von Jahren löscht das Feuer des blinden Religionseifers aus. Die Natur behauptet ihre Rechte wieder, die Menschheit fühlt einen Schauer, so oft man so etwas hört, zuletzt zeigt der Katholick den Platz selber, und schweigt mit tauber Empfindung des Unrechts, das seine Vorfahren einem frommen Manne anthaten. Ich weis nicht, wie mir ward, als ich auf dem Platze stand, wo der Trotz der Menschen sich neben dem Throne Gottes ei- nen Stuhl bauen. und mit Feuerflammen dem Gewissen Gesetze geben wollte. Man gibt es dieser gewaltsamen Hinrichtung Schuld, daß auf diesem Platze noch jetzt kein Gras wachse. Aber so viel man sehen kan, ist dar- an das ewige Laufen und Spazierengehen der Leute Schuld: wiewohl mir die Costanzer selber sagten, es käme ihnen sonderbar vor, daß die bereits vor 14. Jahren in der Ab- sicht, Schatten zu haben, dahin gepflanzte Bäume noch keine starke Stämme geworden wären. Damals, als Huß verbrannt wurde, sah freilich diese Gegend noch nicht aus, wie jetzt.
Um der Künste und Handwerker willen muß ich Sie bitten, mit mir auf die herrliche Rheinbrücke zu gehen. Sie steht auf lauter Pfälen; sie brannte vor etwa hundert Jahren ab, da gaben die bischöflichen Unterthanen das Holz dazu her, und bedungen sich dafür die Freiheit vom Brückenzoll. Die Ordnung, die auf der Brücke beobachtet werden muß, schrieb jemand mit einer Feder sehr schön in ein Kästchen, das auf der Brücke hängt. Man sollte es für gestochen oder gedruckt halten. Der Zoll muß jährlich etwas Ansehnliches ausmachen. Ein Reiter zahlt einen Groschen. Das Wichtigste auf der Brücke ist die grosse Mühle, die auf ihr ruht, und
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von Jahren loͤſcht das Feuer des blinden Religionseifers aus. Die Natur behauptet ihre Rechte wieder, die Menſchheit fuͤhlt einen Schauer, ſo oft man ſo etwas hoͤrt, zuletzt zeigt der Katholick den Platz ſelber, und ſchweigt mit tauber Empfindung des Unrechts, das ſeine Vorfahren einem frommen Manne anthaten. Ich weis nicht, wie mir ward, als ich auf dem Platze ſtand, wo der Trotz der Menſchen ſich neben dem Throne Gottes ei- nen Stuhl bauen. und mit Feuerflammen dem Gewiſſen Geſetze geben wollte. Man gibt es dieſer gewaltſamen Hinrichtung Schuld, daß auf dieſem Platze noch jetzt kein Gras wachſe. Aber ſo viel man ſehen kan, iſt dar- an das ewige Laufen und Spazierengehen der Leute Schuld: wiewohl mir die Coſtanzer ſelber ſagten, es kaͤme ihnen ſonderbar vor, daß die bereits vor 14. Jahren in der Ab- ſicht, Schatten zu haben, dahin gepflanzte Baͤume noch keine ſtarke Staͤmme geworden waͤren. Damals, als Huß verbrannt wurde, ſah freilich dieſe Gegend noch nicht aus, wie jetzt.
Um der Kuͤnſte und Handwerker willen muß ich Sie bitten, mit mir auf die herrliche Rheinbruͤcke zu gehen. Sie ſteht auf lauter Pfaͤlen; ſie brannte vor etwa hundert Jahren ab, da gaben die biſchoͤflichen Unterthanen das Holz dazu her, und bedungen ſich dafuͤr die Freiheit vom Bruͤckenzoll. Die Ordnung, die auf der Bruͤcke beobachtet werden muß, ſchrieb jemand mit einer Feder ſehr ſchoͤn in ein Kaͤſtchen, das auf der Bruͤcke haͤngt. Man ſollte es fuͤr geſtochen oder gedruckt halten. Der Zoll muß jaͤhrlich etwas Anſehnliches ausmachen. Ein Reiter zahlt einen Groſchen. Das Wichtigſte auf der Bruͤcke iſt die groſſe Muͤhle, die auf ihr ruht, und
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von Jahren loͤſcht das Feuer des blinden Religionseifers
aus. Die Natur behauptet ihre Rechte wieder, die
Menſchheit fuͤhlt einen Schauer, ſo oft man ſo etwas
hoͤrt, zuletzt zeigt der Katholick den Platz ſelber, und
ſchweigt mit tauber Empfindung des Unrechts, das ſeine
Vorfahren einem frommen Manne anthaten. Ich weis
nicht, wie mir ward, als ich auf dem Platze ſtand, wo
der Trotz der Menſchen ſich neben dem Throne Gottes ei-
nen Stuhl bauen. und mit Feuerflammen dem Gewiſſen
Geſetze geben wollte. Man gibt es dieſer gewaltſamen
Hinrichtung Schuld, daß auf dieſem Platze noch jetzt
kein Gras wachſe. Aber ſo viel man ſehen kan, iſt dar-
an das ewige Laufen und Spazierengehen der Leute Schuld:
wiewohl mir die Coſtanzer ſelber ſagten, es kaͤme ihnen
ſonderbar vor, daß die bereits vor 14. Jahren in der Ab-
ſicht, Schatten zu haben, dahin gepflanzte Baͤume noch
keine ſtarke Staͤmme geworden waͤren. Damals, als
Huß verbrannt wurde, ſah freilich dieſe Gegend noch
nicht aus, wie jetzt.
Um der Kuͤnſte und Handwerker willen muß
ich Sie bitten, mit mir auf die herrliche Rheinbruͤcke
zu gehen. Sie ſteht auf lauter Pfaͤlen; ſie brannte
vor etwa hundert Jahren ab, da gaben die biſchoͤflichen
Unterthanen das Holz dazu her, und bedungen ſich dafuͤr
die Freiheit vom Bruͤckenzoll. Die Ordnung, die auf
der Bruͤcke beobachtet werden muß, ſchrieb jemand mit
einer Feder ſehr ſchoͤn in ein Kaͤſtchen, das auf der Bruͤcke
haͤngt. Man ſollte es fuͤr geſtochen oder gedruckt halten.
Der Zoll muß jaͤhrlich etwas Anſehnliches ausmachen.
Ein Reiter zahlt einen Groſchen. Das Wichtigſte auf
der Bruͤcke iſt die groſſe Muͤhle, die auf ihr ruht, und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/314>, abgerufen am 25.11.2024.
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