wie ich, ihren Unwillen zu erkennen gab. Die Nym- phe hatte süssen Wein bei sich, und schenkte, so oft wir hielten, ihren beiden Galans ein. In Deutschland wird keine Braut, keine Frau ihrem Manne in Gegen- wart andrer, sonderlich Frauenzimmer, das erlauben, was dieses Weibsbild hier alle Augenblicke. Sie stiegen einmahl aus, und der alte Geck langte mit dem Stock den Pferden an die Ruthe, und zeigte sie seiner Gesell- schaft. -- Ah, qu'il etoit indigne! doch ich erin- nerte mich, daß ich noch in Frankreich wäre, -- und stieg bald ab, und saß hernach die ganze Reise durch, aussen im Cabriolet bei einem Commis, der viel höfli- cher war, als der, den ich von Strasburg nach Paris hatte.
Es war beständig ein sonderbares Wetter. Bis- her Regenwetter, nun Hitze, und doch stieg um 6. Uhr einer der dicksten Nebel auf, und es ward recht kalt, bis gegen 8. Uhr die Sonne kam. Um 4. Uhr des Mor- gens war noch das heiterste Wetter. Oft ward es am Tage so dunkel, daß man gleich Regen vermuthete, und doch kam keiner.
Die Armuth ist hier bei den gemeinen Leuten gros. Kaum hält der Wagen, so sind überall Bettler da, und man sieht keine Anstalten dagegen. Es ist betrübt und schrecklich zu hören, wenn junge Buben lateinische und französische Gebetsformeln, Vater Unser, Ave Ma- ria, und dergleichen, die sie gewis nicht verstehen, her- plappern. Man kan sich vorstellen, wie diese Buben das Mönchslatein aussprechen, Z. B. frictus vantris tui etc. Man sieht auch überall Strohdächer.
Ueber
wie ich, ihren Unwillen zu erkennen gab. Die Nym- phe hatte ſuͤſſen Wein bei ſich, und ſchenkte, ſo oft wir hielten, ihren beiden Galans ein. In Deutſchland wird keine Braut, keine Frau ihrem Manne in Gegen- wart andrer, ſonderlich Frauenzimmer, das erlauben, was dieſes Weibsbild hier alle Augenblicke. Sie ſtiegen einmahl aus, und der alte Geck langte mit dem Stock den Pferden an die Ruthe, und zeigte ſie ſeiner Geſell- ſchaft. — Ah, qu’il etoit indigne! doch ich erin- nerte mich, daß ich noch in Frankreich waͤre, — und ſtieg bald ab, und ſaß hernach die ganze Reiſe durch, auſſen im Cabriolet bei einem Commis, der viel hoͤfli- cher war, als der, den ich von Strasburg nach Paris hatte.
Es war beſtaͤndig ein ſonderbares Wetter. Bis- her Regenwetter, nun Hitze, und doch ſtieg um 6. Uhr einer der dickſten Nebel auf, und es ward recht kalt, bis gegen 8. Uhr die Sonne kam. Um 4. Uhr des Mor- gens war noch das heiterſte Wetter. Oft ward es am Tage ſo dunkel, daß man gleich Regen vermuthete, und doch kam keiner.
Die Armuth iſt hier bei den gemeinen Leuten gros. Kaum haͤlt der Wagen, ſo ſind uͤberall Bettler da, und man ſieht keine Anſtalten dagegen. Es iſt betruͤbt und ſchrecklich zu hoͤren, wenn junge Buben lateiniſche und franzoͤſiſche Gebetsformeln, Vater Unſer, Ave Ma- ria, und dergleichen, die ſie gewis nicht verſtehen, her- plappern. Man kan ſich vorſtellen, wie dieſe Buben das Moͤnchslatein ausſprechen, Z. B. frictus vantris tui etc. Man ſieht auch uͤberall Strohdaͤcher.
