studirt haben, um im Fall der Noth predigen zu können. In den Predigten werden viele Verse angeführt. Der Prediger läßt den Tag vor der Predigt eine weitläuftige Disposition drucken, die heißt der Text. Hier kostet das Kirchgehen Geld. Ein Platz, den man in einer Hauptkirche kauft, kostet wohl 1000. Mark, das thun die Leute nicht gern, um nicht an eine Kirche gebunden zu seyn. Wer also keinen gekauften Platz hat, der muß, wenn er sitzen will, die Stelle mit 1. oder 2. Schillingen bezahlen. Alle nicht verkaufte Plätze sind in jeder Kir- che an gewisse Weiber gegen schweres Geld verpachtet. Diese Weiber weisen nun den Fremden Stühle an, ha- ben auch eine Menge Sessel bei der Hand, und lassen sich noch in der Kirche oder beim Weggehen bezahlen. Sie lösen viel, weil in Hauptkirchen am Sonntage 4. Gottes- dienste sind. Man meint hier, es liesse sich dies nicht abstellen, theils wegen der vielen Fremden, die bestän- dig in der Stadt sind, theils weil der Unterhalt der Kir- che und der Armen so hoch kommt. Beinahe bei jeder Predigt hat der Prediger eine Menge Danksagungen und Fürbitten zu thun. Man bittet für alle Schifffahrende, für abgehende Studiosos, für reisende Kaufleute, für ein junges Ehepaar, wenn sie sich versprochen haben, wenn sie aufgeboten werden, wenn die Frau im 8ten Monat schwanger ist, wenn sie entbunden worden, wenn sie wieder ausgeht. Man bittet für die Predigerwahlen, wenn welche sind, für die Bekehrung der Juden, man liest Lebensläufte ab, und wünschet den Eltern, Schwe- ster, Frau, Schwiegermutter, nahmentlich, Gottes Trö- stungen, und das alles in weitläustigen Formeln, die oft sehr ungeschickt gewählt sind, z. B. "dem allerhöch- "sten Gott wird hiermit schuldiger Dank abgestattet".
Das
ſtudirt haben, um im Fall der Noth predigen zu koͤnnen. In den Predigten werden viele Verſe angefuͤhrt. Der Prediger laͤßt den Tag vor der Predigt eine weitlaͤuftige Diſpoſition drucken, die heißt der Text. Hier koſtet das Kirchgehen Geld. Ein Platz, den man in einer Hauptkirche kauft, koſtet wohl 1000. Mark, das thun die Leute nicht gern, um nicht an eine Kirche gebunden zu ſeyn. Wer alſo keinen gekauften Platz hat, der muß, wenn er ſitzen will, die Stelle mit 1. oder 2. Schillingen bezahlen. Alle nicht verkaufte Plaͤtze ſind in jeder Kir- che an gewiſſe Weiber gegen ſchweres Geld verpachtet. Dieſe Weiber weiſen nun den Fremden Stuͤhle an, ha- ben auch eine Menge Seſſel bei der Hand, und laſſen ſich noch in der Kirche oder beim Weggehen bezahlen. Sie loͤſen viel, weil in Hauptkirchen am Sonntage 4. Gottes- dienſte ſind. Man meint hier, es lieſſe ſich dies nicht abſtellen, theils wegen der vielen Fremden, die beſtaͤn- dig in der Stadt ſind, theils weil der Unterhalt der Kir- che und der Armen ſo hoch kommt. Beinahe bei jeder Predigt hat der Prediger eine Menge Dankſagungen und Fuͤrbitten zu thun. Man bittet fuͤr alle Schifffahrende, fuͤr abgehende Studioſos, fuͤr reiſende Kaufleute, fuͤr ein junges Ehepaar, wenn ſie ſich verſprochen haben, wenn ſie aufgeboten werden, wenn die Frau im 8ten Monat ſchwanger iſt, wenn ſie entbunden worden, wenn ſie wieder ausgeht. Man bittet fuͤr die Predigerwahlen, wenn welche ſind, fuͤr die Bekehrung der Juden, man lieſt Lebenslaͤufte ab, und wuͤnſchet den Eltern, Schwe- ſter, Frau, Schwiegermutter, nahmentlich, Gottes Troͤ- ſtungen, und das alles in weitlaͤuſtigen Formeln, die oft ſehr ungeſchickt gewaͤhlt ſind, z. B. „dem allerhoͤch- „ſten Gott wird hiermit ſchuldiger Dank abgeſtattet“.
Das
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ſtudirt haben, um im Fall der Noth predigen zu koͤnnen.
In den Predigten werden viele Verſe angefuͤhrt. Der
Prediger laͤßt den Tag vor der Predigt eine weitlaͤuftige
Diſpoſition drucken, die heißt der Text. Hier koſtet
das Kirchgehen Geld. Ein Platz, den man in einer
Hauptkirche kauft, koſtet wohl 1000. Mark, das thun
die Leute nicht gern, um nicht an eine Kirche gebunden
zu ſeyn. Wer alſo keinen gekauften Platz hat, der muß,
wenn er ſitzen will, die Stelle mit 1. oder 2. Schillingen
bezahlen. Alle nicht verkaufte Plaͤtze ſind in jeder Kir-
che an gewiſſe Weiber gegen ſchweres Geld verpachtet.
Dieſe Weiber weiſen nun den Fremden Stuͤhle an, ha-
ben auch eine Menge Seſſel bei der Hand, und laſſen ſich
noch in der Kirche oder beim Weggehen bezahlen. Sie
loͤſen viel, weil in Hauptkirchen am Sonntage 4. Gottes-
dienſte ſind. Man meint hier, es lieſſe ſich dies nicht
abſtellen, theils wegen der vielen Fremden, die beſtaͤn-
dig in der Stadt ſind, theils weil der Unterhalt der Kir-
che und der Armen ſo hoch kommt. Beinahe bei jeder
Predigt hat der Prediger eine Menge Dankſagungen und
Fuͤrbitten zu thun. Man bittet fuͤr alle Schifffahrende,
fuͤr abgehende Studioſos, fuͤr reiſende Kaufleute, fuͤr
ein junges Ehepaar, wenn ſie ſich verſprochen haben,
wenn ſie aufgeboten werden, wenn die Frau im 8ten
Monat ſchwanger iſt, wenn ſie entbunden worden, wenn
ſie wieder ausgeht. Man bittet fuͤr die Predigerwahlen,
wenn welche ſind, fuͤr die Bekehrung der Juden, man
lieſt Lebenslaͤufte ab, und wuͤnſchet den Eltern, Schwe-
ſter, Frau, Schwiegermutter, nahmentlich, Gottes Troͤ-
ſtungen, und das alles in weitlaͤuſtigen Formeln, die
oft ſehr ungeſchickt gewaͤhlt ſind, z. B. „dem allerhoͤch-
„ſten Gott wird hiermit ſchuldiger Dank abgeſtattet“.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/702>, abgerufen am 21.11.2024.
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