de Muschel hat eine Membrane über sich, aber diese steckt gewöhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo- gelei ist, kalkicht, weis, hart, rund etc.
Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht fertig. Auf den Sonntag Vormittag sollt' ich fest wieder beikommen, wie der Holländer deutsch redet. Von da besuchte ich
Hrn. Lyonet und sein Konchylienkabinet. Ach das war ein festlicher Abend für mich bei dem Manne, dem die Natur so viel Schönes aufgedeckt hat! Ich hat- te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er hier sei; so schickt' ich den Bedienten zu ihm, und lies mich melden. Ich ward gleich diesen Abend bestellt, und er lies mir sagen, ich sollte nicht fehlen, damit wir allein wären. Ich fand einen siebzigjährigen Mann, aber im Schoosse der Naturfreuden erzogen und grau gewor- den, und wenn die Rede von seiner Lieblingswissenschaft ist, noch so munter und lebhaft, als ich. So ein Alter, o Gott, ists dein Wille, daß ich so alt werden soll! -- In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er schickte den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al- lein mit dem Manne, der mich so viel lehren sollte. Das Vergnügen, die grosse edle Ruhe, die sich allemahl in meiner Seele verbreitet, wenn ich in Gesellschaft mit so einem Naturforscher bin, ist mir kostbar aber unbeschreib- lich. Lyonet erzählte mir von seinen Lebensumständen, von seinen Studien, von seinem Amte, seiner jetzigen Lage etc. Er hat in Leyden erst Theologie studirt, *)
ist
*) Schon damahls lies er grosse Talente und Neigung zur Kunst blicken; denn er schnitzte blos mit einem
Feder-
de Muſchel hat eine Membrane uͤber ſich, aber dieſe ſteckt gewoͤhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo- gelei iſt, kalkicht, weis, hart, rund ꝛc.
Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht fertig. Auf den Sonntag Vormittag ſollt’ ich feſt wieder beikommen, wie der Hollaͤnder deutſch redet. Von da beſuchte ich
Hrn. Lyonet und ſein Konchylienkabinet. Ach das war ein feſtlicher Abend fuͤr mich bei dem Manne, dem die Natur ſo viel Schoͤnes aufgedeckt hat! Ich hat- te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er hier ſei; ſo ſchickt’ ich den Bedienten zu ihm, und lies mich melden. Ich ward gleich dieſen Abend beſtellt, und er lies mir ſagen, ich ſollte nicht fehlen, damit wir allein waͤren. Ich fand einen ſiebzigjaͤhrigen Mann, aber im Schooſſe der Naturfreuden erzogen und grau gewor- den, und wenn die Rede von ſeiner Lieblingswiſſenſchaft iſt, noch ſo munter und lebhaft, als ich. So ein Alter, o Gott, iſts dein Wille, daß ich ſo alt werden ſoll! — In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er ſchickte den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al- lein mit dem Manne, der mich ſo viel lehren ſollte. Das Vergnuͤgen, die groſſe edle Ruhe, die ſich allemahl in meiner Seele verbreitet, wenn ich in Geſellſchaft mit ſo einem Naturforſcher bin, iſt mir koſtbar aber unbeſchreib- lich. Lyonet erzaͤhlte mir von ſeinen Lebensumſtaͤnden, von ſeinen Studien, von ſeinem Amte, ſeiner jetzigen Lage ꝛc. Er hat in Leyden erſt Theologie ſtudirt, *)
iſt
*) Schon damahls lies er groſſe Talente und Neigung zur Kunſt blicken; denn er ſchnitzte blos mit einem
Feder-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0517"n="493"/>
de Muſchel hat eine Membrane uͤber ſich, aber dieſe ſteckt<lb/>
gewoͤhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo-<lb/>
gelei iſt, kalkicht, weis, hart, rund ꝛc.</p><lb/><p>Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der<lb/>
ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht<lb/>
