Ich stieg auch auf den Thurm der Kirche, um die schöne Aussicht zu geniessen, die man dort oben hat. Man übersieht das Kitzinger und das Nordracker Thal, so heißt nämlich die Gegend bei Zelle. Die Einwohner jenes Thals haben auch ihre alte Privilegien von Kaisern, und es soll daher, wie mir ein Fürstenbergischer Be- dienter aus Doneschingen erzählte, ganz eine eigene und zum Theil sonderbare Verfassung dort seyn. Auf diesem Thurme hängen vier Glocken. Die mittelste ist sehr dicke, und hat doch einen sehr reinen silbernen Ton, wenn man nur mit der Hand daran schlägt.
Im Städtchen Gengenbach führten die Schüler eben als ich da war, eine Komödie auf: Fritzel von Mannheim, oder die ungleiche Vaterliebe. Den Vater machte ein grosser dicker Barbier, der unter einer weisen Leitung ein guter Schauspieler werden könnte. Auch konnte man mit einigen von den Schülern zufrieden seyn.
Von Gengenbach reisete ich fort nach dem soge- nannten Prechtthal. So heißt ein Thal, das beinahe zwei Stunden lang, an der Grenze der Vorderöster- reichischen und Fürstenbergischen Lande, das ehemals mit mehrern andern Thälern in dieser Gegend ein ganzes ausmachte, und ein Reichsfreies Thal war, auch noch jetzt seine eigene Rechte und Gebräuche hat, nun aber halb dem Markgräflich Baadischen, halb dem Fürstl. Fürstenbergischen Hause gehört, und von diesen Con- dominis so regiert wird, daß der Vorrang, das Recht der ersten Unterschrift, der Vorsitz beim Jahrsgericht etc. zwischen den Baadischen und Fürstenbergischen Beam- ten von Jahr zu Jahr abwechselt. Die Religion ist
überall
Ich ſtieg auch auf den Thurm der Kirche, um die ſchoͤne Ausſicht zu genieſſen, die man dort oben hat. Man uͤberſieht das Kitzinger und das Nordracker Thal, ſo heißt naͤmlich die Gegend bei Zelle. Die Einwohner jenes Thals haben auch ihre alte Privilegien von Kaiſern, und es ſoll daher, wie mir ein Fuͤrſtenbergiſcher Be- dienter aus Doneſchingen erzaͤhlte, ganz eine eigene und zum Theil ſonderbare Verfaſſung dort ſeyn. Auf dieſem Thurme haͤngen vier Glocken. Die mittelſte iſt ſehr dicke, und hat doch einen ſehr reinen ſilbernen Ton, wenn man nur mit der Hand daran ſchlaͤgt.
Im Staͤdtchen Gengenbach fuͤhrten die Schuͤler eben als ich da war, eine Komoͤdie auf: Fritzel von Mannheim, oder die ungleiche Vaterliebe. Den Vater machte ein groſſer dicker Barbier, der unter einer weiſen Leitung ein guter Schauſpieler werden koͤnnte. Auch konnte man mit einigen von den Schuͤlern zufrieden ſeyn.
Von Gengenbach reiſete ich fort nach dem ſoge- nannten Prechtthal. So heißt ein Thal, das beinahe zwei Stunden lang, an der Grenze der Vorderoͤſter- reichiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Lande, das ehemals mit mehrern andern Thaͤlern in dieſer Gegend ein ganzes ausmachte, und ein Reichsfreies Thal war, auch noch jetzt ſeine eigene Rechte und Gebraͤuche hat, nun aber halb dem Markgraͤflich Baadiſchen, halb dem Fuͤrſtl. Fuͤrſtenbergiſchen Hauſe gehoͤrt, und von dieſen Con- dominis ſo regiert wird, daß der Vorrang, das Recht der erſten Unterſchrift, der Vorſitz beim Jahrsgericht ꝛc. zwiſchen den Baadiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Beam- ten von Jahr zu Jahr abwechſelt. Die Religion iſt
uͤberall
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[352/0390]
Ich ſtieg auch auf den Thurm der Kirche, um die
ſchoͤne Ausſicht zu genieſſen, die man dort oben hat.
Man uͤberſieht das Kitzinger und das Nordracker Thal,
ſo heißt naͤmlich die Gegend bei Zelle. Die Einwohner
jenes Thals haben auch ihre alte Privilegien von Kaiſern,
und es ſoll daher, wie mir ein Fuͤrſtenbergiſcher Be-
dienter aus Doneſchingen erzaͤhlte, ganz eine eigene
und zum Theil ſonderbare Verfaſſung dort ſeyn. Auf
dieſem Thurme haͤngen vier Glocken. Die mittelſte iſt
ſehr dicke, und hat doch einen ſehr reinen ſilbernen Ton,
wenn man nur mit der Hand daran ſchlaͤgt.
Im Staͤdtchen Gengenbach fuͤhrten die Schuͤler
eben als ich da war, eine Komoͤdie auf: Fritzel von
Mannheim, oder die ungleiche Vaterliebe. Den
Vater machte ein groſſer dicker Barbier, der unter einer
weiſen Leitung ein guter Schauſpieler werden koͤnnte.
Auch konnte man mit einigen von den Schuͤlern zufrieden
ſeyn.
Von Gengenbach reiſete ich fort nach dem ſoge-
nannten Prechtthal. So heißt ein Thal, das beinahe
zwei Stunden lang, an der Grenze der Vorderoͤſter-
reichiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Lande, das ehemals
mit mehrern andern Thaͤlern in dieſer Gegend ein ganzes
ausmachte, und ein Reichsfreies Thal war, auch noch
jetzt ſeine eigene Rechte und Gebraͤuche hat, nun aber
halb dem Markgraͤflich Baadiſchen, halb dem Fuͤrſtl.
Fuͤrſtenbergiſchen Hauſe gehoͤrt, und von dieſen Con-
dominis ſo regiert wird, daß der Vorrang, das Recht
der erſten Unterſchrift, der Vorſitz beim Jahrsgericht ꝛc.
zwiſchen den Baadiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Beam-
ten von Jahr zu Jahr abwechſelt. Die Religion iſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/390>, abgerufen am 21.11.2024.
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