bekümmert sich darum. Sobald aber ein Bärenführer mit dem tanzenden Affen kommt, eine Hure, wie eine Kö- nigin geputzt, mit herausschlüpfenden Brüsten, am hel- len Tage vom Fenster jedem geputzten Narren zupfeist und laut hinausruft; wenn ein Farcenmacher, ein Gaul- ler kommt, der schreit und das dümmste Zeug macht; da sammelt sich gleich alles, alles ist Ohr, schließt einen Kreis, gaft die Hure oder die Meerkatze an, und in Ge- sellschaften spricht man einen ganzen Tag davon. Jeder läuft seinen Trab fort. Man thut gros, borgt besetz- te Kleider, um ein- oder zweimahl im Spektakel zu glänzen, man gibt sich für adlich, für gräflich aus, nimmt von allen Dingen das Maul recht voll, und urtheilt in Tag hinein etc. Wers nicht sieht, glaubts nicht. Es gibt Leute, die gleich die Unterredung von der Religion anfangen, über alles lachen, sagen, sie wären in Engel- land gewesen, da predige man selber auf den Kanzeln, daß das alles nicht wahr sei, bieten sich an, einen mit Paris recht bekannt zu machen, man solle sich an sie hal- ten, mit ihnen gehen, sie hätten grosse Connoissancen etc. Wie die jüngsten Kinder schon so stolz, so verwahrloßt sind, ist unbeschreiblich. Es gibt eine Menge Männer, Erwachsene u. s. w. die nicht einen Buchstaben lesen, oder schreiben können. Man sieht und hört nichts von Schul- anstalten. Ich habe mich bei Gelehrten darnach erkun- digt, sie wissen einem keine Nachricht zu geben. Vil- loison, der doch alles was Wissenschaft und Litteratur in Paris heist, haben soll, konnte mir nicht ein Wort von den pädagogischen Anstalten der Stadt sagen, konnte mir kein Buch zeigen, das in Schulen eingeführt ist, oder die Anfangsgründe der Wissenschaften, so wie sie jungen Leuten beigebracht werden, enthielte. In ihren Bücher-
ver-
bekuͤmmert ſich darum. Sobald aber ein Baͤrenfuͤhrer mit dem tanzenden Affen kommt, eine Hure, wie eine Koͤ- nigin geputzt, mit herausſchluͤpfenden Bruͤſten, am hel- len Tage vom Fenſter jedem geputzten Narren zupfeiſt und laut hinausruft; wenn ein Farcenmacher, ein Gaul- ler kommt, der ſchreit und das duͤmmſte Zeug macht; da ſammelt ſich gleich alles, alles iſt Ohr, ſchließt einen Kreis, gaft die Hure oder die Meerkatze an, und in Ge- ſellſchaften ſpricht man einen ganzen Tag davon. Jeder laͤuft ſeinen Trab fort. Man thut gros, borgt beſetz- te Kleider, um ein- oder zweimahl im Spektakel zu glaͤnzen, man gibt ſich fuͤr adlich, fuͤr graͤflich aus, nimmt von allen Dingen das Maul recht voll, und urtheilt in Tag hinein ꝛc. Wers nicht ſieht, glaubts nicht. Es gibt Leute, die gleich die Unterredung von der Religion anfangen, uͤber alles lachen, ſagen, ſie waͤren in Engel- land geweſen, da predige man ſelber auf den Kanzeln, daß das alles nicht wahr ſei, bieten ſich an, einen mit Paris recht bekannt zu machen, man ſolle ſich an ſie hal- ten, mit ihnen gehen, ſie haͤtten groſſe Connoiſſancen ꝛc. Wie die juͤngſten Kinder ſchon ſo ſtolz, ſo verwahrloßt ſind, iſt unbeſchreiblich. Es gibt eine Menge Maͤnner, Erwachſene u. ſ. w. die nicht einen Buchſtaben leſen, oder ſchreiben koͤnnen. Man ſieht und hoͤrt nichts von Schul- anſtalten. Ich habe mich bei Gelehrten darnach erkun- digt, ſie wiſſen einem keine Nachricht zu geben. Vil- loiſon, der doch alles was Wiſſenſchaft und Litteratur in Paris heiſt, haben ſoll, konnte mir nicht ein Wort von den paͤdagogiſchen Anſtalten der Stadt ſagen, konnte mir kein Buch zeigen, das in Schulen eingefuͤhrt iſt, oder die Anfangsgruͤnde der Wiſſenſchaften, ſo wie ſie jungen Leuten beigebracht werden, enthielte. In ihren Buͤcher-
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bekuͤmmert ſich darum. Sobald aber ein Baͤrenfuͤhrer
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len Tage vom Fenſter jedem geputzten Narren zupfeiſt
und laut hinausruft; wenn ein Farcenmacher, ein Gaul-
ler kommt, der ſchreit und das duͤmmſte Zeug macht;
da ſammelt ſich gleich alles, alles iſt Ohr, ſchließt einen
Kreis, gaft die Hure oder die Meerkatze an, und in Ge-
ſellſchaften ſpricht man einen ganzen Tag davon. Jeder
laͤuft ſeinen Trab fort. Man thut gros, borgt beſetz-
te Kleider, um ein- oder zweimahl im Spektakel zu
glaͤnzen, man gibt ſich fuͤr adlich, fuͤr graͤflich aus, nimmt
von allen Dingen das Maul recht voll, und urtheilt in
Tag hinein ꝛc. Wers nicht ſieht, glaubts nicht. Es
gibt Leute, die gleich die Unterredung von der Religion
anfangen, uͤber alles lachen, ſagen, ſie waͤren in Engel-
land geweſen, da predige man ſelber auf den Kanzeln,
daß das alles nicht wahr ſei, bieten ſich an, einen mit
Paris recht bekannt zu machen, man ſolle ſich an ſie hal-
ten, mit ihnen gehen, ſie haͤtten groſſe Connoiſſancen ꝛc.
Wie die juͤngſten Kinder ſchon ſo ſtolz, ſo verwahrloßt
ſind, iſt unbeſchreiblich. Es gibt eine Menge Maͤnner,
Erwachſene u. ſ. w. die nicht einen Buchſtaben leſen, oder
ſchreiben koͤnnen. Man ſieht und hoͤrt nichts von Schul-
anſtalten. Ich habe mich bei Gelehrten darnach erkun-
digt, ſie wiſſen einem keine Nachricht zu geben. Vil-
loiſon, der doch alles was Wiſſenſchaft und Litteratur in
Paris heiſt, haben ſoll, konnte mir nicht ein Wort von
den paͤdagogiſchen Anſtalten der Stadt ſagen, konnte mir
kein Buch zeigen, das in Schulen eingefuͤhrt iſt, oder
die Anfangsgruͤnde der Wiſſenſchaften, ſo wie ſie jungen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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