Heute war mein Erstes, das Kaiserliche Begräb- nis in der Kapuzinerkirche zu besuchen. Die Kirche und die Gruft haben gar nichts besonders. Man geht in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet nicht sehr tief -- das Tages Licht macht noch ziemlich helle -- einen Gang, zu dessen beiden Seiten die Kai- serlichen und Erzherzogl. Leichen meistens in kupfernen Särgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet sind, hinter eisernen Gittern liegen. In der Mitte steht das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiserin Mar. Ther. Ein Altar zum Meßlesen ist auch da, und hinter diesem erblickt man in der Mitte eine grosse weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen mit kleinen Genien darzwischen. -- So viel konnte ich sehen, weil eben Messe vor dem Altar von einem Kapu- ziner gelesen wurde, um derentwillen auch einige sehr An- dächtige hinabgestiegen waren, und auf den kalten Stei- nen vor dem eisernen Gitter knieten. -- In der That, das Herz wird sehr empfindlich angegriffen, wenn man den erbärmlichen, lateinischen, unverständlichen, trost- losen und Geberdevollen Gottesdienst, der doch das vornehmste Stück der Römischen Gottseligkeit ausmacht, zuweilen in der Nähe sieht. Warum muß denn der Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid küssen, wenn er das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus der simpeln, schönen, rührenden, liebevollen Handlung Jesu Christi so ein wunderbares Spiel gemacht, worzu hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Körpers gehören, die man lange lernen und mit vieler Mühe sich angewöhnen muß. Traurig und wie von Gott verlassen steht das arme Volk der Christen da herum, sieht dem
Wunder-
Den 27ſten April.
Heute war mein Erſtes, das Kaiſerliche Begraͤb- nis in der Kapuzinerkirche zu beſuchen. Die Kirche und die Gruft haben gar nichts beſonders. Man geht in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet nicht ſehr tief — das Tages Licht macht noch ziemlich helle — einen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Kai- ſerlichen und Erzherzogl. Leichen meiſtens in kupfernen Saͤrgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet ſind, hinter eiſernen Gittern liegen. In der Mitte ſteht das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiſerin Mar. Ther. Ein Altar zum Meßleſen iſt auch da, und hinter dieſem erblickt man in der Mitte eine groſſe weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen mit kleinen Genien darzwiſchen. — So viel konnte ich ſehen, weil eben Meſſe vor dem Altar von einem Kapu- ziner geleſen wurde, um derentwillen auch einige ſehr An- daͤchtige hinabgeſtiegen waren, und auf den kalten Stei- nen vor dem eiſernen Gitter knieten. — In der That, das Herz wird ſehr empfindlich angegriffen, wenn man den erbaͤrmlichen, lateiniſchen, unverſtaͤndlichen, troſt- loſen und Geberdevollen Gottesdienſt, der doch das vornehmſte Stuͤck der Roͤmiſchen Gottſeligkeit ausmacht, zuweilen in der Naͤhe ſieht. Warum muß denn der Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid kuͤſſen, wenn er das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus der ſimpeln, ſchoͤnen, ruͤhrenden, liebevollen Handlung Jeſu Chriſti ſo ein wunderbares Spiel gemacht, worzu hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Koͤrpers gehoͤren, die man lange lernen und mit vieler Muͤhe ſich angewoͤhnen muß. Traurig und wie von Gott verlaſſen ſteht das arme Volk der Chriſten da herum, ſieht dem
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Den 27ſten April.
Heute war mein Erſtes, das Kaiſerliche Begraͤb-
nis in der Kapuzinerkirche zu beſuchen. Die Kirche
und die Gruft haben gar nichts beſonders. Man geht
in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet
nicht ſehr tief — das Tages Licht macht noch ziemlich
helle — einen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Kai-
ſerlichen und Erzherzogl. Leichen meiſtens in kupfernen
Saͤrgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet
ſind, hinter eiſernen Gittern liegen. In der Mitte ſteht
das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiſerin
Mar. Ther. Ein Altar zum Meßleſen iſt auch da,
und hinter dieſem erblickt man in der Mitte eine groſſe
weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen
mit kleinen Genien darzwiſchen. — So viel konnte ich
ſehen, weil eben Meſſe vor dem Altar von einem Kapu-
ziner geleſen wurde, um derentwillen auch einige ſehr An-
daͤchtige hinabgeſtiegen waren, und auf den kalten Stei-
nen vor dem eiſernen Gitter knieten. — In der That,
das Herz wird ſehr empfindlich angegriffen, wenn man
den erbaͤrmlichen, lateiniſchen, unverſtaͤndlichen, troſt-
loſen und Geberdevollen Gottesdienſt, der doch das
vornehmſte Stuͤck der Roͤmiſchen Gottſeligkeit ausmacht,
zuweilen in der Naͤhe ſieht. Warum muß denn der
Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid kuͤſſen, wenn er
das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus
der ſimpeln, ſchoͤnen, ruͤhrenden, liebevollen Handlung
Jeſu Chriſti ſo ein wunderbares Spiel gemacht, worzu
hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Koͤrpers
gehoͤren, die man lange lernen und mit vieler Muͤhe ſich
angewoͤhnen muß. Traurig und wie von Gott verlaſſen
ſteht das arme Volk der Chriſten da herum, ſieht dem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/554>, abgerufen am 24.11.2024.
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