Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Drescher und andre Arbeiter die Lichter stellen, und nicht
herausnehmen dürften, wie in unserm Lande befohlen ist.
Ach, wie sicher schläft oft ein Reisender in einem öffent-
lichen Hause, und würde wahrhaftig nicht eine Minute
ruhen können, wenn er wüßte, welche Gefahren ihn um-
ringen! Wenn man auch da nicht viel, sehr viel auf den
Schutz der Vorsehung rechnen wollte, was hülfe dann
menschliche Vorsicht und Bedachtsamkeit?

Mit dem neuen Wein, wenn er einmal im Fasse ist,
muß man so sehr eilen, daß selbst am Sonntage die
Weinfuhren nicht stille liegen dürfen. Angenehm ist es,
wenn man da immer Wagen begegnet, wo lustige Bau-
ern, gleich dem Bachus, auf den Tonnen liegen, und
einen Zug nach dem andern thun, aus dem vollen Faß.
Sie saufen aus Strohhalmen, die sie wie Heber in das
Spundloch stecken, wenn man ihnen sonst keine Geräth-
schaft dazu erlaubt. Beim Aufladen der gefüllten Wein-
fässer ist viel Vorsichtigkeit nöthig. Oft bricht das La-
degeschirr, und ein ganzes Faß geht zu Grunde. Da
entsteht hernach ein Prozeß zwischen dem Verkäufer, dem
Käufer und dem Kiefer (Böttcher), der den Wein gela-
den hat, und die Werkzeuge dazu entweder aus dem Kel-
ler des Verkäufers genommen, oder selber hergegeben
hat. Weil die Bauern oft selber schreckliche Lasten aus
der Stelle heben und tragen können, so trauen sie auch
ihren Stangen und Bretern mehr Stärke zu, als sie
insgemein haben.

Als ich durch Achtkarren reisete, das ein grosser
und sehr ansehnlicher Ort in der Landvogtei Ortenau ist,
versah der katholische Geistliche eben einen Sterbenden
mit den Sakramenten. Weil es der Sonntags Abend

war,

Dreſcher und andre Arbeiter die Lichter ſtellen, und nicht
herausnehmen duͤrften, wie in unſerm Lande befohlen iſt.
Ach, wie ſicher ſchlaͤft oft ein Reiſender in einem oͤffent-
lichen Hauſe, und wuͤrde wahrhaftig nicht eine Minute
ruhen koͤnnen, wenn er wuͤßte, welche Gefahren ihn um-
ringen! Wenn man auch da nicht viel, ſehr viel auf den
Schutz der Vorſehung rechnen wollte, was huͤlfe dann
menſchliche Vorſicht und Bedachtſamkeit?

Mit dem neuen Wein, wenn er einmal im Faſſe iſt,
muß man ſo ſehr eilen, daß ſelbſt am Sonntage die
Weinfuhren nicht ſtille liegen duͤrfen. Angenehm iſt es,
wenn man da immer Wagen begegnet, wo luſtige Bau-
ern, gleich dem Bachus, auf den Tonnen liegen, und
einen Zug nach dem andern thun, aus dem vollen Faß.
Sie ſaufen aus Strohhalmen, die ſie wie Heber in das
Spundloch ſtecken, wenn man ihnen ſonſt keine Geraͤth-
ſchaft dazu erlaubt. Beim Aufladen der gefuͤllten Wein-
faͤſſer iſt viel Vorſichtigkeit noͤthig. Oft bricht das La-
degeſchirr, und ein ganzes Faß geht zu Grunde. Da
entſteht hernach ein Prozeß zwiſchen dem Verkaͤufer, dem
Kaͤufer und dem Kiefer (Boͤttcher), der den Wein gela-
den hat, und die Werkzeuge dazu entweder aus dem Kel-
ler des Verkaͤufers genommen, oder ſelber hergegeben
hat. Weil die Bauern oft ſelber ſchreckliche Laſten aus
der Stelle heben und tragen koͤnnen, ſo trauen ſie auch
ihren Stangen und Bretern mehr Staͤrke zu, als ſie
insgemein haben.

Als ich durch Achtkarren reiſete, das ein groſſer
und ſehr anſehnlicher Ort in der Landvogtei Ortenau iſt,
verſah der katholiſche Geiſtliche eben einen Sterbenden
mit den Sakramenten. Weil es der Sonntags Abend

