putzte das Licht. Sie erkundigte sich bey mir nach Mesd. Karschin, Reiske etc. von der sie ein Portrait hatte, und empfahl mir sehr das Kolise'e zu sehen, weil es fast ein Paradis terrestre wäre. Um halb 10. Uhr Nachts fuhren wir fort.
Bemerkungen.
Bisher war in Paris beständig Regenwetter. Kein Tag verging, an dems nicht etlichemahl anfing, und überall war ein heßlicher Koth. Noch spürte man gar nichts von der Sommerhitze. Man sieht auch sel- ten die Sonne. Zwischen den hohen Häusern erblickt man immer nur einen kleinen Streifen vom Himmel. Es gibt viele Leute hier, die gar nicht wissen was Wind ist; denn den physischen Wind spürt man in der Stadt gar nicht. Für viele Deutsche ist das sehr unangenehm, sie könnens nicht gewohnen und werden krank.
Besuche kan man hier keinem vor 11. Uhr Vormit- tags, und 4. Uhr Nachmittags machen. Auch geht keine Bibliothek vor 9. Uhr auf, die meisten erst um 10. Viele Visiten macht man erst Abends um 6. 7. Uhr. Morgens kan man vor halb 7. Uhr keinen Bedienten, keine Tasse Kaffee etc. bekommen.
Jetzt war's Mode, mit grossen schwarzblauen Stecknadeln zu frisiren. Tuppe'e und Locken wurden damit gesteckt, und jeder lachte über die doppelten Haar- nadeln der Deutschen.
In den Strassen laufen beständig Bierfiedler, Musikanten, Sänger etc. herum, wahre Müssiggänger und Bettler.
Es
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putzte das Licht. Sie erkundigte ſich bey mir nach Mesd. Karſchin, Reiske ꝛc. von der ſie ein Portrait hatte, und empfahl mir ſehr das Koliſe’e zu ſehen, weil es faſt ein Paradis terreſtre waͤre. Um halb 10. Uhr Nachts fuhren wir fort.
Bemerkungen.
Bisher war in Paris beſtaͤndig Regenwetter. Kein Tag verging, an dems nicht etlichemahl anfing, und uͤberall war ein heßlicher Koth. Noch ſpuͤrte man gar nichts von der Sommerhitze. Man ſieht auch ſel- ten die Sonne. Zwiſchen den hohen Haͤuſern erblickt man immer nur einen kleinen Streifen vom Himmel. Es gibt viele Leute hier, die gar nicht wiſſen was Wind iſt; denn den phyſiſchen Wind ſpuͤrt man in der Stadt gar nicht. Fuͤr viele Deutſche iſt das ſehr unangenehm, ſie koͤnnens nicht gewohnen und werden krank.
Beſuche kan man hier keinem vor 11. Uhr Vormit- tags, und 4. Uhr Nachmittags machen. Auch geht keine Bibliothek vor 9. Uhr auf, die meiſten erſt um 10. Viele Viſiten macht man erſt Abends um 6. 7. Uhr. Morgens kan man vor halb 7. Uhr keinen Bedienten, keine Taſſe Kaffee ꝛc. bekommen.
Jetzt war’s Mode, mit groſſen ſchwarzblauen Stecknadeln zu friſiren. Tuppe’e und Locken wurden damit geſteckt, und jeder lachte uͤber die doppelten Haar- nadeln der Deutſchen.
In den Straſſen laufen beſtaͤndig Bierfiedler, Muſikanten, Saͤnger ꝛc. herum, wahre Muͤſſiggaͤnger und Bettler.
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putzte das Licht. Sie erkundigte ſich bey mir nach Mesd.
Karſchin, Reiske ꝛc. von der ſie ein Portrait hatte,
und empfahl mir ſehr das Koliſe’e zu ſehen, weil es faſt
ein Paradis terreſtre waͤre. Um halb 10. Uhr Nachts
fuhren wir fort.
Bemerkungen.
Bisher war in Paris beſtaͤndig Regenwetter.
Kein Tag verging, an dems nicht etlichemahl anfing,
und uͤberall war ein heßlicher Koth. Noch ſpuͤrte man
gar nichts von der Sommerhitze. Man ſieht auch ſel-
ten die Sonne. Zwiſchen den hohen Haͤuſern erblickt
man immer nur einen kleinen Streifen vom Himmel.
Es gibt viele Leute hier, die gar nicht wiſſen was Wind
iſt; denn den phyſiſchen Wind ſpuͤrt man in der Stadt
gar nicht. Fuͤr viele Deutſche iſt das ſehr unangenehm,
ſie koͤnnens nicht gewohnen und werden krank.
Beſuche kan man hier keinem vor 11. Uhr Vormit-
tags, und 4. Uhr Nachmittags machen. Auch geht
keine Bibliothek vor 9. Uhr auf, die meiſten erſt um 10.
Viele Viſiten macht man erſt Abends um 6. 7. Uhr.
Morgens kan man vor halb 7. Uhr keinen Bedienten,
keine Taſſe Kaffee ꝛc. bekommen.
Jetzt war’s Mode, mit groſſen ſchwarzblauen
Stecknadeln zu friſiren. Tuppe’e und Locken wurden
damit geſteckt, und jeder lachte uͤber die doppelten Haar-
nadeln der Deutſchen.
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und Bettler.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/81>, abgerufen am 24.11.2024.
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