ten die feinsten Spitzen daraus. Man sieht mit Er- staunen, wie kleine Kinder die schönsten Desseins mit vie- ler Leichtigkeit und Geschicklichkeit machen. Jedes hat ein Klöppelküssen mit braunem Papier vor sich, und ar- beitet oft mit 200, mit 400. Klöppeln, die alle aus Buchs- baumholz gemacht sind. Die Kinder sahen alle gesund, heiter und munter aus, waren wohl gekleidet, im Saal herrschte überall Ordnung und Stille, und doch waren sie gar nicht schüchtern gegen den Fremden. Es ist unten eine eigne Kapelle für die Kinder, wo sie die Messe hö- ren; an dieser Kapelle ist viel Baukunst, das Schiff der Kirche ist ein herrliches Gewölbe. Die Mädchen und Frauen stehen oben auf einer Gallerie, die mit einem ei- sernen Gitter eingefaßt ist. Unter ihnen sitzen die Vor- steherinnen und Lehrerinnen auf Stühlen. Hinter ih- nen sind die Knaben und Männer, so daß sie jene oben gar nicht sehen können. Der übrige Theil der Kirche ist für die Leute aus der Stadt. Auch das Refectorium oder der Speisesaal ist für beide Geschlechter abgetheilt. Sie essen aus hölzernen Schüsseln, und bekommen Bier aus grossen Schleifkannen. In der Küche fand ich al- les sehr reinlich, und viel messingenes Geräthe. Man kocht ihnen viel Suppe, Gersten, Gemüse. Es sah al- les sehr appetitlich aus; man richtete eben die Suppe an. Das Brot war freilich in grossen Brocken eingeschnitten. Alle 14. Tage bekommen sie Kuhfleisch. In einer an- dern Stube war ein andrer bessrer Tisch für die Aufsehe- rinnen gedeckt. Für die Mannspersonen sind keine Leh- rer da, man läßt sie in der Stadt das Handwerk lernen, wozu sie Lust haben, sie kamen aber eben um halb 1. Uhr zurück, und setzten sich zu Tische. Man führte mich auch zu den Narren und Verrückten; denn der Bediente aus
der
ten die feinſten Spitzen daraus. Man ſieht mit Er- ſtaunen, wie kleine Kinder die ſchoͤnſten Deſſeins mit vie- ler Leichtigkeit und Geſchicklichkeit machen. Jedes hat ein Kloͤppelkuͤſſen mit braunem Papier vor ſich, und ar- beitet oft mit 200, mit 400. Kloͤppeln, die alle aus Buchs- baumholz gemacht ſind. Die Kinder ſahen alle geſund, heiter und munter aus, waren wohl gekleidet, im Saal herrſchte uͤberall Ordnung und Stille, und doch waren ſie gar nicht ſchuͤchtern gegen den Fremden. Es iſt unten eine eigne Kapelle fuͤr die Kinder, wo ſie die Meſſe hoͤ- ren; an dieſer Kapelle iſt viel Baukunſt, das Schiff der Kirche iſt ein herrliches Gewoͤlbe. Die Maͤdchen und Frauen ſtehen oben auf einer Gallerie, die mit einem ei- ſernen Gitter eingefaßt iſt. Unter ihnen ſitzen die Vor- ſteherinnen und Lehrerinnen auf Stuͤhlen. Hinter ih- nen ſind die Knaben und Maͤnner, ſo daß ſie jene oben gar nicht ſehen koͤnnen. Der uͤbrige Theil der Kirche iſt fuͤr die Leute aus der Stadt. Auch das Refectorium oder der Speiſeſaal iſt fuͤr beide Geſchlechter abgetheilt. Sie eſſen aus hoͤlzernen Schuͤſſeln, und bekommen Bier aus groſſen Schleifkannen. In der Kuͤche fand ich al- les ſehr reinlich, und viel meſſingenes Geraͤthe. Man kocht ihnen viel Suppe, Gerſten, Gemuͤſe. Es ſah al- les ſehr appetitlich aus; man richtete eben die Suppe an. Das Brot war freilich in groſſen Brocken eingeſchnitten. Alle 14. Tage bekommen ſie Kuhfleiſch. In einer an- dern Stube war ein andrer beſſrer Tiſch fuͤr die Aufſehe- rinnen gedeckt. Fuͤr die Mannsperſonen ſind keine Leh- rer da, man laͤßt ſie in der Stadt das Handwerk lernen, wozu ſie Luſt haben, ſie kamen aber eben um halb 1. Uhr zuruͤck, und ſetzten ſich zu Tiſche. Man fuͤhrte mich auch zu den Narren und Verruͤckten; denn der Bediente aus
der
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ten die feinſten Spitzen daraus. Man ſieht mit Er-
ſtaunen, wie kleine Kinder die ſchoͤnſten Deſſeins mit vie-
ler Leichtigkeit und Geſchicklichkeit machen. Jedes hat
ein Kloͤppelkuͤſſen mit braunem Papier vor ſich, und ar-
beitet oft mit 200, mit 400. Kloͤppeln, die alle aus Buchs-
baumholz gemacht ſind. Die Kinder ſahen alle geſund,
heiter und munter aus, waren wohl gekleidet, im Saal
herrſchte uͤberall Ordnung und Stille, und doch waren ſie
gar nicht ſchuͤchtern gegen den Fremden. Es iſt unten
eine eigne Kapelle fuͤr die Kinder, wo ſie die Meſſe hoͤ-
ren; an dieſer Kapelle iſt viel Baukunſt, das Schiff der
Kirche iſt ein herrliches Gewoͤlbe. Die Maͤdchen und
Frauen ſtehen oben auf einer Gallerie, die mit einem ei-
ſernen Gitter eingefaßt iſt. Unter ihnen ſitzen die Vor-
ſteherinnen und Lehrerinnen auf Stuͤhlen. Hinter ih-
nen ſind die Knaben und Maͤnner, ſo daß ſie jene oben
gar nicht ſehen koͤnnen. Der uͤbrige Theil der Kirche iſt
fuͤr die Leute aus der Stadt. Auch das Refectorium
oder der Speiſeſaal iſt fuͤr beide Geſchlechter abgetheilt.
Sie eſſen aus hoͤlzernen Schuͤſſeln, und bekommen Bier
aus groſſen Schleifkannen. In der Kuͤche fand ich al-
les ſehr reinlich, und viel meſſingenes Geraͤthe. Man
kocht ihnen viel Suppe, Gerſten, Gemuͤſe. Es ſah al-
les ſehr appetitlich aus; man richtete eben die Suppe an.
Das Brot war freilich in groſſen Brocken eingeſchnitten.
Alle 14. Tage bekommen ſie Kuhfleiſch. In einer an-
dern Stube war ein andrer beſſrer Tiſch fuͤr die Aufſehe-
rinnen gedeckt. Fuͤr die Mannsperſonen ſind keine Leh-
rer da, man laͤßt ſie in der Stadt das Handwerk lernen,
wozu ſie Luſt haben, ſie kamen aber eben um halb 1. Uhr
zuruͤck, und ſetzten ſich zu Tiſche. Man fuͤhrte mich auch
zu den Narren und Verruͤckten; denn der Bediente aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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