fertig. Auf den Sonntag Vormittag <hirendition="#fr">ſollt’ ich feſt<lb/>
wieder beikommen,</hi> wie der Hollaͤnder deutſch redet.<lb/>
Von da beſuchte ich</p><lb/><p><hirendition="#fr">Hrn. Lyonet und ſein Konchylienkabinet.</hi> Ach<lb/>
das war ein feſtlicher Abend fuͤr mich bei dem Manne,<lb/>
dem die Natur ſo viel Schoͤnes aufgedeckt hat! Ich hat-<lb/>
te kaum erfahren, daß <hirendition="#fr">Lyonet</hi> noch lebe, und daß er<lb/>
hier ſei; ſo ſchickt’ ich den Bedienten zu ihm, und lies<lb/>
mich melden. Ich ward gleich dieſen Abend beſtellt,<lb/>
und er lies mir ſagen, ich ſollte nicht fehlen, damit wir<lb/>
allein waͤren. Ich fand einen ſiebzigjaͤhrigen Mann, aber<lb/>
im Schooſſe der Naturfreuden erzogen und grau gewor-<lb/>
den, und wenn die Rede von ſeiner Lieblingswiſſenſchaft<lb/>
iſt, noch ſo munter und lebhaft, als ich. So ein Alter,<lb/>
o Gott, iſts dein Wille, daß ich ſo alt werden ſoll! —<lb/>
In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er ſchickte<lb/>
den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al-<lb/>
lein mit dem Manne, der mich ſo viel lehren ſollte. Das<lb/>
Vergnuͤgen, die groſſe edle Ruhe, die ſich allemahl in<lb/>
meiner Seele verbreitet, wenn ich in Geſellſchaft mit ſo<lb/>
einem Naturforſcher bin, iſt mir koſtbar aber unbeſchreib-<lb/>
lich. <hirendition="#fr">Lyonet</hi> erzaͤhlte mir von ſeinen Lebensumſtaͤnden,<lb/>
von ſeinen Studien, von ſeinem Amte, ſeiner jetzigen<lb/>
Lage ꝛc. Er hat in <hirendition="#fr">Leyden</hi> erſt Theologie ſtudirt, <notexml:id="fn11"next="#nfn11"place="foot"n="*)">Schon damahls lies er groſſe Talente und Neigung<lb/>
zur Kunſt blicken; denn er ſchnitzte blos mit einem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Feder-</fw></note><lb/><fwplace="bottom"type="catch">iſt</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[493/0517]
de Muſchel hat eine Membrane uͤber ſich, aber dieſe ſteckt
gewoͤhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo-
gelei iſt, kalkicht, weis, hart, rund ꝛc.
Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der
ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht
fertig. Auf den Sonntag Vormittag ſollt’ ich feſt
wieder beikommen, wie der Hollaͤnder deutſch redet.
Von da beſuchte ich
Hrn. Lyonet und ſein Konchylienkabinet. Ach
das war ein feſtlicher Abend fuͤr mich bei dem Manne,
dem die Natur ſo viel Schoͤnes aufgedeckt hat! Ich hat-
te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er
hier ſei; ſo ſchickt’ ich den Bedienten zu ihm, und lies
mich melden. Ich ward gleich dieſen Abend beſtellt,
und er lies mir ſagen, ich ſollte nicht fehlen, damit wir
allein waͤren. Ich fand einen ſiebzigjaͤhrigen Mann, aber
im Schooſſe der Naturfreuden erzogen und grau gewor-
den, und wenn die Rede von ſeiner Lieblingswiſſenſchaft
iſt, noch ſo munter und lebhaft, als ich. So ein Alter,
o Gott, iſts dein Wille, daß ich ſo alt werden ſoll! —
In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er ſchickte
den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al-
lein mit dem Manne, der mich ſo viel lehren ſollte. Das
Vergnuͤgen, die groſſe edle Ruhe, die ſich allemahl in
meiner Seele verbreitet, wenn ich in Geſellſchaft mit ſo
einem Naturforſcher bin, iſt mir koſtbar aber unbeſchreib-
lich. Lyonet erzaͤhlte mir von ſeinen Lebensumſtaͤnden,
von ſeinen Studien, von ſeinem Amte, ſeiner jetzigen
Lage ꝛc. Er hat in Leyden erſt Theologie ſtudirt, *)
iſt
*) Schon damahls lies er groſſe Talente und Neigung
zur Kunſt blicken; denn er ſchnitzte blos mit einem
Feder-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/517>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.