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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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war, standen eben alle Leute auf den Strassen müssig,
und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk
Schaarenweise auf den Strassen nieder, und fing ein
lautes Gebet an. Der Fremde kan ungestört seine Strasse
ziehen, aber ich weis nicht, was es immer für einen Ein-
druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des öffent-
lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter
einer grossen Menge Volks finde, das eben so, wie mei-
ne Glaubensbrüder, besser unterrichtet, und zu einer ver-
nünftigern Religion gewöhnt werden könnte. Ich schlief
in Offenburg; nach dem heissen Tage folgte in der
Nacht ein schreckliches Donnerwetter und starke Platzre-
gen. Da läutete man alle Glocken so fürchterlich zusam-
men, daß sie hätten zerspringen mögen. Solche Wir-
kungen des Aberglaubens sind wahrlich unangenehm für
einen Reisenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt
zu schlafen, die geflissentlich alles thut, um den Blitz her-
beizuziehen? Die Müdigkeit der Reise überwältigte mich
endlich, und ich schlief ruhig unter allen diesen wunder-
baren Anstalten, das wohlthätige Gewitter zu vertreiben.

Den andern Tag verlies ich grade die Heerstrasse,
und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg
nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab-
gekühlt, und ungemein erfrischt. Die Vögel sangen am
frühen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern
und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewächse
im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge-
senktes Haupt, und warteten auf ihre Einsammlung.
Das Laub an den vielen Obstbäumen, womit die Stras-
sen hier sehr stark besetzt sind, hatte seine natürliche Leb-
haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern stand in

jeder

war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig,
und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk
Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein
lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe
ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein-
druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent-
lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter
einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei-
ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver-
nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief
in Offenburg; nach dem heiſſen Tage folgte in der
Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre-
gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam-
men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir-
kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr
einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt
zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her-
beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich
endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder-
baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben.

Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe,
und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg
nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab-
gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am
fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern
und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe
im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge-
ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung.
Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ-
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haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in

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[336/0374] war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig, und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein- druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent- lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei- ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver- nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief in Offenburg; nach dem heiſſen Tage folgte in der Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre- gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam- men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir- kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her- beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder- baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben. Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe, und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab- gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge- ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung. Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ- ſen hier ſehr ſtark beſetzt ſind, hatte ſeine natuͤrliche Leb- haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in jeder

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/374>, abgerufen am 22.11.2024.