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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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ich nichts zu essen haben konnte, und auch kein Bier zu
haben war, schönes Obst umsonst, und der in Mölk
theilte eben so wohlfeil sein schmackhaftes Hausbackenbrod
mit mir. Gröber aber war keiner, als der in Bur-
gersdorf.

Den 17ten April.

Reisen ist ein wahres Bild des menschlichen Lebens.
Man stößt tausendmahl an, geräth in unzähliche Schwie-
rigkeiten, findet oft überall Hindernisse, leidet oft da,
wo's am meisten schmerzt, Schaden, verliert beständig
einen Theil seiner Güter, wird oft mismüthig und sehnt
sich nach Ruhe, lernt sich in die kleinsten Umstände schi-
ckea, gewöhnt sich mit allen Menschen umzugehen, wird
immer unruhig wegen der Zukunft -- nnd unvermerkt
kommt wieder bessre Zeit, man findet gute Menschen,
man reist einen ebenen Weg, man erfreut sich der Dinge,
die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe
und der Freundschaft das ausgestandene Ungemach, man
gewinnt andre Menschen lieb, und lebt mit ihnen, als
wenn man sie schon Jahre lang kennte, man vergißt der
schnellen Flucht der Zeit, und meint, es wäre gut, wenn
das ganze Leben so dahinflösse. -- Ach Philosophie und
Menschenweisheit! wie bist du so klein und dürftig, wenn
man dich am nöthigsten hat!

Eben mit dieser Betrachtung beschäftigt, kam ich
nach 4. zurückgelegten Stationen endlich glücklich in Wien
an, das sich sehr schön *) präsentirt. Wahrhaftig ein

deutsches
*) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Residenz
seyn, die von allen Seiten einen so herrlichen Anblick
darbietet, als Wien.
Zweiter Theil. G g

ich nichts zu eſſen haben konnte, und auch kein Bier zu
haben war, ſchoͤnes Obſt umſonſt, und der in Moͤlk
theilte eben ſo wohlfeil ſein ſchmackhaftes Hausbackenbrod
mit mir. Groͤber aber war keiner, als der in Bur-
gersdorf.

Den 17ten April.

Reiſen iſt ein wahres Bild des menſchlichen Lebens.
Man ſtoͤßt tauſendmahl an, geraͤth in unzaͤhliche Schwie-
rigkeiten, findet oft uͤberall Hinderniſſe, leidet oft da,
wo’s am meiſten ſchmerzt, Schaden, verliert beſtaͤndig
einen Theil ſeiner Guͤter, wird oft mismuͤthig und ſehnt
ſich nach Ruhe, lernt ſich in die kleinſten Umſtaͤnde ſchi-
ckea, gewoͤhnt ſich mit allen Menſchen umzugehen, wird
immer unruhig wegen der Zukunft — nnd unvermerkt
kommt wieder beſſre Zeit, man findet gute Menſchen,
man reiſt einen ebenen Weg, man erfreut ſich der Dinge,
die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe
und der Freundſchaft das ausgeſtandene Ungemach, man
gewinnt andre Menſchen lieb, und lebt mit ihnen, als
wenn man ſie ſchon Jahre lang kennte, man vergißt der
ſchnellen Flucht der Zeit, und meint, es waͤre gut, wenn
das ganze Leben ſo dahinfloͤſſe. — Ach Philoſophie und
Menſchenweisheit! wie biſt du ſo klein und duͤrftig, wenn
man dich am noͤthigſten hat!

Eben mit dieſer Betrachtung beſchaͤftigt, kam ich
nach 4. zuruͤckgelegten Stationen endlich gluͤcklich in Wien
an, das ſich ſehr ſchoͤn *) praͤſentirt. Wahrhaftig ein

deutſches
*) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Reſidenz
ſeyn, die von allen Seiten einen ſo herrlichen Anblick
darbietet, als Wien.
Zweiter Theil. G g
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[465/0503] ich nichts zu eſſen haben konnte, und auch kein Bier zu haben war, ſchoͤnes Obſt umſonſt, und der in Moͤlk theilte eben ſo wohlfeil ſein ſchmackhaftes Hausbackenbrod mit mir. Groͤber aber war keiner, als der in Bur- gersdorf. Den 17ten April. Reiſen iſt ein wahres Bild des menſchlichen Lebens. Man ſtoͤßt tauſendmahl an, geraͤth in unzaͤhliche Schwie- rigkeiten, findet oft uͤberall Hinderniſſe, leidet oft da, wo’s am meiſten ſchmerzt, Schaden, verliert beſtaͤndig einen Theil ſeiner Guͤter, wird oft mismuͤthig und ſehnt ſich nach Ruhe, lernt ſich in die kleinſten Umſtaͤnde ſchi- ckea, gewoͤhnt ſich mit allen Menſchen umzugehen, wird immer unruhig wegen der Zukunft — nnd unvermerkt kommt wieder beſſre Zeit, man findet gute Menſchen, man reiſt einen ebenen Weg, man erfreut ſich der Dinge, die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe und der Freundſchaft das ausgeſtandene Ungemach, man gewinnt andre Menſchen lieb, und lebt mit ihnen, als wenn man ſie ſchon Jahre lang kennte, man vergißt der ſchnellen Flucht der Zeit, und meint, es waͤre gut, wenn das ganze Leben ſo dahinfloͤſſe. — Ach Philoſophie und Menſchenweisheit! wie biſt du ſo klein und duͤrftig, wenn man dich am noͤthigſten hat! Eben mit dieſer Betrachtung beſchaͤftigt, kam ich nach 4. zuruͤckgelegten Stationen endlich gluͤcklich in Wien an, das ſich ſehr ſchoͤn *) praͤſentirt. Wahrhaftig ein deutſches *) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Reſidenz ſeyn, die von allen Seiten einen ſo herrlichen Anblick darbietet, als Wien. Zweiter Theil. G g

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/503>, abgerufen am 22.11.2024.