Heute war für mich ein merkwürdiger Tag, weil ich unter so Vielen zum Handkuß beim Pabst gelangte. Dies geschah um 10. Uhr Vormittags im Schlosse, nach- dem er stille Messe gelesen hatte. Er hatte eine weisse Mütze auf, und das patriarchalische rothe mit Gold ge- stickte Kleid, das Pectorale und ein schleppendes weis- ses Unterkleid an. Hinter ihm stand ein Stuhl, er stand aber auf, weil er wegen der vielen Damen sich nur die Hand, und nicht den Fuß küssen lassen wollte. Doch lagen viele auf dem Boden, und küßten den Fuß. Sein Gesicht ist rund, voll, eben nicht sehr frisch gefärbt, aber lieblich, freundlich, und zum Einsegnen wie gemacht *). Im Munde und in den Lippen hat er etwas Sanftes, Einnehmendes, das durch das Alter und die grauen Haare noch erhöht wird. Er hatte einen weisseidenen Handschuh an, und wechselte bald mit der hohlen, bald mit der obern Hand ab. Die Kaiserlichen Kammerfou- riere führten die Leute vor, hielten Ordnung, trieben die, welche schon geküßt hatten, hinaus, und hatten warlich ein ermüdendes Geschäft. Man brachte auch eine Men- ge kleiner Kinder herbei, die im größten Staat dieses Glück geniessen sollten. Hr. von Heyfeld, der beim Kontrolleuramte angestellt ist, und Aufsicht auf Küchen u. dergl. hat, führte mich auf Empfehlung des Hrn. von Stockmaiers zu einem sehr glücklichen Zeitpunkte
hinein,
*) Wenn der Pabst nur einen Augenblick sich selbst über- lassen ist, und ruhig da steht, so macht er die aller- gemeinste Miene, das platteste Gesicht. Sobald er aber wieder seine Rolle spielen muß, ist niemand ge- schickter als Er.
Den 20ſten April.
Heute war fuͤr mich ein merkwuͤrdiger Tag, weil ich unter ſo Vielen zum Handkuß beim Pabſt gelangte. Dies geſchah um 10. Uhr Vormittags im Schloſſe, nach- dem er ſtille Meſſe geleſen hatte. Er hatte eine weiſſe Muͤtze auf, und das patriarchaliſche rothe mit Gold ge- ſtickte Kleid, das Pectorale und ein ſchleppendes weiſ- ſes Unterkleid an. Hinter ihm ſtand ein Stuhl, er ſtand aber auf, weil er wegen der vielen Damen ſich nur die Hand, und nicht den Fuß kuͤſſen laſſen wollte. Doch lagen viele auf dem Boden, und kuͤßten den Fuß. Sein Geſicht iſt rund, voll, eben nicht ſehr friſch gefaͤrbt, aber lieblich, freundlich, und zum Einſegnen wie gemacht *). Im Munde und in den Lippen hat er etwas Sanftes, Einnehmendes, das durch das Alter und die grauen Haare noch erhoͤht wird. Er hatte einen weisſeidenen Handſchuh an, und wechſelte bald mit der hohlen, bald mit der obern Hand ab. Die Kaiſerlichen Kammerfou- riere fuͤhrten die Leute vor, hielten Ordnung, trieben die, welche ſchon gekuͤßt hatten, hinaus, und hatten warlich ein ermuͤdendes Geſchaͤft. Man brachte auch eine Men- ge kleiner Kinder herbei, die im groͤßten Staat dieſes Gluͤck genieſſen ſollten. Hr. von Heyfeld, der beim Kontrolleuramte angeſtellt iſt, und Aufſicht auf Kuͤchen u. dergl. hat, fuͤhrte mich auf Empfehlung des Hrn. von Stockmaiers zu einem ſehr gluͤcklichen Zeitpunkte
hinein,
*) Wenn der Pabſt nur einen Augenblick ſich ſelbſt uͤber- laſſen iſt, und ruhig da ſteht, ſo macht er die aller- gemeinſte Miene, das platteſte Geſicht. Sobald er aber wieder ſeine Rolle ſpielen muß, iſt niemand ge- ſchickter als Er.
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Den 20ſten April.
Heute war fuͤr mich ein merkwuͤrdiger Tag, weil ich
unter ſo Vielen zum Handkuß beim Pabſt gelangte.
Dies geſchah um 10. Uhr Vormittags im Schloſſe, nach-
dem er ſtille Meſſe geleſen hatte. Er hatte eine weiſſe
Muͤtze auf, und das patriarchaliſche rothe mit Gold ge-
ſtickte Kleid, das Pectorale und ein ſchleppendes weiſ-
ſes Unterkleid an. Hinter ihm ſtand ein Stuhl, er ſtand
aber auf, weil er wegen der vielen Damen ſich nur die
Hand, und nicht den Fuß kuͤſſen laſſen wollte. Doch
lagen viele auf dem Boden, und kuͤßten den Fuß. Sein
Geſicht iſt rund, voll, eben nicht ſehr friſch gefaͤrbt, aber
lieblich, freundlich, und zum Einſegnen wie gemacht *).
Im Munde und in den Lippen hat er etwas Sanftes,
Einnehmendes, das durch das Alter und die grauen
Haare noch erhoͤht wird. Er hatte einen weisſeidenen
Handſchuh an, und wechſelte bald mit der hohlen, bald
mit der obern Hand ab. Die Kaiſerlichen Kammerfou-
riere fuͤhrten die Leute vor, hielten Ordnung, trieben die,
welche ſchon gekuͤßt hatten, hinaus, und hatten warlich
ein ermuͤdendes Geſchaͤft. Man brachte auch eine Men-
ge kleiner Kinder herbei, die im groͤßten Staat dieſes
Gluͤck genieſſen ſollten. Hr. von Heyfeld, der beim
Kontrolleuramte angeſtellt iſt, und Aufſicht auf Kuͤchen
u. dergl. hat, fuͤhrte mich auf Empfehlung des Hrn.
von Stockmaiers zu einem ſehr gluͤcklichen Zeitpunkte
hinein,
*) Wenn der Pabſt nur einen Augenblick ſich ſelbſt uͤber-
laſſen iſt, und ruhig da ſteht, ſo macht er die aller-
gemeinſte Miene, das platteſte Geſicht. Sobald er
aber wieder ſeine Rolle ſpielen muß, iſt niemand ge-
ſchickter als Er.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/516>, abgerufen am 24.11.2024.
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