Jedermann trägt jetzt hier mit Seide oder reich ge- stickte Kleider. Tressen ist die Sache der Bedienten, oder gehört nur auf ein Negligee'kleid.
Söhne und Töchter werden hier von den Eltern nicht mit in Gesellschaft genommen, daher sind sie auch zu Hause gegen jeden Fremden blöde, schüchtern, und schwei- gen immer still.
Tödtend ist der Diskurs von der Kleidung' der Damen bei dem und dem Spektakel, Ball, Festin etc. weil er auch bei Tisch oft kein Ende nimmt. Und viele Damen gestehen am Ende, nachdem sie alle ihre Neuig- keiten ausgekramt haben, daß sie sie von ihrem Perücken- macher hätten. Der Ton der Wiener Welt erfordert, daß Gesandte und die vornehmsten Männer an diesen Un- terredungen Theil nehmen, und Galanterien, mit unter auch wohl Zoten, dabei anbringen.
Nun blühten doch die Maikirschen, und der Wein- stock sing an zu treiben. In der Ferne ward der Wald grün, und schon vor einigen Tagen hatte man die Gu- ckucke rufen gehört.
Das Obst erhalten die Obsthöfler in eigenen Kellern sehr künstlich, wickeln jede Birne, und jeden guten Apfel eigen in Papier ein, weil sie ihnen um diese Zeit das Stück mit 2. Kreuzer bezahlt werden.
Das Recht, einen Obststand oder Obstboutique in der Stadt zu haben, kostete ehemals 3-4000. Gulden, jetzt ohngefähr 100. Dukaten, der Kaiser erlaubt es Je- dem.
In den Gärten um Wien herum sprützen die Leute die Felder sehr artig mit einer Röhre, in welcher ihnen vom Berge Wasser zufließt.
In
Jedermann traͤgt jetzt hier mit Seide oder reich ge- ſtickte Kleider. Treſſen iſt die Sache der Bedienten, oder gehoͤrt nur auf ein Negligee’kleid.
Soͤhne und Toͤchter werden hier von den Eltern nicht mit in Geſellſchaft genommen, daher ſind ſie auch zu Hauſe gegen jeden Fremden bloͤde, ſchuͤchtern, und ſchwei- gen immer ſtill.
Toͤdtend iſt der Diskurs von der Kleidung’ der Damen bei dem und dem Spektakel, Ball, Feſtin ꝛc. weil er auch bei Tiſch oft kein Ende nimmt. Und viele Damen geſtehen am Ende, nachdem ſie alle ihre Neuig- keiten ausgekramt haben, daß ſie ſie von ihrem Peruͤcken- macher haͤtten. Der Ton der Wiener Welt erfordert, daß Geſandte und die vornehmſten Maͤnner an dieſen Un- terredungen Theil nehmen, und Galanterien, mit unter auch wohl Zoten, dabei anbringen.
Nun bluͤhten doch die Maikirſchen, und der Wein- ſtock ſing an zu treiben. In der Ferne ward der Wald gruͤn, und ſchon vor einigen Tagen hatte man die Gu- ckucke rufen gehoͤrt.
Das Obſt erhalten die Obſthoͤfler in eigenen Kellern ſehr kuͤnſtlich, wickeln jede Birne, und jeden guten Apfel eigen in Papier ein, weil ſie ihnen um dieſe Zeit das Stuͤck mit 2. Kreuzer bezahlt werden.
Das Recht, einen Obſtſtand oder Obſtboutique in der Stadt zu haben, koſtete ehemals 3-4000. Gulden, jetzt ohngefaͤhr 100. Dukaten, der Kaiſer erlaubt es Je- dem.
In den Gaͤrten um Wien herum ſpruͤtzen die Leute die Felder ſehr artig mit einer Roͤhre, in welcher ihnen vom Berge Waſſer zufließt.
In
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Jedermann traͤgt jetzt hier mit Seide oder reich ge-
ſtickte Kleider. Treſſen iſt die Sache der Bedienten,
oder gehoͤrt nur auf ein Negligee’kleid.
Soͤhne und Toͤchter werden hier von den Eltern
nicht mit in Geſellſchaft genommen, daher ſind ſie auch zu
Hauſe gegen jeden Fremden bloͤde, ſchuͤchtern, und ſchwei-
gen immer ſtill.
Toͤdtend iſt der Diskurs von der Kleidung’ der
Damen bei dem und dem Spektakel, Ball, Feſtin ꝛc.
weil er auch bei Tiſch oft kein Ende nimmt. Und viele
Damen geſtehen am Ende, nachdem ſie alle ihre Neuig-
keiten ausgekramt haben, daß ſie ſie von ihrem Peruͤcken-
macher haͤtten. Der Ton der Wiener Welt erfordert,
daß Geſandte und die vornehmſten Maͤnner an dieſen Un-
terredungen Theil nehmen, und Galanterien, mit unter
auch wohl Zoten, dabei anbringen.
Nun bluͤhten doch die Maikirſchen, und der Wein-
ſtock ſing an zu treiben. In der Ferne ward der Wald
gruͤn, und ſchon vor einigen Tagen hatte man die Gu-
ckucke rufen gehoͤrt.
Das Obſt erhalten die Obſthoͤfler in eigenen Kellern
ſehr kuͤnſtlich, wickeln jede Birne, und jeden guten Apfel
eigen in Papier ein, weil ſie ihnen um dieſe Zeit das
Stuͤck mit 2. Kreuzer bezahlt werden.
Das Recht, einen Obſtſtand oder Obſtboutique
in der Stadt zu haben, koſtete ehemals 3-4000. Gulden,
jetzt ohngefaͤhr 100. Dukaten, der Kaiſer erlaubt es Je-
dem.
In den Gaͤrten um Wien herum ſpruͤtzen die Leute
die Felder ſehr artig mit einer Roͤhre, in welcher ihnen
vom Berge Waſſer zufließt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/534>, abgerufen am 24.11.2024.
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