Alle mögliche Waaren werden feil geboten, und zum Theil ausgeschrien. Man spürt keinen Staub, alles ist wohl gepflastert und mit den schönsten Steinen belegt, oben auf der einen Seite steht ein hohes Gebäude, an wel- chem die herrlichsten Platten von blauem Schmelzwerk, aus dem Alterthume noch vortreflich erhalten, befindlich sind. In der Mitte des blauen mit goldenen Sternen besäeten Feldes steht der vergoldete Löwe, der das Evan- gelium hält, und weiter unten die Bildsäule des h. Mar- kus selbst. Aufgerichtete Obelisken mit goldenen Knö- pfen sieht man hier auch. Die Gebäude sind alle alt, gothisch, schwarzgrau, aber ihre Höhe, Breite, Grösse und das Massive daran erweckt gleich die Idee des Gros- sen. Auf der einen Seite zieht sich der Platz nach dem Meere hin, und man hört gern zuweilen das Kanoni- ren der Schiffe, wenn sie ankommen, oder weggehen.
Keine Stadt in der Welt hat so viele Brücken, als Venedig. Dadurch hat man die vielen kleinen Inseln mit einander verbunden. Sie sind sehr hoch, und er- müdeten mich immer sehr. Oft geht der Weg über 3, 4. gerade hintereinander. Die schönste ist freilich
Il Ponte Rialto. -- Rialto heißt eine ganze Ge- gend der Stadt. Auf dieser Brücke, die freilich aus einem Einzigen ganz vortreflichen Bogen über Einen der breitesten Kanäle besteht, stehen viele Boutiken. Es gehen auch 3. grosse Treppen hinauf, darneben ist ein gewölbter Platz, der den Kaufleuten zur Börse dient, wo sie gegen 12. Uhr nach deutscher Uhr sich einfinden. Der Bogen ist so gros, daß ich 5. Gondeln auf der einen, und 6. auf der andern Seite unter ihm liegen sah, und es war doch noch Platz genug für die durchfahrenden Gondeln.
Bemer-
Alle moͤgliche Waaren werden feil geboten, und zum Theil ausgeſchrien. Man ſpuͤrt keinen Staub, alles iſt wohl gepflaſtert und mit den ſchoͤnſten Steinen belegt, oben auf der einen Seite ſteht ein hohes Gebaͤude, an wel- chem die herrlichſten Platten von blauem Schmelzwerk, aus dem Alterthume noch vortreflich erhalten, befindlich ſind. In der Mitte des blauen mit goldenen Sternen beſaͤeten Feldes ſteht der vergoldete Loͤwe, der das Evan- gelium haͤlt, und weiter unten die Bildſaͤule des h. Mar- kus ſelbſt. Aufgerichtete Obelisken mit goldenen Knoͤ- pfen ſieht man hier auch. Die Gebaͤude ſind alle alt, gothiſch, ſchwarzgrau, aber ihre Hoͤhe, Breite, Groͤſſe und das Maſſive daran erweckt gleich die Idee des Groſ- ſen. Auf der einen Seite zieht ſich der Platz nach dem Meere hin, und man hoͤrt gern zuweilen das Kanoni- ren der Schiffe, wenn ſie ankommen, oder weggehen.
Keine Stadt in der Welt hat ſo viele Bruͤcken, als Venedig. Dadurch hat man die vielen kleinen Inſeln mit einander verbunden. Sie ſind ſehr hoch, und er- muͤdeten mich immer ſehr. Oft geht der Weg uͤber 3, 4. gerade hintereinander. Die ſchoͤnſte iſt freilich
Il Ponte Rialto. — Rialto heißt eine ganze Ge- gend der Stadt. Auf dieſer Bruͤcke, die freilich aus einem Einzigen ganz vortreflichen Bogen uͤber Einen der breiteſten Kanaͤle beſteht, ſtehen viele Boutiken. Es gehen auch 3. groſſe Treppen hinauf, darneben iſt ein gewoͤlbter Platz, der den Kaufleuten zur Boͤrſe dient, wo ſie gegen 12. Uhr nach deutſcher Uhr ſich einfinden. Der Bogen iſt ſo gros, daß ich 5. Gondeln auf der einen, und 6. auf der andern Seite unter ihm liegen ſah, und es war doch noch Platz genug fuͤr die durchfahrenden Gondeln.
Bemer-
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Alle moͤgliche Waaren werden feil geboten, und zum Theil
ausgeſchrien. Man ſpuͤrt keinen Staub, alles iſt wohl
gepflaſtert und mit den ſchoͤnſten Steinen belegt, oben
auf der einen Seite ſteht ein hohes Gebaͤude, an wel-
chem die herrlichſten Platten von blauem Schmelzwerk,
aus dem Alterthume noch vortreflich erhalten, befindlich
ſind. In der Mitte des blauen mit goldenen Sternen
beſaͤeten Feldes ſteht der vergoldete Loͤwe, der das Evan-
gelium haͤlt, und weiter unten die Bildſaͤule des h. Mar-
kus ſelbſt. Aufgerichtete Obelisken mit goldenen Knoͤ-
pfen ſieht man hier auch. Die Gebaͤude ſind alle alt,
gothiſch, ſchwarzgrau, aber ihre Hoͤhe, Breite, Groͤſſe
und das Maſſive daran erweckt gleich die Idee des Groſ-
ſen. Auf der einen Seite zieht ſich der Platz nach dem
Meere hin, und man hoͤrt gern zuweilen das Kanoni-
ren der Schiffe, wenn ſie ankommen, oder weggehen.
Keine Stadt in der Welt hat ſo viele Bruͤcken, als
Venedig. Dadurch hat man die vielen kleinen Inſeln
mit einander verbunden. Sie ſind ſehr hoch, und er-
muͤdeten mich immer ſehr. Oft geht der Weg uͤber 3,
4. gerade hintereinander. Die ſchoͤnſte iſt freilich
Il Ponte Rialto. — Rialto heißt eine ganze Ge-
gend der Stadt. Auf dieſer Bruͤcke, die freilich aus
einem Einzigen ganz vortreflichen Bogen uͤber Einen der
breiteſten Kanaͤle beſteht, ſtehen viele Boutiken. Es
gehen auch 3. groſſe Treppen hinauf, darneben iſt ein
gewoͤlbter Platz, der den Kaufleuten zur Boͤrſe dient,
wo ſie gegen 12. Uhr nach deutſcher Uhr ſich einfinden.
Der Bogen iſt ſo gros, daß ich 5. Gondeln auf der einen,
und 6. auf der andern Seite unter ihm liegen ſah, und
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Gondeln.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/659>, abgerufen am 28.11.2024.
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