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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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Konstantinopel gebürtig, die griechisch spricht, griechi-
sche alte Dichter liest, schön, obwohl langsam französisch
spricht, auch etwas Englisch versteht, Deutsch lernt, und
überhaupt ein Frauenzimmer von vielem Verstande ist.
Ihr Mann, Mr. Chenier, ist wirklicher Königl. franz.
Konsul in Tunis. Wir sahen ihn nur im Portrait.
Sie hat eine, meist erwachsene Tochter, die aber weder
an Körper, noch Seele, der Mutter gleich werden wird.
Ihre Kleidung ist noch ganz griechisch, recht natürlich,
völlig so, wie sich die Vestalinnen der Römer trugen.
Ein weisses Unter- und Ober-Kleid, mit einem blauen
Band in der Mitte des Leibes gebunden. Auf der Brust
Spitzen, auf den Achseln silberne Schnüre, an der lin-
ken Brust eine goldene Kette, unter dem Band auf eben
der Seite, silberne Troddeln, die an silbernen und schwar-
zen Schnüren hinabhängen, und womit das blaue Band
geknüpft wird, und womit sie jetzt spielte. Die Haare
trug sie fast wie in Strasburg, mit einem grau und
weissem Bande umschlungen, das hinten weit hinabfiel,
oben drauf steckten Zitternadeln, und eine kleine Straus-
senfeder. An den Seiten hingen einige geflochtene Zöpfe,
einige Locken fielen herab, und über und unterm Ohr trug
sie grosse Ohrengehänge. Grade so war auch die Toch-
ter gekleidet. Auch dies gehört mit in die Beschreibung
einer naturhistorischen Reise. Daher gab ich auf alles
Acht, und könnte wohl noch mehr von ihrer Toilette sa-
gen. -- Zu meinem großen Vergnügen ließ sie sich bere-
den, daß sie Herrn Villoison und mir ganz im griechi-
schen Ton mit ihrer Tochter eine Ode aus dem Anakreon
vorsang, und hernach noch eine allein. Es klang ungemein
harmonisch, und unbeschreiblich süß. Sie las das Grie-
chische, wie ich, -- denn sie wollte mich lesen hören, --

und

Konſtantinopel gebuͤrtig, die griechiſch ſpricht, griechi-
ſche alte Dichter lieſt, ſchoͤn, obwohl langſam franzoͤſiſch
ſpricht, auch etwas Engliſch verſteht, Deutſch lernt, und
uͤberhaupt ein Frauenzimmer von vielem Verſtande iſt.
Ihr Mann, Mr. Chenier, iſt wirklicher Koͤnigl. franz.
Konſul in Tunis. Wir ſahen ihn nur im Portrait.
Sie hat eine, meiſt erwachſene Tochter, die aber weder
an Koͤrper, noch Seele, der Mutter gleich werden wird.
Ihre Kleidung iſt noch ganz griechiſch, recht natuͤrlich,
voͤllig ſo, wie ſich die Veſtalinnen der Roͤmer trugen.
Ein weiſſes Unter- und Ober-Kleid, mit einem blauen
Band in der Mitte des Leibes gebunden. Auf der Bruſt
Spitzen, auf den Achſeln ſilberne Schnuͤre, an der lin-
ken Bruſt eine goldene Kette, unter dem Band auf eben
der Seite, ſilberne Troddeln, die an ſilbernen und ſchwar-
zen Schnuͤren hinabhaͤngen, und womit das blaue Band
geknuͤpft wird, und womit ſie jetzt ſpielte. Die Haare
trug ſie faſt wie in Strasburg, mit einem grau und
weiſſem Bande umſchlungen, das hinten weit hinabfiel,
oben drauf ſteckten Zitternadeln, und eine kleine Strauſ-
ſenfeder. An den Seiten hingen einige geflochtene Zoͤpfe,
einige Locken fielen herab, und uͤber und unterm Ohr trug
ſie groſſe Ohrengehaͤnge. Grade ſo war auch die Toch-
ter gekleidet. Auch dies gehoͤrt mit in die Beſchreibung
einer naturhiſtoriſchen Reiſe. Daher gab ich auf alles
Acht, und koͤnnte wohl noch mehr von ihrer Toilette ſa-
gen. — Zu meinem großen Vergnuͤgen ließ ſie ſich bere-
den, daß ſie Herrn Villoiſon und mir ganz im griechi-
ſchen Ton mit ihrer Tochter eine Ode aus dem Anakreon
vorſang, und hernach noch eine allein. Es klang ungemein
harmoniſch, und unbeſchreiblich ſuͤß. Sie las das Grie-
chiſche, wie ich, — denn ſie wollte mich leſen hoͤren, —

und
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[155/0179] Konſtantinopel gebuͤrtig, die griechiſch ſpricht, griechi- ſche alte Dichter lieſt, ſchoͤn, obwohl langſam franzoͤſiſch ſpricht, auch etwas Engliſch verſteht, Deutſch lernt, und uͤberhaupt ein Frauenzimmer von vielem Verſtande iſt. Ihr Mann, Mr. Chenier, iſt wirklicher Koͤnigl. franz. Konſul in Tunis. Wir ſahen ihn nur im Portrait. Sie hat eine, meiſt erwachſene Tochter, die aber weder an Koͤrper, noch Seele, der Mutter gleich werden wird. Ihre Kleidung iſt noch ganz griechiſch, recht natuͤrlich, voͤllig ſo, wie ſich die Veſtalinnen der Roͤmer trugen. Ein weiſſes Unter- und Ober-Kleid, mit einem blauen Band in der Mitte des Leibes gebunden. Auf der Bruſt Spitzen, auf den Achſeln ſilberne Schnuͤre, an der lin- ken Bruſt eine goldene Kette, unter dem Band auf eben der Seite, ſilberne Troddeln, die an ſilbernen und ſchwar- zen Schnuͤren hinabhaͤngen, und womit das blaue Band geknuͤpft wird, und womit ſie jetzt ſpielte. Die Haare trug ſie faſt wie in Strasburg, mit einem grau und weiſſem Bande umſchlungen, das hinten weit hinabfiel, oben drauf ſteckten Zitternadeln, und eine kleine Strauſ- ſenfeder. An den Seiten hingen einige geflochtene Zoͤpfe, einige Locken fielen herab, und uͤber und unterm Ohr trug ſie groſſe Ohrengehaͤnge. Grade ſo war auch die Toch- ter gekleidet. Auch dies gehoͤrt mit in die Beſchreibung einer naturhiſtoriſchen Reiſe. Daher gab ich auf alles Acht, und koͤnnte wohl noch mehr von ihrer Toilette ſa- gen. — Zu meinem großen Vergnuͤgen ließ ſie ſich bere- den, daß ſie Herrn Villoiſon und mir ganz im griechi- ſchen Ton mit ihrer Tochter eine Ode aus dem Anakreon vorſang, und hernach noch eine allein. Es klang ungemein harmoniſch, und unbeſchreiblich ſuͤß. Sie las das Grie- chiſche, wie ich, — denn ſie wollte mich leſen hoͤren, — und

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/179>, abgerufen am 21.11.2024.