statt des Weins Gläser- und Schoppenweise. Aus zu- sammengestampften, und in Gährung gebrachten Birnen machen sie einen Brandtewein. Im Oberthal machen sie aus Ahorn hölzerne Schuh und Pantoffeln, und ver- kaufen was sie nicht brauchen. Ihre Wiesen tragen mei- stens ein Gras, das besser ist, als an andern Orten der Klee. Es gibt Stellen, die viermahl im Jahre abge- hütet werden können. Nach dem zweiten Heumachen haben sie überall noch die Herbstweide. Sie brennen kein Oel, sondern haben statt dessen in allen Häusern Lichtspäne, die sie selber im Winter auf einem Stuhle, wozu drei Menschen gehören, schneiden, und auch in Handel bringen. Erstaunlich viel Milch, Butter und Käse wird gegessen. Die Schweine ringeln sie im Win- ter einfach, oder doppelt, weil sie sie bis im April herum- laufen lassen. Alle nützliche und nöthige Handwerker sind im Thal, aber freilich muß man oft weit laufen, bis man den Handwerksmann erreicht. Der Schulz im Thal hat einige Gewait, und heißt der Thalvoigt. Die Leute sind langsam, schwerfällig, haben einen versteckten Stolz, sind gerade solche Reichsthäler, wie die Reichs- städter, bilden sich gewaltig viel darauf ein, daß sie hier wohnen, und nicht anderswo, und müssen mit vieler Klugheit behandelt werden. Die Weibsleute tragen alle sehr kurze Röcke, die nur wenig über das Knie herabge- hen, und kaum die Waden erreichen. Die Regierung hat schon mehr als einmal strenge befohlen, daß sie die neuen Röcke bis auf den Knoten am Fuß machen sollten. Aber sie beh[au]pten, daß sie mit den kurzen Röcken auf den Bergen besser arbeiten und fortkommen können, und lassen es sich nicht wehren. Mir ward auf dem Hofe des Bauern mit Honig, Butter, Käse und Kirschen-
wasser
Z 4
ſtatt des Weins Glaͤſer- und Schoppenweiſe. Aus zu- ſammengeſtampften, und in Gaͤhrung gebrachten Birnen machen ſie einen Brandtewein. Im Oberthal machen ſie aus Ahorn hoͤlzerne Schuh und Pantoffeln, und ver- kaufen was ſie nicht brauchen. Ihre Wieſen tragen mei- ſtens ein Gras, das beſſer iſt, als an andern Orten der Klee. Es gibt Stellen, die viermahl im Jahre abge- huͤtet werden koͤnnen. Nach dem zweiten Heumachen haben ſie uͤberall noch die Herbſtweide. Sie brennen kein Oel, ſondern haben ſtatt deſſen in allen Haͤuſern Lichtſpaͤne, die ſie ſelber im Winter auf einem Stuhle, wozu drei Menſchen gehoͤren, ſchneiden, und auch in Handel bringen. Erſtaunlich viel Milch, Butter und Kaͤſe wird gegeſſen. Die Schweine ringeln ſie im Win- ter einfach, oder doppelt, weil ſie ſie bis im April herum- laufen laſſen. Alle nuͤtzliche und noͤthige Handwerker ſind im Thal, aber freilich muß man oft weit laufen, bis man den Handwerksmann erreicht. Der Schulz im Thal hat einige Gewait, und heißt der Thalvoigt. Die Leute ſind langſam, ſchwerfaͤllig, haben einen verſteckten Stolz, ſind gerade ſolche Reichsthaͤler, wie die Reichs- ſtaͤdter, bilden ſich gewaltig viel darauf ein, daß ſie hier wohnen, und nicht anderswo, und muͤſſen mit vieler Klugheit behandelt werden. Die Weibsleute tragen alle ſehr kurze Roͤcke, die nur wenig uͤber das Knie herabge- hen, und kaum die Waden erreichen. Die Regierung hat ſchon mehr als einmal ſtrenge befohlen, daß ſie die neuen Roͤcke bis auf den Knoten am Fuß machen ſollten. Aber ſie beh[au]pten, daß ſie mit den kurzen Roͤcken auf den Bergen beſſer arbeiten und fortkommen koͤnnen, und laſſen es ſich nicht wehren. Mir ward auf dem Hofe des Bauern mit Honig, Butter, Kaͤſe und Kirſchen-
waſſer
Z 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0397"n="359"/>ſtatt des Weins Glaͤſer- und Schoppenweiſe. Aus zu-<lb/>ſammengeſtampften, und in Gaͤhrung gebrachten Birnen<lb/>
machen ſie einen Brandtewein. Im Oberthal machen<lb/>ſie aus Ahorn hoͤlzerne Schuh und Pantoffeln, und ver-<lb/>
