Wein- oder Rebensticher spürt man hier nicht so stark, wie in der Pfalz. Der weisse Wein hat sehr viel erdig- tes und fettiges im Geschmack. Mancher wird erst durch den Gebürgwein trinkbar. Beim Abschied gaben mir meine Freunde noch sehr guten rothen und weissen Spei- rer Wein zu kosten, der viel Lieblichkeit und Feuer hat- te, nicht im Kopfstieg, und doch nicht besonders alt war.
Um Obst zu bekommen, hat man ganze Baum- stücke angelegt. Erstaunlich viel wächst in den Gärten innerhalb der Stadt, und noch weit mehr ausserhalb. Es sind die angenehmsten Spaziergänge, wenn man vor den Thoren zwischen diesen Baumgärten hingeht, und in der Ferne immer den silbernen Fluß des Stroms im Auge hat. Ich war im August dieses sehr schönen und ausser- ordentlich obstreichen Jahres da, und ich kan Ihnen die Fülle nicht beschreiben, womit alle, alle Bäume über- laden waren. Gar viele waren unter der Last zur Erde gebeugt, und andre prangten, unterstützt auf allen Sei- ten mit dem Reichthum der Natur. Ich sah überall sehr viele gute Obstarten, Renettes etc. aus französischen Gärten. Die Borsdorferäpfel sind hier sehr gewöhn- lich, und fast alle Arten von Birnen werden hier erzogen. Wittwen erhalten sich und ihre kleine Familien mit dem, was sie in den Obst- und Weingärten gewinnen. Man hat in Speier schon oft 130 schöne Pflaumen für einen Kreuzer verkauft, und zuletzt braucht man sie doch nur zur Mästung der Schweine. Ich habe einen Mira- bellenbaum gesehen, wo eine Frucht an der andern hing. Nachdem alle im Hause zum Ekel davon gegessen, und man allen Bekannten geschenkt hatte, verkaufte man end- lich 100. Mirabellen um 4. Kreuzer, und man erhielt
noch
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Wein- oder Rebenſticher ſpuͤrt man hier nicht ſo ſtark, wie in der Pfalz. Der weiſſe Wein hat ſehr viel erdig- tes und fettiges im Geſchmack. Mancher wird erſt durch den Gebuͤrgwein trinkbar. Beim Abſchied gaben mir meine Freunde noch ſehr guten rothen und weiſſen Spei- rer Wein zu koſten, der viel Lieblichkeit und Feuer hat- te, nicht im Kopfſtieg, und doch nicht beſonders alt war.
Um Obſt zu bekommen, hat man ganze Baum- ſtuͤcke angelegt. Erſtaunlich viel waͤchſt in den Gaͤrten innerhalb der Stadt, und noch weit mehr auſſerhalb. Es ſind die angenehmſten Spaziergaͤnge, wenn man vor den Thoren zwiſchen dieſen Baumgaͤrten hingeht, und in der Ferne immer den ſilbernen Fluß des Stroms im Auge hat. Ich war im Auguſt dieſes ſehr ſchoͤnen und auſſer- ordentlich obſtreichen Jahres da, und ich kan Ihnen die Fuͤlle nicht beſchreiben, womit alle, alle Baͤume uͤber- laden waren. Gar viele waren unter der Laſt zur Erde gebeugt, und andre prangten, unterſtuͤtzt auf allen Sei- ten mit dem Reichthum der Natur. Ich ſah uͤberall ſehr viele gute Obſtarten, Renettes ꝛc. aus franzoͤſiſchen Gaͤrten. Die Borsdorferaͤpfel ſind hier ſehr gewoͤhn- lich, und faſt alle Arten von Birnen werden hier erzogen. Wittwen erhalten ſich und ihre kleine Familien mit dem, was ſie in den Obſt- und Weingaͤrten gewinnen. Man hat in Speier ſchon oft 130 ſchoͤne Pflaumen fuͤr einen Kreuzer verkauft, und zuletzt braucht man ſie doch nur zur Maͤſtung der Schweine. Ich habe einen Mira- bellenbaum geſehen, wo eine Frucht an der andern hing. Nachdem alle im Hauſe zum Ekel davon gegeſſen, und man allen Bekannten geſchenkt hatte, verkaufte man end- lich 100. Mirabellen um 4. Kreuzer, und man erhielt
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Wein- oder Rebenſticher ſpuͤrt man hier nicht ſo ſtark,
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tes und fettiges im Geſchmack. Mancher wird erſt durch
den Gebuͤrgwein trinkbar. Beim Abſchied gaben mir
meine Freunde noch ſehr guten rothen und weiſſen Spei-
rer Wein zu koſten, der viel Lieblichkeit und Feuer hat-
te, nicht im Kopfſtieg, und doch nicht beſonders alt war.
Um Obſt zu bekommen, hat man ganze Baum-
ſtuͤcke angelegt. Erſtaunlich viel waͤchſt in den Gaͤrten
innerhalb der Stadt, und noch weit mehr auſſerhalb.
Es ſind die angenehmſten Spaziergaͤnge, wenn man vor
den Thoren zwiſchen dieſen Baumgaͤrten hingeht, und in
der Ferne immer den ſilbernen Fluß des Stroms im Auge
hat. Ich war im Auguſt dieſes ſehr ſchoͤnen und auſſer-
ordentlich obſtreichen Jahres da, und ich kan Ihnen die
Fuͤlle nicht beſchreiben, womit alle, alle Baͤume uͤber-
laden waren. Gar viele waren unter der Laſt zur Erde
gebeugt, und andre prangten, unterſtuͤtzt auf allen Sei-
ten mit dem Reichthum der Natur. Ich ſah uͤberall ſehr
viele gute Obſtarten, Renettes ꝛc. aus franzoͤſiſchen
Gaͤrten. Die Borsdorferaͤpfel ſind hier ſehr gewoͤhn-
lich, und faſt alle Arten von Birnen werden hier erzogen.
Wittwen erhalten ſich und ihre kleine Familien mit dem,
was ſie in den Obſt- und Weingaͤrten gewinnen. Man
hat in Speier ſchon oft 130 ſchoͤne Pflaumen fuͤr einen
Kreuzer verkauft, und zuletzt braucht man ſie doch nur
zur Maͤſtung der Schweine. Ich habe einen Mira-
bellenbaum geſehen, wo eine Frucht an der andern hing.
Nachdem alle im Hauſe zum Ekel davon gegeſſen, und
man allen Bekannten geſchenkt hatte, verkaufte man end-
lich 100. Mirabellen um 4. Kreuzer, und man erhielt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/347>, abgerufen am 25.11.2024.
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