Tobak wächst hier auch nicht mehr. Sonderbar ist es, daß nach der Versicherung mehrerer Leute die Gerste hier ausräth. Die Altinger holen Gerste in Rotenburg, brauen Bier daraus, und führen es nach der Schweiz, wo es theurer ist, als Wein, und nehmen dafür rothen und weissen Schafhauser Wein, den ich auch hier zum erstenmal fand. Auch ist es ein Mangel für Altingen, daß in der ganzen Gegend kein grosses Wasser ist. Fast alle Häuser sind noch mit Schindeln von Tannenholz ge- deckt. Diese Dächer sind nur einfach, und halten doch 60-80. Jahre, wenn man nur jede Lücke gleich im An- fange wieder zumacht. Sie rühmen diese Dächer, weil sie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent- standenem Feuer sind sie sehr gefährlich, weil sie ausein- ander springen. Ziegel können sie auch nicht leicht in der Nähe haben, und ihre Waldungen sind auf der Seite nach Doneschingen zu sehr beträchtlich. Die Weiber gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in die Kirche, schwarz, weisse Hinterklappen, rothe Strüm- pfe und kurze Röcke. Das ist eine von ihnen selbst ein- geführte Kleiderordnung. Die kurzen Röcke, sagen sie, wären zum Bergsteigen und Arbeiten bequemer und fast unentbehrlich.
Von dort geht der viel bessere und angenehmere Weg nach Duttlingen, meist über katholische Dörfer, wo der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En- de ist. Immer eine angreifende Empfindung für mich, im herrlichsten, fruchtbarsten Lande so viele Bettler! So viel Aberglauben und Blindheit! So viel --
Man ist hier nicht weit vom Ursprung der Donau; bei Duttlingen fließt sie vorbei, und ihr Anfang ist
6. Stun-
Tobak waͤchſt hier auch nicht mehr. Sonderbar iſt es, daß nach der Verſicherung mehrerer Leute die Gerſte hier ausraͤth. Die Altinger holen Gerſte in Rotenburg, brauen Bier daraus, und fuͤhren es nach der Schweiz, wo es theurer iſt, als Wein, und nehmen dafuͤr rothen und weiſſen Schafhauſer Wein, den ich auch hier zum erſtenmal fand. Auch iſt es ein Mangel fuͤr Altingen, daß in der ganzen Gegend kein groſſes Waſſer iſt. Faſt alle Haͤuſer ſind noch mit Schindeln von Tannenholz ge- deckt. Dieſe Daͤcher ſind nur einfach, und halten doch 60-80. Jahre, wenn man nur jede Luͤcke gleich im An- fange wieder zumacht. Sie ruͤhmen dieſe Daͤcher, weil ſie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent- ſtandenem Feuer ſind ſie ſehr gefaͤhrlich, weil ſie ausein- ander ſpringen. Ziegel koͤnnen ſie auch nicht leicht in der Naͤhe haben, und ihre Waldungen ſind auf der Seite nach Doneſchingen zu ſehr betraͤchtlich. Die Weiber gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in die Kirche, ſchwarz, weiſſe Hinterklappen, rothe Struͤm- pfe und kurze Roͤcke. Das iſt eine von ihnen ſelbſt ein- gefuͤhrte Kleiderordnung. Die kurzen Roͤcke, ſagen ſie, waͤren zum Bergſteigen und Arbeiten bequemer und faſt unentbehrlich.