kaufen was ſie nicht brauchen. Ihre Wieſen tragen mei-<lb/>ſtens ein Gras, das beſſer iſt, als an andern Orten der<lb/>
Klee. Es gibt Stellen, die viermahl im Jahre abge-<lb/>
huͤtet werden koͤnnen. Nach dem zweiten Heumachen<lb/>
haben ſie uͤberall noch die Herbſtweide. Sie brennen<lb/>
kein Oel, ſondern haben ſtatt deſſen in allen Haͤuſern<lb/><hirendition="#fr">Lichtſpaͤne,</hi> die ſie ſelber im Winter auf einem Stuhle,<lb/>
wozu drei Menſchen gehoͤren, ſchneiden, und auch in<lb/>
Handel bringen. Erſtaunlich viel Milch, Butter und<lb/>
Kaͤſe wird gegeſſen. Die Schweine ringeln ſie im Win-<lb/>
ter einfach, oder doppelt, weil ſie ſie bis im April herum-<lb/>
laufen laſſen. Alle nuͤtzliche und noͤthige Handwerker<lb/>ſind im Thal, aber freilich muß man oft weit laufen, bis<lb/>
man den Handwerksmann erreicht. Der Schulz im Thal<lb/>
hat einige Gewait, und heißt der <hirendition="#fr">Thalvoigt.</hi> Die<lb/>
Leute ſind langſam, ſchwerfaͤllig, haben einen verſteckten<lb/>
Stolz, ſind gerade ſolche <hirendition="#fr">Reichsthaͤler,</hi> wie die <hirendition="#fr">Reichs-<lb/>ſtaͤdter,</hi> bilden ſich gewaltig viel darauf ein, daß ſie hier<lb/>
wohnen, und nicht anderswo, und muͤſſen mit vieler<lb/>
Klugheit behandelt werden. Die Weibsleute tragen alle<lb/>ſehr kurze Roͤcke, die nur wenig uͤber das Knie herabge-<lb/>
hen, und kaum die Waden erreichen. Die Regierung<lb/>
hat ſchon mehr als einmal ſtrenge befohlen, daß ſie die<lb/>
neuen Roͤcke bis auf den Knoten am Fuß machen ſollten.<lb/>
Aber ſie beh<supplied>au</supplied>pten, daß ſie mit den kurzen Roͤcken auf<lb/>
den Bergen beſſer arbeiten und fortkommen koͤnnen, und<lb/>
laſſen es ſich nicht wehren. Mir ward auf dem Hofe<lb/>
des Bauern mit Honig, Butter, Kaͤſe und Kirſchen-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">waſſer</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[359/0397]
ſtatt des Weins Glaͤſer- und Schoppenweiſe. Aus zu-
ſammengeſtampften, und in Gaͤhrung gebrachten Birnen
machen ſie einen Brandtewein. Im Oberthal machen
ſie aus Ahorn hoͤlzerne Schuh und Pantoffeln, und ver-
kaufen was ſie nicht brauchen. Ihre Wieſen tragen mei-
ſtens ein Gras, das beſſer iſt, als an andern Orten der
Klee. Es gibt Stellen, die viermahl im Jahre abge-
huͤtet werden koͤnnen. Nach dem zweiten Heumachen
haben ſie uͤberall noch die Herbſtweide. Sie brennen
kein Oel, ſondern haben ſtatt deſſen in allen Haͤuſern
Lichtſpaͤne, die ſie ſelber im Winter auf einem Stuhle,
wozu drei Menſchen gehoͤren, ſchneiden, und auch in
Handel bringen. Erſtaunlich viel Milch, Butter und
Kaͤſe wird gegeſſen. Die Schweine ringeln ſie im Win-
ter einfach, oder doppelt, weil ſie ſie bis im April herum-
laufen laſſen. Alle nuͤtzliche und noͤthige Handwerker
ſind im Thal, aber freilich muß man oft weit laufen, bis
man den Handwerksmann erreicht. Der Schulz im Thal
hat einige Gewait, und heißt der Thalvoigt. Die
Leute ſind langſam, ſchwerfaͤllig, haben einen verſteckten
Stolz, ſind gerade ſolche Reichsthaͤler, wie die Reichs-
ſtaͤdter, bilden ſich gewaltig viel darauf ein, daß ſie hier
wohnen, und nicht anderswo, und muͤſſen mit vieler
Klugheit behandelt werden. Die Weibsleute tragen alle
ſehr kurze Roͤcke, die nur wenig uͤber das Knie herabge-
hen, und kaum die Waden erreichen. Die Regierung
hat ſchon mehr als einmal ſtrenge befohlen, daß ſie die
neuen Roͤcke bis auf den Knoten am Fuß machen ſollten.
Aber ſie behaupten, daß ſie mit den kurzen Roͤcken auf
den Bergen beſſer arbeiten und fortkommen koͤnnen, und
laſſen es ſich nicht wehren. Mir ward auf dem Hofe
des Bauern mit Honig, Butter, Kaͤſe und Kirſchen-
waſſer
Z 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/397>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.