war,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0373" n="335"/>
Dre&#x017F;cher und andre Arbeiter die Lichter &#x017F;tellen, und nicht<lb/>
herausnehmen du&#x0364;rften, wie in un&#x017F;erm Lande befohlen i&#x017F;t.<lb/>
Ach, wie &#x017F;icher &#x017F;chla&#x0364;ft oft ein Rei&#x017F;ender in einem o&#x0364;ffent-<lb/>
lichen Hau&#x017F;e, und wu&#x0364;rde wahrhaftig nicht eine Minute<lb/>
ruhen ko&#x0364;nnen, wenn er wu&#x0364;ßte, welche Gefahren ihn um-<lb/>
ringen! Wenn man auch da nicht viel, &#x017F;ehr viel auf den<lb/>
Schutz der Vor&#x017F;ehung rechnen wollte, was hu&#x0364;lfe dann<lb/>
men&#x017F;chliche Vor&#x017F;icht und Bedacht&#x017F;amkeit?</p><lb/>
          <p>Mit dem neuen Wein, wenn er einmal im Fa&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t,<lb/>
muß man &#x017F;o &#x017F;ehr eilen, daß &#x017F;elb&#x017F;t am Sonntage die<lb/>
Weinfuhren nicht &#x017F;tille liegen du&#x0364;rfen. Angenehm i&#x017F;t es,<lb/>
wenn man da immer Wagen begegnet, wo lu&#x017F;tige Bau-<lb/>
ern, gleich dem Bachus, auf den Tonnen liegen, und<lb/>
einen Zug nach dem andern thun, aus dem vollen Faß.<lb/>
Sie &#x017F;aufen aus Strohhalmen, die &#x017F;ie wie Heber in das<lb/>
Spundloch &#x017F;tecken, wenn man ihnen &#x017F;on&#x017F;t keine Gera&#x0364;th-<lb/>
&#x017F;chaft dazu erlaubt. Beim Aufladen der gefu&#x0364;llten Wein-<lb/>
fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t viel Vor&#x017F;ichtigkeit no&#x0364;thig. Oft bricht das La-<lb/>
dege&#x017F;chirr, und ein ganzes Faß geht zu Grunde. Da<lb/>
ent&#x017F;teht hernach ein Prozeß zwi&#x017F;chen dem Verka&#x0364;ufer, dem<lb/>
Ka&#x0364;ufer und dem Kiefer (Bo&#x0364;ttcher), der den Wein gela-<lb/>
den hat, und die Werkzeuge dazu entweder aus dem Kel-<lb/>
ler des Verka&#x0364;ufers genommen, oder &#x017F;elber hergegeben<lb/>
hat. Weil die Bauern oft &#x017F;elber &#x017F;chreckliche La&#x017F;ten aus<lb/>
der Stelle heben und tragen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o trauen &#x017F;ie auch<lb/>
ihren Stangen und Bretern mehr Sta&#x0364;rke zu, als &#x017F;ie<lb/>
insgemein haben.</p><lb/>
          <p>Als ich durch <hi rendition="#fr">Achtkarren</hi> rei&#x017F;ete, das ein gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und &#x017F;ehr an&#x017F;ehnlicher Ort in der Landvogtei <hi rendition="#fr">Ortenau</hi> i&#x017F;t,<lb/>
ver&#x017F;ah der katholi&#x017F;che Gei&#x017F;tliche eben einen Sterbenden<lb/>
mit den Sakramenten. Weil es der Sonntags Abend<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">war,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0373] Dreſcher und andre Arbeiter die Lichter ſtellen, und nicht herausnehmen duͤrften, wie in unſerm Lande befohlen iſt. Ach, wie ſicher ſchlaͤft oft ein Reiſender in einem oͤffent- lichen Hauſe, und wuͤrde wahrhaftig nicht eine Minute ruhen koͤnnen, wenn er wuͤßte, welche Gefahren ihn um- ringen! Wenn man auch da nicht viel, ſehr viel auf den Schutz der Vorſehung rechnen wollte, was huͤlfe dann menſchliche Vorſicht und Bedachtſamkeit? Mit dem neuen Wein, wenn er einmal im Faſſe iſt, muß man ſo ſehr eilen, daß ſelbſt am Sonntage die Weinfuhren nicht ſtille liegen duͤrfen. Angenehm iſt es, wenn man da immer Wagen begegnet, wo luſtige Bau- ern, gleich dem Bachus, auf den Tonnen liegen, und einen Zug nach dem andern thun, aus dem vollen Faß. Sie ſaufen aus Strohhalmen, die ſie wie Heber in das Spundloch ſtecken, wenn man ihnen ſonſt keine Geraͤth- ſchaft dazu erlaubt. Beim Aufladen der gefuͤllten Wein- faͤſſer iſt viel Vorſichtigkeit noͤthig. Oft bricht das La- degeſchirr, und ein ganzes Faß geht zu Grunde. Da entſteht hernach ein Prozeß zwiſchen dem Verkaͤufer, dem Kaͤufer und dem Kiefer (Boͤttcher), der den Wein gela- den hat, und die Werkzeuge dazu entweder aus dem Kel- ler des Verkaͤufers genommen, oder ſelber hergegeben hat. Weil die Bauern oft ſelber ſchreckliche Laſten aus der Stelle heben und tragen koͤnnen, ſo trauen ſie auch ihren Stangen und Bretern mehr Staͤrke zu, als ſie insgemein haben. Als ich durch Achtkarren reiſete, das ein groſſer und ſehr anſehnlicher Ort in der Landvogtei Ortenau iſt, verſah der katholiſche Geiſtliche eben einen Sterbenden mit den Sakramenten. Weil es der Sonntags Abend war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/373
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/373>, abgerufen am 22.11.2024.