Von dort geht der viel beſſere und angenehmere Weg nach Duttlingen, meiſt uͤber katholiſche Doͤrfer, wo der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En- de iſt. Immer eine angreifende Empfindung fuͤr mich, im herrlichſten, fruchtbarſten Lande ſo viele Bettler! So viel Aberglauben und Blindheit! So viel —
Man iſt hier nicht weit vom Urſprung der Donau; bei Duttlingen fließt ſie vorbei, und ihr Anfang iſt
6. Stun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0298"n="260"/>
Tobak waͤchſt hier auch nicht mehr. Sonderbar iſt es,<lb/>
daß nach der Verſicherung mehrerer Leute die <hirendition="#fr">Gerſte</hi> hier<lb/>
ausraͤth. Die <hirendition="#fr">Altinger</hi> holen Gerſte in <hirendition="#fr">Rotenburg,</hi><lb/>
brauen Bier daraus, und fuͤhren es nach der <hirendition="#fr">Schweiz,</hi><lb/>
wo es theurer iſt, als Wein, und nehmen dafuͤr rothen<lb/>
und weiſſen <hirendition="#fr">Schafhauſer</hi> Wein, den ich auch hier zum<lb/>
erſtenmal fand. Auch iſt es ein Mangel fuͤr <hirendition="#fr">Altingen,</hi><lb/>
daß in der ganzen Gegend kein groſſes Waſſer iſt. Faſt<lb/>
alle Haͤuſer ſind noch mit Schindeln von Tannenholz ge-<lb/>
deckt. Dieſe Daͤcher ſind nur einfach, und halten doch<lb/>
60-80. Jahre, wenn man nur jede Luͤcke gleich im An-<lb/>
fange wieder zumacht. Sie ruͤhmen dieſe Daͤcher, weil<lb/>ſie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent-<lb/>ſtandenem Feuer ſind ſie ſehr gefaͤhrlich, weil ſie ausein-<lb/>
ander ſpringen. Ziegel koͤnnen ſie auch nicht leicht in der<lb/>
Naͤhe haben, und ihre Waldungen ſind auf der Seite<lb/>
nach <hirendition="#fr">Doneſchingen</hi> zu ſehr betraͤchtlich. Die Weiber<lb/>
gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in<lb/>
die Kirche, ſchwarz, weiſſe Hinterklappen, rothe Struͤm-<lb/>
pfe und kurze Roͤcke. Das iſt eine von ihnen ſelbſt ein-<lb/>
gefuͤhrte Kleiderordnung. Die kurzen Roͤcke, ſagen ſie,<lb/>
waͤren zum Bergſteigen und Arbeiten bequemer und faſt<lb/>
unentbehrlich.</p><lb/><p>Von dort geht der viel beſſere und angenehmere Weg<lb/>
nach <hirendition="#fr">Duttlingen,</hi> meiſt uͤber katholiſche Doͤrfer, wo<lb/>
der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En-<lb/>
de iſt. Immer eine angreifende Empfindung fuͤr mich,<lb/>
im herrlichſten, fruchtbarſten Lande ſo viele Bettler! So<lb/>
viel Aberglauben und Blindheit! So viel —</p><lb/><p>Man iſt hier nicht weit vom Urſprung der <hirendition="#fr">Donau;</hi><lb/>
bei <hirendition="#fr">Duttlingen</hi> fließt ſie vorbei, und ihr Anfang iſt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">6. Stun-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[260/0298]
Tobak waͤchſt hier auch nicht mehr. Sonderbar iſt es,
daß nach der Verſicherung mehrerer Leute die Gerſte hier
ausraͤth. Die Altinger holen Gerſte in Rotenburg,
brauen Bier daraus, und fuͤhren es nach der Schweiz,
wo es theurer iſt, als Wein, und nehmen dafuͤr rothen
und weiſſen Schafhauſer Wein, den ich auch hier zum
erſtenmal fand. Auch iſt es ein Mangel fuͤr Altingen,
daß in der ganzen Gegend kein groſſes Waſſer iſt. Faſt
alle Haͤuſer ſind noch mit Schindeln von Tannenholz ge-
deckt. Dieſe Daͤcher ſind nur einfach, und halten doch
60-80. Jahre, wenn man nur jede Luͤcke gleich im An-
fange wieder zumacht. Sie ruͤhmen dieſe Daͤcher, weil
ſie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent-
ſtandenem Feuer ſind ſie ſehr gefaͤhrlich, weil ſie ausein-
ander ſpringen. Ziegel koͤnnen ſie auch nicht leicht in der
Naͤhe haben, und ihre Waldungen ſind auf der Seite
nach Doneſchingen zu ſehr betraͤchtlich. Die Weiber
gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in
die Kirche, ſchwarz, weiſſe Hinterklappen, rothe Struͤm-
pfe und kurze Roͤcke. Das iſt eine von ihnen ſelbſt ein-
gefuͤhrte Kleiderordnung. Die kurzen Roͤcke, ſagen ſie,
waͤren zum Bergſteigen und Arbeiten bequemer und faſt
unentbehrlich.
Von dort geht der viel beſſere und angenehmere Weg
nach Duttlingen, meiſt uͤber katholiſche Doͤrfer, wo
der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En-
de iſt. Immer eine angreifende Empfindung fuͤr mich,
im herrlichſten, fruchtbarſten Lande ſo viele Bettler! So
viel Aberglauben und Blindheit! So viel —
Man iſt hier nicht weit vom Urſprung der Donau;
bei Duttlingen fließt ſie vorbei, und ihr Anfang iſt
6. Stun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/298>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.