Brüdern, Benjamin ruht lieblich auf seiner linken Schulter, die andern sind alle ebenfalls in den affektvollsten Stellungen, einer küßt ihm die rechte Hand, einer drückt ihm die linke, einer liegt unten zu Füßen, einer faßt auf dem Boden sein Kleid, einer schlägt die Hände überm Kopf zusammen, einer stürzt mit beiden Armen auf ei- nen Stuhl etc. Stundenlang hätt' ichs ansehen können. -- Salomo's Richterspruch, und sein tiefer Blick ins warme Gefühl des Mutterherzens. Wenn er nur keine Krone aufm Kopf hätte! Die Mörderin, frech, schamlos, zeichnet sich gleich aus, die rechte Mutter hat das Kind noch halb aufm Arm, halb reißt es ihr schon ein Trabant aus der Hand, und der andre streckt schon das Schwert dazu her; recht orientalisch, wo der Trabant des Königs auch zugleich Scharfrichter war. Auf eben der Seite Joas Krönung. Hoch oben sitzt der jun- ge Prinz, furchtsam, und sucht in der lärmenden Menge seinen Hohenpriester, der auch immer mit dem einen Auge nach ihm sieht, und auf der andern Seite die rasende Athalia zurückhält. Zwei stammhafte Männer fallen ihr in die Arme, fassen sie um die Weichen, und schütteln das Weib etc. Lächerlich kam mir vor, Engel zu sehen, klein, mit grossen Flügeln oben an der Schulter, und gewaltig grossen Zeugungsgliedern, die sie nie haben soll- ten, und mit ihrem Körper in gar keinem Verhältnis stan- den. Oft standen auch an so einem herrlichen Stück ein Paar Worte aus der Vulgata ohne Zusammenhang und Verstand. Recht mönchisch und lustig wars, die vie- lerlei Pronunziationen der Franzosen an der Seite mit anzuhören. In der Kapelle hatten der Aberglaube und die Ceremonienreligion ihre Spielsachen für kleine und grosse Kinder ausgekramt.
Aber
Bruͤdern, Benjamin ruht lieblich auf ſeiner linken Schulter, die andern ſind alle ebenfalls in den affektvollſten Stellungen, einer kuͤßt ihm die rechte Hand, einer druͤckt ihm die linke, einer liegt unten zu Fuͤßen, einer faßt auf dem Boden ſein Kleid, einer ſchlaͤgt die Haͤnde uͤberm Kopf zuſammen, einer ſtuͤrzt mit beiden Armen auf ei- nen Stuhl ꝛc. Stundenlang haͤtt’ ichs anſehen koͤnnen. — Salomo’s Richterſpruch, und ſein tiefer Blick ins warme Gefuͤhl des Mutterherzens. Wenn er nur keine Krone aufm Kopf haͤtte! Die Moͤrderin, frech, ſchamlos, zeichnet ſich gleich aus, die rechte Mutter hat das Kind noch halb aufm Arm, halb reißt es ihr ſchon ein Trabant aus der Hand, und der andre ſtreckt ſchon das Schwert dazu her; recht orientaliſch, wo der Trabant des Koͤnigs auch zugleich Scharfrichter war. Auf eben der Seite Joas Kroͤnung. Hoch oben ſitzt der jun- ge Prinz, furchtſam, und ſucht in der laͤrmenden Menge ſeinen Hohenprieſter, der auch immer mit dem einen Auge nach ihm ſieht, und auf der andern Seite die raſende Athalia zuruͤckhaͤlt. Zwei ſtammhafte Maͤnner fallen ihr in die Arme, faſſen ſie um die Weichen, und ſchuͤtteln das Weib ꝛc. Laͤcherlich kam mir vor, Engel zu ſehen, klein, mit groſſen Fluͤgeln oben an der Schulter, und gewaltig groſſen Zeugungsgliedern, die ſie nie haben ſoll- ten, und mit ihrem Koͤrper in gar keinem Verhaͤltnis ſtan- den. Oft ſtanden auch an ſo einem herrlichen Stuͤck ein Paar Worte aus der Vulgata ohne Zuſammenhang und Verſtand. Recht moͤnchiſch und luſtig wars, die vie- lerlei Pronunziationen der Franzoſen an der Seite mit anzuhoͤren. In der Kapelle hatten der Aberglaube und die Ceremonienreligion ihre Spielſachen fuͤr kleine und groſſe Kinder ausgekramt.
Aber
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Bruͤdern, Benjamin ruht lieblich auf ſeiner linken
Schulter, die andern ſind alle ebenfalls in den affektvollſten
Stellungen, einer kuͤßt ihm die rechte Hand, einer druͤckt
ihm die linke, einer liegt unten zu Fuͤßen, einer faßt auf
dem Boden ſein Kleid, einer ſchlaͤgt die Haͤnde uͤberm
Kopf zuſammen, einer ſtuͤrzt mit beiden Armen auf ei-
nen Stuhl ꝛc. Stundenlang haͤtt’ ichs anſehen koͤnnen.
— Salomo’s Richterſpruch, und ſein tiefer Blick
ins warme Gefuͤhl des Mutterherzens. Wenn er nur
keine Krone aufm Kopf haͤtte! Die Moͤrderin, frech,
ſchamlos, zeichnet ſich gleich aus, die rechte Mutter hat
das Kind noch halb aufm Arm, halb reißt es ihr ſchon
ein Trabant aus der Hand, und der andre ſtreckt ſchon
das Schwert dazu her; recht orientaliſch, wo der Trabant
des Koͤnigs auch zugleich Scharfrichter war. Auf eben
der Seite Joas Kroͤnung. Hoch oben ſitzt der jun-
ge Prinz, furchtſam, und ſucht in der laͤrmenden Menge
ſeinen Hohenprieſter, der auch immer mit dem einen Auge
nach ihm ſieht, und auf der andern Seite die raſende
Athalia zuruͤckhaͤlt. Zwei ſtammhafte Maͤnner fallen ihr
in die Arme, faſſen ſie um die Weichen, und ſchuͤtteln das
Weib ꝛc. Laͤcherlich kam mir vor, Engel zu ſehen,
klein, mit groſſen Fluͤgeln oben an der Schulter, und
gewaltig groſſen Zeugungsgliedern, die ſie nie haben ſoll-
ten, und mit ihrem Koͤrper in gar keinem Verhaͤltnis ſtan-
den. Oft ſtanden auch an ſo einem herrlichen Stuͤck ein
Paar Worte aus der Vulgata ohne Zuſammenhang und
Verſtand. Recht moͤnchiſch und luſtig wars, die vie-
lerlei Pronunziationen der Franzoſen an der Seite mit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/176>, abgerufen am 21.11.2024.
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