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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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die schallenden Glocken am Halse der Kühe. Die Hir-
tenbuben fallen die Reisenden auf allerlei Art an und bet-
teln. Sie machen allerlei Kunststücke, spannen eine
Schnur über die Strasse etc. Bei Stahringen verlies
ich die Strasse, und lies mich, zufolge meines schriftlichen
Wegweisers, an Güntingen vorbei auf einen nähern
Weg durch einen Wald führen. Diese Abweichung von
der Strasse verschafte mir den allerangenehmsten Anblick.
Ich ritt durch ein angenehmes Lustwäldchen, und schickte
meinen Führer wieder zurück. Einmal konnte ich schon,
ehe ich aus diesem Walde herauskam, zwischen zwei Berg-
spitzen durchschauen, und erblickte in der Entfernung ei-
nen Theil vom Bodensee. Aber noch viel überraschen-
der ist das Ende des Waldes selber. Plötzlich hören die
Bäume auf, der Weg zieht sich krumm herum, sie sind
auf einer Höhe, sehen hinab ins Thal, und in diesem
Thal liegt der See, der Bodensee, den ich schon einige
Tage suchte! Die Sonne schien eben mit ihrer sanften
Pracht in das kleine deutsche Meer; die majestätischen
Berge, die Städte, Dörfer, Thürme, Klöster, Aeb-
teien, Fischerhütten, Gärten, Inseln etc. die in und an
dem See sind, spiegelten sich darin; ich sah das Ziel
meiner Wünsche schon halb vor mir, und stand so plötz-
lich dabei, lange ehe ich es vermuthete. Das alles
machte so einen starken Eindruck auf mich, daß ich laut
über die Natur jauchzte, und im freudigen Jubel hinab
zum See, zu dem stillen, ruhigen, verträglichen See
mehr flog als ritt! Da brachte mich der Weg nach Mar-
delfingen,
ein Dorf, das schon ganz am See gebaut
ist, und wo man sogar das Ende des Sees, Zoll am
Untersee, ganz deutlich erkennen kan. Nun läuft die
Strasse bald näher, bald weiter weg vom See nach Co-

stanz
R 4

die ſchallenden Glocken am Halſe der Kuͤhe. Die Hir-
tenbuben fallen die Reiſenden auf allerlei Art an und bet-
teln. Sie machen allerlei Kunſtſtuͤcke, ſpannen eine
Schnur uͤber die Straſſe ꝛc. Bei Stahringen verlies
ich die Straſſe, und lies mich, zufolge meines ſchriftlichen
Wegweiſers, an Guͤntingen vorbei auf einen naͤhern
Weg durch einen Wald fuͤhren. Dieſe Abweichung von
der Straſſe verſchafte mir den allerangenehmſten Anblick.
Ich ritt durch ein angenehmes Luſtwaͤldchen, und ſchickte
meinen Fuͤhrer wieder zuruͤck. Einmal konnte ich ſchon,
ehe ich aus dieſem Walde herauskam, zwiſchen zwei Berg-
ſpitzen durchſchauen, und erblickte in der Entfernung ei-
nen Theil vom Bodenſee. Aber noch viel uͤberraſchen-
der iſt das Ende des Waldes ſelber. Ploͤtzlich hoͤren die
Baͤume auf, der Weg zieht ſich krumm herum, ſie ſind
auf einer Hoͤhe, ſehen hinab ins Thal, und in dieſem
Thal liegt der See, der Bodenſee, den ich ſchon einige
Tage ſuchte! Die Sonne ſchien eben mit ihrer ſanften
Pracht in das kleine deutſche Meer; die majeſtaͤtiſchen
Berge, die Staͤdte, Doͤrfer, Thuͤrme, Kloͤſter, Aeb-
teien, Fiſcherhuͤtten, Gaͤrten, Inſeln ꝛc. die in und an
dem See ſind, ſpiegelten ſich darin; ich ſah das Ziel
meiner Wuͤnſche ſchon halb vor mir, und ſtand ſo ploͤtz-
lich dabei, lange ehe ich es vermuthete. Das alles
machte ſo einen ſtarken Eindruck auf mich, daß ich laut
uͤber die Natur jauchzte, und im freudigen Jubel hinab
zum See, zu dem ſtillen, ruhigen, vertraͤglichen See
mehr flog als ritt! Da brachte mich der Weg nach Mar-
delfingen,
ein Dorf, das ſchon ganz am See gebaut
iſt, und wo man ſogar das Ende des Sees, Zoll am
Unterſee, ganz deutlich erkennen kan. Nun laͤuft die
Straſſe bald naͤher, bald weiter weg vom See nach Co-

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[263/0301] die ſchallenden Glocken am Halſe der Kuͤhe. Die Hir- tenbuben fallen die Reiſenden auf allerlei Art an und bet- teln. Sie machen allerlei Kunſtſtuͤcke, ſpannen eine Schnur uͤber die Straſſe ꝛc. Bei Stahringen verlies ich die Straſſe, und lies mich, zufolge meines ſchriftlichen Wegweiſers, an Guͤntingen vorbei auf einen naͤhern Weg durch einen Wald fuͤhren. Dieſe Abweichung von der Straſſe verſchafte mir den allerangenehmſten Anblick. Ich ritt durch ein angenehmes Luſtwaͤldchen, und ſchickte meinen Fuͤhrer wieder zuruͤck. Einmal konnte ich ſchon, ehe ich aus dieſem Walde herauskam, zwiſchen zwei Berg- ſpitzen durchſchauen, und erblickte in der Entfernung ei- nen Theil vom Bodenſee. Aber noch viel uͤberraſchen- der iſt das Ende des Waldes ſelber. Ploͤtzlich hoͤren die Baͤume auf, der Weg zieht ſich krumm herum, ſie ſind auf einer Hoͤhe, ſehen hinab ins Thal, und in dieſem Thal liegt der See, der Bodenſee, den ich ſchon einige Tage ſuchte! Die Sonne ſchien eben mit ihrer ſanften Pracht in das kleine deutſche Meer; die majeſtaͤtiſchen Berge, die Staͤdte, Doͤrfer, Thuͤrme, Kloͤſter, Aeb- teien, Fiſcherhuͤtten, Gaͤrten, Inſeln ꝛc. die in und an dem See ſind, ſpiegelten ſich darin; ich ſah das Ziel meiner Wuͤnſche ſchon halb vor mir, und ſtand ſo ploͤtz- lich dabei, lange ehe ich es vermuthete. Das alles machte ſo einen ſtarken Eindruck auf mich, daß ich laut uͤber die Natur jauchzte, und im freudigen Jubel hinab zum See, zu dem ſtillen, ruhigen, vertraͤglichen See mehr flog als ritt! Da brachte mich der Weg nach Mar- delfingen, ein Dorf, das ſchon ganz am See gebaut iſt, und wo man ſogar das Ende des Sees, Zoll am Unterſee, ganz deutlich erkennen kan. Nun laͤuft die Straſſe bald naͤher, bald weiter weg vom See nach Co- ſtanz R 4

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/301>, abgerufen am 24.11.2024.