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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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klagte gegen uns über Mangel an Unterstützung.
Sie hat eine Pension von nur 400. Livres, war übel ge-
kleidet, und schien mit dem hohen Alter kleinmüthig ge-
worden zu seyn. Was sie sprach, war wohl überdacht
und gut ausgedruckt, aber es schien immer, als wenn sie
auf ihre schöne Arbeit weinen wollte. Thut's nicht dem
Freund der Menschheit in der Seele weh, wenn der Tau-
genichts in der weichen Karosse liegt, und auf wollüstige
Eroberungen sinnt, die sein Geld möglich machen soll,
indes die Kunst, das Verdienst, der Fleis, die schönste
Beschäftigung, unter dem Druck der Dürftigkeit
schmachtet, und seine Seufzer nicht laut genug auslas-
sen kan? Zum Unglück für die vortrefliche Künstlerin war
unser Kaiser, als er Kabinet und Garten besah, durch
die Gobelinsmanufakturen so ermüdet, daß er sich da
nur sehr kurz aufhielt, und Jussieu, der ihm den Garten
wies, unmöglich ihn auf dieses Frauenzimmer aufmerksam
machen konnte. Wir trafen in dieser Gesellschaft noch
die Demoiselle Biheron *) an. Auch lernte ich

Mad. de Bure kennen. Sie ist die Frau eines
Buchhändlers, und besitzt sehr viel Belesenheit und ge-
sunde Beurtheilungskraft. In ihrem Hause kommen
oft viele Pariser und fremde Gelehrte zusammen. Sie
spricht nicht gar viel, und das Französische hab' ich
schon von andern besser sprechen gehört. Sie ist gros,
hat ein blasses Gesicht, und eine etwas harte Stimme;
ihr Putz war mässig, ihre zwei Töchter waren sehr an sie
attachirt. Die ganze Stube war mit Büchern garnirt.
Der Mann stand ziemlich im Schatten, schwieg still und

putzte
*) Von dieser Künstlerin weiter unten weitläuftiger.

klagte gegen uns uͤber Mangel an Unterſtuͤtzung.
Sie hat eine Penſion von nur 400. Livres, war uͤbel ge-
kleidet, und ſchien mit dem hohen Alter kleinmuͤthig ge-
worden zu ſeyn. Was ſie ſprach, war wohl uͤberdacht
und gut ausgedruckt, aber es ſchien immer, als wenn ſie
auf ihre ſchoͤne Arbeit weinen wollte. Thut’s nicht dem
Freund der Menſchheit in der Seele weh, wenn der Tau-
genichts in der weichen Karoſſe liegt, und auf wolluͤſtige
Eroberungen ſinnt, die ſein Geld moͤglich machen ſoll,
indes die Kunſt, das Verdienſt, der Fleis, die ſchoͤnſte
Beſchaͤftigung, unter dem Druck der Duͤrftigkeit
ſchmachtet, und ſeine Seufzer nicht laut genug auslaſ-
ſen kan? Zum Ungluͤck fuͤr die vortrefliche Kuͤnſtlerin war
unſer Kaiſer, als er Kabinet und Garten beſah, durch
die Gobelinsmanufakturen ſo ermuͤdet, daß er ſich da
nur ſehr kurz aufhielt, und Juſſieu, der ihm den Garten
wies, unmoͤglich ihn auf dieſes Frauenzimmer aufmerkſam
machen konnte. Wir trafen in dieſer Geſellſchaft noch
die Demoiſelle Biheron *) an. Auch lernte ich

Mad. de Bure kennen. Sie iſt die Frau eines
Buchhaͤndlers, und beſitzt ſehr viel Beleſenheit und ge-
ſunde Beurtheilungskraft. In ihrem Hauſe kommen
oft viele Pariſer und fremde Gelehrte zuſammen. Sie
ſpricht nicht gar viel, und das Franzoͤſiſche hab’ ich
ſchon von andern beſſer ſprechen gehoͤrt. Sie iſt gros,
hat ein blaſſes Geſicht, und eine etwas harte Stimme;
ihr Putz war maͤſſig, ihre zwei Toͤchter waren ſehr an ſie
attachirt. Die ganze Stube war mit Buͤchern garnirt.
Der Mann ſtand ziemlich im Schatten, ſchwieg ſtill und

putzte
*) Von dieſer Kuͤnſtlerin weiter unten weitlaͤuftiger.
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[56/0080] klagte gegen uns uͤber Mangel an Unterſtuͤtzung. Sie hat eine Penſion von nur 400. Livres, war uͤbel ge- kleidet, und ſchien mit dem hohen Alter kleinmuͤthig ge- worden zu ſeyn. Was ſie ſprach, war wohl uͤberdacht und gut ausgedruckt, aber es ſchien immer, als wenn ſie auf ihre ſchoͤne Arbeit weinen wollte. Thut’s nicht dem Freund der Menſchheit in der Seele weh, wenn der Tau- genichts in der weichen Karoſſe liegt, und auf wolluͤſtige Eroberungen ſinnt, die ſein Geld moͤglich machen ſoll, indes die Kunſt, das Verdienſt, der Fleis, die ſchoͤnſte Beſchaͤftigung, unter dem Druck der Duͤrftigkeit ſchmachtet, und ſeine Seufzer nicht laut genug auslaſ- ſen kan? Zum Ungluͤck fuͤr die vortrefliche Kuͤnſtlerin war unſer Kaiſer, als er Kabinet und Garten beſah, durch die Gobelinsmanufakturen ſo ermuͤdet, daß er ſich da nur ſehr kurz aufhielt, und Juſſieu, der ihm den Garten wies, unmoͤglich ihn auf dieſes Frauenzimmer aufmerkſam machen konnte. Wir trafen in dieſer Geſellſchaft noch die Demoiſelle Biheron *) an. Auch lernte ich Mad. de Bure kennen. Sie iſt die Frau eines Buchhaͤndlers, und beſitzt ſehr viel Beleſenheit und ge- ſunde Beurtheilungskraft. In ihrem Hauſe kommen oft viele Pariſer und fremde Gelehrte zuſammen. Sie ſpricht nicht gar viel, und das Franzoͤſiſche hab’ ich ſchon von andern beſſer ſprechen gehoͤrt. Sie iſt gros, hat ein blaſſes Geſicht, und eine etwas harte Stimme; ihr Putz war maͤſſig, ihre zwei Toͤchter waren ſehr an ſie attachirt. Die ganze Stube war mit Buͤchern garnirt. Der Mann ſtand ziemlich im Schatten, ſchwieg ſtill und putzte *) Von dieſer Kuͤnſtlerin weiter unten weitlaͤuftiger.

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/80>, abgerufen am 24.11.2024.