Ueber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0412"n="388"/>
wie ich, ihren Unwillen zu erkennen gab. Die Nym-<lb/>
phe hatte ſuͤſſen Wein bei ſich, und ſchenkte, ſo oft wir<lb/>
hielten, ihren beiden Galans ein. In <hirendition="#fr">Deutſchland</hi><lb/>
wird keine Braut, keine Frau ihrem Manne in Gegen-<lb/>
wart andrer, ſonderlich Frauenzimmer, das erlauben,<lb/>
was dieſes Weibsbild hier alle Augenblicke. Sie ſtiegen<lb/>
einmahl aus, und der alte Geck langte mit dem Stock<lb/>
den Pferden an die Ruthe, und zeigte ſie ſeiner Geſell-<lb/>ſchaft. —<hirendition="#aq">Ah, qu’il etoit indigne!</hi> doch ich erin-<lb/>
nerte mich, daß ich noch in <hirendition="#fr">Frankreich</hi> waͤre, — und<lb/>ſtieg bald ab, und ſaß hernach die ganze Reiſe durch,<lb/>
auſſen im Cabriolet bei einem Commis, der viel hoͤfli-<lb/>
cher war, als der, den ich von <hirendition="#fr">Strasburg</hi> nach <hirendition="#fr">Paris</hi><lb/>
hatte.</p><lb/><p>Es war beſtaͤndig ein ſonderbares <hirendition="#fr">Wetter.</hi> Bis-<lb/>
her Regenwetter, nun Hitze, und doch ſtieg um 6. Uhr<lb/>
einer der dickſten Nebel auf, und es ward recht kalt, bis<lb/>
gegen 8. Uhr die Sonne kam. Um 4. Uhr des Mor-<lb/>
gens war noch das heiterſte Wetter. Oft ward es am<lb/>
Tage ſo dunkel, daß man gleich Regen vermuthete, und<lb/>
doch kam keiner.</p><lb/><p>Die <hirendition="#fr">Armuth</hi> iſt hier bei den gemeinen Leuten gros.<lb/>
Kaum haͤlt der Wagen, ſo ſind uͤberall Bettler da, und<lb/>
man ſieht keine Anſtalten dagegen. Es iſt betruͤbt und<lb/>ſchrecklich zu hoͤren, wenn junge Buben lateiniſche und<lb/>
franzoͤſiſche Gebetsformeln, Vater Unſer, Ave Ma-<lb/>
ria, und dergleichen, die ſie gewis nicht verſtehen, her-<lb/>
plappern. Man kan ſich vorſtellen, wie dieſe Buben<lb/>
das Moͤnchslatein ausſprechen, Z. B. <hirendition="#aq">frictus vantris<lb/>
tui etc.</hi> Man ſieht auch uͤberall Strohdaͤcher.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ueber</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[388/0412]
wie ich, ihren Unwillen zu erkennen gab. Die Nym-
phe hatte ſuͤſſen Wein bei ſich, und ſchenkte, ſo oft wir
hielten, ihren beiden Galans ein. In Deutſchland
wird keine Braut, keine Frau ihrem Manne in Gegen-
wart andrer, ſonderlich Frauenzimmer, das erlauben,
was dieſes Weibsbild hier alle Augenblicke. Sie ſtiegen
einmahl aus, und der alte Geck langte mit dem Stock
den Pferden an die Ruthe, und zeigte ſie ſeiner Geſell-
ſchaft. — Ah, qu’il etoit indigne! doch ich erin-
nerte mich, daß ich noch in Frankreich waͤre, — und
ſtieg bald ab, und ſaß hernach die ganze Reiſe durch,
auſſen im Cabriolet bei einem Commis, der viel hoͤfli-
cher war, als der, den ich von Strasburg nach Paris
hatte.
Es war beſtaͤndig ein ſonderbares Wetter. Bis-
her Regenwetter, nun Hitze, und doch ſtieg um 6. Uhr
einer der dickſten Nebel auf, und es ward recht kalt, bis
gegen 8. Uhr die Sonne kam. Um 4. Uhr des Mor-
gens war noch das heiterſte Wetter. Oft ward es am
Tage ſo dunkel, daß man gleich Regen vermuthete, und
doch kam keiner.
Die Armuth iſt hier bei den gemeinen Leuten gros.
Kaum haͤlt der Wagen, ſo ſind uͤberall Bettler da, und
man ſieht keine Anſtalten dagegen. Es iſt betruͤbt und
ſchrecklich zu hoͤren, wenn junge Buben lateiniſche und
franzoͤſiſche Gebetsformeln, Vater Unſer, Ave Ma-
ria, und dergleichen, die ſie gewis nicht verſtehen, her-
plappern. Man kan ſich vorſtellen, wie dieſe Buben
das Moͤnchslatein ausſprechen, Z. B. frictus vantris
tui etc. Man ſieht auch uͤberall Strohdaͤcher.
Ueber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/412>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.