererſeits ſetzen ſie einen ſehr<lb/>
vollkommenen Läuterungsprozeß voraus. Der Spiegelglasſatz dürfte<lb/>
wegen der ſchwach färbenden Eigenſchaft des Natrons eigentlich keine<lb/>
Soda enthalten. Dieſe läßt ſich aber nicht gut entbehren, da ſie dem<lb/>
Glaſe einen Grad der Leichtflüſſigkeit mitteilt, welcher das Läutern und<lb/>
beſonders das Gießen weſentlich erleichtert. Die Hauptbeſtandteile ſind<lb/>
daher reinſter Sand, reine Soda, ſehr wenig Kalk, viele Spiegelglas-<lb/>
brocken und eine geringe Menge Entfärbungsmittel.</p><lb/><p>Der Spiegelglasofen enthält zweierlei Schmelzgefäße: runde Häfen<lb/>
von der gewöhnlichen Form und viereckige Wannen. Die Häfen<lb/>
dienen zum Schmelzen des Satzes, welcher kalt in drei Portionen<lb/>
eingetragen wird. Brennt man Steinkohlen, ſo muß der Fluß<lb/>
durch Bedecken der Häfen vor Verunreinigung geſchützt werden.<lb/>
Während des Einſchmelzens ſtehen die Wannen leer im Ofen. Iſt der<lb/>
Fluß vollkommen, ſo werden die Wannen mit Zangen ausgefahren,<lb/>ſorgfältig geſäubert und wieder eingefahren. Die Arbeiter reinigen nun<lb/>
das Glas von den an der Oberfläche befindlichen Verunreinigungen<lb/>
und ſchöpfen es dann mit kupfernen Löffeln in die Wannen; alle<lb/>
Körner und Verunreinigungen, die ſich am Grunde der Häfen befinden,<lb/>
bleiben zurück und dürfen nicht aufgerührt werden. Das Einſchmelzen<lb/>
dauert 12—15 Stunden, die Läuterung, welche gleich nach dem Über-<lb/>ſchöpfen mit dem Heißſchüren beginnt, 20—40 Stunden, bis die Proben<lb/>
ganz tadellos erſcheinen. Dann folgt ein Kaltſchüren von 3—4 Stunden.</p><lb/><p>Den Spiegelguß nimmt man vor dem mit beſonderer Feuerung ver-<lb/>ſehenen Kühlofen (Fig. 470) vor. Die Sohle des letzteren muß die genügende<lb/>
Breite haben, um alle einzuſchiebenden Tafeln nebeneinander liegend<lb/>
zu beherbergen und muß mit der vor dem Ofen befindlichen Gießtafel<lb/>
in derſelben Ebene liegen. Die Gießtafel <hirendition="#aq">T</hi>, der teuerſte Apparat der<lb/>
Spiegelfabrik, beſteht aus Bronze, Gußeiſen oder Stahl, iſt vollkommen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[861/0879]
Das Fenſterglas. — Das Spiegelglas.
kamen mit Blei belegte Glasſpiegel auf. Italieniſche Phyſiker des
ſechzehnten Jahrhunderts erwähnten mit Blei ausgegoſſene ſpiegelnde
Glaskugeln als einen Nürnberger Handelsartikel. Das Belegen von
Glastafeln mit Zinnfolie wurde zuerſt in Venedig ausgeübt, ging gegen
Ende des 17. Jahrhunderts nach Frankreich über, bis im Jahre 1688
Thévart durch die Erfindung des Spiegelguſſes den Grund zu der
heute ſo vollkommen daſtehenden Spiegelinduſtrie legte.
Man kennt jetzt geblaſene und gegoſſene Spiegel. Die Herſtellung
der erſteren iſt, abgeſehen natürlich von dem Belegen, dieſelbe wie beim
Fenſterglaſe. Man iſt bei dieſen Spiegeln an gewiſſe Dimenſionen
gebunden, die nicht überſchritten werden dürfen. Größere Spiegel
können daher nur mittels des Gießverfahrens hergeſtellt werden. Die
Spiegeltafeln müſſen, bei ihrer bedeutenden Größe, eine nicht un-
beträchtliche Stärke beſitzen; ſie müſſen ferner abſolut durchſichtig und
ſo farblos wie nur möglich ſein. Dieſe Eigenſchaften erfordern eines-
teils einen Satz aus den reinſten Materialien und ſchließen alle Stoffe
aus, die das Blindwerden befördern; andererſeits ſetzen ſie einen ſehr
vollkommenen Läuterungsprozeß voraus. Der Spiegelglasſatz dürfte
wegen der ſchwach färbenden Eigenſchaft des Natrons eigentlich keine
Soda enthalten. Dieſe läßt ſich aber nicht gut entbehren, da ſie dem
Glaſe einen Grad der Leichtflüſſigkeit mitteilt, welcher das Läutern und
beſonders das Gießen weſentlich erleichtert. Die Hauptbeſtandteile ſind
daher reinſter Sand, reine Soda, ſehr wenig Kalk, viele Spiegelglas-
brocken und eine geringe Menge Entfärbungsmittel.
Der Spiegelglasofen enthält zweierlei Schmelzgefäße: runde Häfen
von der gewöhnlichen Form und viereckige Wannen. Die Häfen
dienen zum Schmelzen des Satzes, welcher kalt in drei Portionen
eingetragen wird. Brennt man Steinkohlen, ſo muß der Fluß
durch Bedecken der Häfen vor Verunreinigung geſchützt werden.
Während des Einſchmelzens ſtehen die Wannen leer im Ofen. Iſt der
Fluß vollkommen, ſo werden die Wannen mit Zangen ausgefahren,
ſorgfältig geſäubert und wieder eingefahren. Die Arbeiter reinigen nun
das Glas von den an der Oberfläche befindlichen Verunreinigungen
und ſchöpfen es dann mit kupfernen Löffeln in die Wannen; alle
Körner und Verunreinigungen, die ſich am Grunde der Häfen befinden,
bleiben zurück und dürfen nicht aufgerührt werden. Das Einſchmelzen
dauert 12—15 Stunden, die Läuterung, welche gleich nach dem Über-
ſchöpfen mit dem Heißſchüren beginnt, 20—40 Stunden, bis die Proben
ganz tadellos erſcheinen. Dann folgt ein Kaltſchüren von 3—4 Stunden.
Den Spiegelguß nimmt man vor dem mit beſonderer Feuerung ver-
ſehenen Kühlofen (Fig. 470) vor. Die Sohle des letzteren muß die genügende
Breite haben, um alle einzuſchiebenden Tafeln nebeneinander liegend
zu beherbergen und muß mit der vor dem Ofen befindlichen Gießtafel
in derſelben Ebene liegen. Die Gießtafel T, der teuerſte Apparat der
Spiegelfabrik, beſteht aus Bronze, Gußeiſen oder Stahl, iſt vollkommen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 861. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/879>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.