der Extrapost vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge- lehrten mit Recht das Reiten sehr empfohlen. Nichts erschüttert so sehr den ganzen Körper, bringt die stocken- den Flüssigkeiten in den feinsten Gefässen wieder in Be- wegung, stärkt die Muskeln des Unterleibs, befördert die Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen Ausdünstung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er- heitert den Geist, und beschleunigt die Wirkungen der Phantasie und des Verstandes, als ein mässiges, aber anhaltendes Reiten. Was ist es für ein unnennbares Vergnügen, wenn das Auge in der weiten Natur herum- schweifen, und in einer Sekunde den ganzen Gesichts- kreis, der vor mir liegt, durchschauen kan! Wie gros ist die Freude, am frühen Morgen dem Erwachen des Ta- ges auf der Höhe des wiehernden Pferdes zuzusehen, und so wie's immer lichter und heller wird, die grauen Nebel, die an den Bergen hängen, das frische Grün der Wie- sen, den Dampf der Aecker, das sanfte Fliessen der Ge- wässer, das Zwitschern der Vögel im Walde zu hören, zu sehen, und in wenigen Augenblicken diese Krümmung zurückzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt wieder andre Aussichten vor sich zu haben, und so in ei- nem Tage ein halbes Land zu durchstreifen! Auch lieb' ich diese Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge- schlossenen Auge nichts, kein schöner Anblick der Natur, keine Heerde, keine Gruppe spielender Kinder, keine Bauerhütte, kein kühles Thal, kein schattichtes Wäld- chen entgehen kan, und wie das Auge des Matrosen scharf in die Ferne sieht, weil es immer auf der unermeßlichen Fläche des Meeres hinauslaufen kan, so glaube ich auch an mir bemerkt zu haben, daß meine Augen viel frischer, heller und gesünder sind, wenn ich mich wieder von der
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der Extrapoſt vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge- lehrten mit Recht das Reiten ſehr empfohlen. Nichts erſchuͤttert ſo ſehr den ganzen Koͤrper, bringt die ſtocken- den Fluͤſſigkeiten in den feinſten Gefaͤſſen wieder in Be- wegung, ſtaͤrkt die Muskeln des Unterleibs, befoͤrdert die Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen Ausduͤnſtung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er- heitert den Geiſt, und beſchleunigt die Wirkungen der Phantaſie und des Verſtandes, als ein maͤſſiges, aber anhaltendes Reiten. Was iſt es fuͤr ein unnennbares Vergnuͤgen, wenn das Auge in der weiten Natur herum- ſchweifen, und in einer Sekunde den ganzen Geſichts- kreis, der vor mir liegt, durchſchauen kan! Wie gros iſt die Freude, am fruͤhen Morgen dem Erwachen des Ta- ges auf der Hoͤhe des wiehernden Pferdes zuzuſehen, und ſo wie’s immer lichter und heller wird, die grauen Nebel, die an den Bergen haͤngen, das friſche Gruͤn der Wie- ſen, den Dampf der Aecker, das ſanfte Flieſſen der Ge- waͤſſer, das Zwitſchern der Voͤgel im Walde zu hoͤren, zu ſehen, und in wenigen Augenblicken dieſe Kruͤmmung zuruͤckzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt wieder andre Ausſichten vor ſich zu haben, und ſo in ei- nem Tage ein halbes Land zu durchſtreifen! Auch lieb’ ich dieſe Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge- ſchloſſenen Auge nichts, kein ſchoͤner Anblick der Natur, keine Heerde, keine Gruppe ſpielender Kinder, keine Bauerhuͤtte, kein kuͤhles Thal, kein ſchattichtes Waͤld- chen entgehen kan, und wie das Auge des Matroſen ſcharf in die Ferne ſieht, weil es immer auf der unermeßlichen Flaͤche des Meeres hinauslaufen kan, ſo glaube ich auch an mir bemerkt zu haben, daß meine Augen viel friſcher, heller und geſuͤnder ſind, wenn ich mich wieder von der
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der Extrapoſt vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge-
lehrten mit Recht das Reiten ſehr empfohlen. Nichts
erſchuͤttert ſo ſehr den ganzen Koͤrper, bringt die ſtocken-
den Fluͤſſigkeiten in den feinſten Gefaͤſſen wieder in Be-
wegung, ſtaͤrkt die Muskeln des Unterleibs, befoͤrdert die
Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen
Ausduͤnſtung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er-
heitert den Geiſt, und beſchleunigt die Wirkungen der
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Vergnuͤgen, wenn das Auge in der weiten Natur herum-
ſchweifen, und in einer Sekunde den ganzen Geſichts-
kreis, der vor mir liegt, durchſchauen kan! Wie gros iſt
die Freude, am fruͤhen Morgen dem Erwachen des Ta-
ges auf der Hoͤhe des wiehernden Pferdes zuzuſehen, und
ſo wie’s immer lichter und heller wird, die grauen Nebel,
die an den Bergen haͤngen, das friſche Gruͤn der Wie-
ſen, den Dampf der Aecker, das ſanfte Flieſſen der Ge-
waͤſſer, das Zwitſchern der Voͤgel im Walde zu hoͤren,
zu ſehen, und in wenigen Augenblicken dieſe Kruͤmmung
zuruͤckzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt
wieder andre Ausſichten vor ſich zu haben, und ſo in ei-
nem Tage ein halbes Land zu durchſtreifen! Auch lieb’
ich dieſe Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge-
ſchloſſenen Auge nichts, kein ſchoͤner Anblick der Natur,
keine Heerde, keine Gruppe ſpielender Kinder, keine
Bauerhuͤtte, kein kuͤhles Thal, kein ſchattichtes Waͤld-
chen entgehen kan, und wie das Auge des Matroſen ſcharf
in die Ferne ſieht, weil es immer auf der unermeßlichen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/42>, abgerufen am 03.12.2024.
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