das Leben eines Menschen in Paris keinen grossen Werth hat; so gehen sie auch mit den andern Thieren grausam um. Uebertriebne Wollüstigkeit und Grausamkeit grän- zen nahe aneinander. Wahr ists, -- der Philosoph mags erklären -- wie eine Leidenschaft in die andre über- gehen kan. -- Ein Volk, das eine Ceremonien-Reli- gion hat, führt manches ein, ohne sich um die Sittlich- keit der Sache zu bekümmern. Ein Volk, das alles wagt und thut, was nur Zerstreuung, und Belustigung verschaffen kan, wird im höchsten Grad leichtsinnig und frivol.
Den 7ten Jul.
Le Cabinet de Mr. Sage bekam ich heute noch zu sehen. So wie jetzt in Paris D'Anbenton in der Thiergeschichte, Jussieu und Aublet in der Kräuter- kunde, Delisle in der Mineralogie, Portal in der Ana- tomie, Villoison in der Philologie, Delor, Rozier und Brisson in der Physik etc. gros sind, so ist Sage unstreitig einer der grösten französischen Chymicker. Er hat über 40. Jahr gearbeitet, und in seiner Mineral. docimastique ganz neue Ideen aufgestellt. Das Buch war eben fertig, als ich zu ihm kam, und ich habe davon einen Beweis seiner Freigebigkeit und Gefälligkeit gegen mich. Er wohnte im Jardin Royal, aber sein Kabi- net stand in der Rue de Sepulcre, wohl eine halbe Stunde von seiner Wohnung. In dem Kupferstiche vor seinem Buche ist er wohl getroffen. Er hat die Kör- per, welche die Natur schaft, zerlegt, und so lange unter- sucht, bis er im Stande war, die meisten nachzumachen. Sein Kabinet ist kein grosser Schauplatz, nur eine kleine Stube mit einigen Glasschränken, aber so klein die Stü-
cke
das Leben eines Menſchen in Paris keinen groſſen Werth hat; ſo gehen ſie auch mit den andern Thieren grauſam um. Uebertriebne Wolluͤſtigkeit und Grauſamkeit graͤn- zen nahe aneinander. Wahr iſts, — der Philoſoph mags erklaͤren — wie eine Leidenſchaft in die andre uͤber- gehen kan. — Ein Volk, das eine Ceremonien-Reli- gion hat, fuͤhrt manches ein, ohne ſich um die Sittlich- keit der Sache zu bekuͤmmern. Ein Volk, das alles wagt und thut, was nur Zerſtreuung, und Beluſtigung verſchaffen kan, wird im hoͤchſten Grad leichtſinnig und frivol.
Den 7ten Jul.
Le Cabinet de Mr. Sage bekam ich heute noch zu ſehen. So wie jetzt in Paris D’Anbenton in der Thiergeſchichte, Juſſieu und Aublet in der Kraͤuter- kunde, Delisle in der Mineralogie, Portal in der Ana- tomie, Villoiſon in der Philologie, Delor, Rozier und Briſſon in der Phyſik ꝛc. gros ſind, ſo iſt Sage unſtreitig einer der groͤſten franzoͤſiſchen Chymicker. Er hat uͤber 40. Jahr gearbeitet, und in ſeiner Mineral. docimaſtique ganz neue Ideen aufgeſtellt. Das Buch war eben fertig, als ich zu ihm kam, und ich habe davon einen Beweis ſeiner Freigebigkeit und Gefaͤlligkeit gegen mich. Er wohnte im Jardin Royal, aber ſein Kabi- net ſtand in der Rue de Sepulcre, wohl eine halbe Stunde von ſeiner Wohnung. In dem Kupferſtiche vor ſeinem Buche iſt er wohl getroffen. Er hat die Koͤr- per, welche die Natur ſchaft, zerlegt, und ſo lange unter- ſucht, bis er im Stande war, die meiſten nachzumachen. Sein Kabinet iſt kein groſſer Schauplatz, nur eine kleine Stube mit einigen Glasſchraͤnken, aber ſo klein die Stuͤ-
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das Leben eines Menſchen in Paris keinen groſſen Werth
hat; ſo gehen ſie auch mit den andern Thieren grauſam
um. Uebertriebne Wolluͤſtigkeit und Grauſamkeit graͤn-
zen nahe aneinander. Wahr iſts, — der Philoſoph
mags erklaͤren — wie eine Leidenſchaft in die andre uͤber-
gehen kan. — Ein Volk, das eine Ceremonien-Reli-
gion hat, fuͤhrt manches ein, ohne ſich um die Sittlich-
keit der Sache zu bekuͤmmern. Ein Volk, das alles
wagt und thut, was nur Zerſtreuung, und Beluſtigung
verſchaffen kan, wird im hoͤchſten Grad leichtſinnig und
frivol.
Den 7ten Jul.
Le Cabinet de Mr. Sage bekam ich heute noch
zu ſehen. So wie jetzt in Paris D’Anbenton in der
Thiergeſchichte, Juſſieu und Aublet in der Kraͤuter-
kunde, Delisle in der Mineralogie, Portal in der Ana-
tomie, Villoiſon in der Philologie, Delor, Rozier
und Briſſon in der Phyſik ꝛc. gros ſind, ſo iſt Sage
unſtreitig einer der groͤſten franzoͤſiſchen Chymicker. Er
hat uͤber 40. Jahr gearbeitet, und in ſeiner Mineral.
docimaſtique ganz neue Ideen aufgeſtellt. Das Buch
war eben fertig, als ich zu ihm kam, und ich habe davon
einen Beweis ſeiner Freigebigkeit und Gefaͤlligkeit gegen
mich. Er wohnte im Jardin Royal, aber ſein Kabi-
net ſtand in der Rue de Sepulcre, wohl eine halbe
Stunde von ſeiner Wohnung. In dem Kupferſtiche
vor ſeinem Buche iſt er wohl getroffen. Er hat die Koͤr-
per, welche die Natur ſchaft, zerlegt, und ſo lange unter-
ſucht, bis er im Stande war, die meiſten nachzumachen.
Sein Kabinet iſt kein groſſer Schauplatz, nur eine kleine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/372>, abgerufen am 25.11.2024.
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