Man hat hier eigne Plätze, wo die Ochsen ge- schlachtet werden, grosse steinerne, vielstöckige Häuser, wo niemand wohnt, die man blos als Packhäuser braucht, Rathsapotheken und Rathskeller, die unmittelbar unter dem Rathe stehen. Die meisten Häuser sind hoch, ha- ben viele Stockwerke, gehen spitzig zu und sind schmal. Die neuern sind alle von gebrannten Steinen, und geben einen guten Anblick. Der Pferdemarkt ist ein Platz, wo alle Jahre zweimahl eine erschreckliche Menge Ochsen zu- sammen kommen, welche die Schlächter, und die Bür- ger kaufen, denn jeder Bürger schlachtet hier alle Spät- jahre einen Ochsen, pöckelt das Fleisch ein, und verspeißt es den Winter durch. Auf diesem Platze ist auch die Nachtwache, denn es gehen alle Nacht starke Patroul- len, theils weil die engen Strassen leicht den Spitzbuben zum Aufenthalt dienen, theils wegen Feuersgefahr; -- sie haben deswegen auch immer Eimer bei sich, und sind bei entstehender Gefahr gleich bei der Hand.
Man hat hier grosse Zuchthäuser, wo die Betrü- ger hinein kommen. Es sind lange Gebäude, worin 2. grosse Thore immer offen stehen; dadurch sind viele un- versehens gefangen worden. Die Eltern oder Vormün- der sagen, sie wolten mit dem jungen Verschwender spa- zieren fahren, und ehe er sichs vermuthet, fährt die Kut- sche bei dem Thor hinein, und das Thor fällt zu. Die Arbeiten werden nach Maasgabe der Vergehungen aus- getheilt. Die schwerste ist, Fernambucksholz raspeln, denn das ist so schwer und hart wie Stein- oder Tauwerk spinnen, oder grobe Tücher, die sie Feil nennen, und beim Scheuren gebrauchen. Hingegen unehrliche Leute, Diebe, Kindermörderinnen, Landhuren etc. kommen ins
Spinn-
Man hat hier eigne Plaͤtze, wo die Ochſen ge- ſchlachtet werden, groſſe ſteinerne, vielſtoͤckige Haͤuſer, wo niemand wohnt, die man blos als Packhaͤuſer braucht, Rathsapotheken und Rathskeller, die unmittelbar unter dem Rathe ſtehen. Die meiſten Haͤuſer ſind hoch, ha- ben viele Stockwerke, gehen ſpitzig zu und ſind ſchmal. Die neuern ſind alle von gebrannten Steinen, und geben einen guten Anblick. Der Pferdemarkt iſt ein Platz, wo alle Jahre zweimahl eine erſchreckliche Menge Ochſen zu- ſammen kommen, welche die Schlaͤchter, und die Buͤr- ger kaufen, denn jeder Buͤrger ſchlachtet hier alle Spaͤt- jahre einen Ochſen, poͤckelt das Fleiſch ein, und verſpeißt es den Winter durch. Auf dieſem Platze iſt auch die Nachtwache, denn es gehen alle Nacht ſtarke Patroul- len, theils weil die engen Straſſen leicht den Spitzbuben zum Aufenthalt dienen, theils wegen Feuersgefahr; — ſie haben deswegen auch immer Eimer bei ſich, und ſind bei entſtehender Gefahr gleich bei der Hand.
Man hat hier groſſe Zuchthaͤuſer, wo die Betruͤ- ger hinein kommen. Es ſind lange Gebaͤude, worin 2. groſſe Thore immer offen ſtehen; dadurch ſind viele un- verſehens gefangen worden. Die Eltern oder Vormuͤn- der ſagen, ſie wolten mit dem jungen Verſchwender ſpa- zieren fahren, und ehe er ſichs vermuthet, faͤhrt die Kut- ſche bei dem Thor hinein, und das Thor faͤllt zu. Die Arbeiten werden nach Maasgabe der Vergehungen aus- getheilt. Die ſchwerſte iſt, Fernambucksholz raſpeln, denn das iſt ſo ſchwer und hart wie Stein- oder Tauwerk ſpinnen, oder grobe Tuͤcher, die ſie Feil nennen, und beim Scheuren gebrauchen. Hingegen unehrliche Leute, Diebe, Kindermoͤrderinnen, Landhuren ꝛc. kommen ins
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Man hat hier eigne Plaͤtze, wo die Ochſen ge-
ſchlachtet werden, groſſe ſteinerne, vielſtoͤckige Haͤuſer,
wo niemand wohnt, die man blos als Packhaͤuſer braucht,
Rathsapotheken und Rathskeller, die unmittelbar unter
dem Rathe ſtehen. Die meiſten Haͤuſer ſind hoch, ha-
ben viele Stockwerke, gehen ſpitzig zu und ſind ſchmal.
Die neuern ſind alle von gebrannten Steinen, und geben
einen guten Anblick. Der Pferdemarkt iſt ein Platz, wo
alle Jahre zweimahl eine erſchreckliche Menge Ochſen zu-
ſammen kommen, welche die Schlaͤchter, und die Buͤr-
ger kaufen, denn jeder Buͤrger ſchlachtet hier alle Spaͤt-
jahre einen Ochſen, poͤckelt das Fleiſch ein, und verſpeißt
es den Winter durch. Auf dieſem Platze iſt auch die
Nachtwache, denn es gehen alle Nacht ſtarke Patroul-
len, theils weil die engen Straſſen leicht den Spitzbuben
zum Aufenthalt dienen, theils wegen Feuersgefahr; —
ſie haben deswegen auch immer Eimer bei ſich, und ſind
bei entſtehender Gefahr gleich bei der Hand.
Man hat hier groſſe Zuchthaͤuſer, wo die Betruͤ-
ger hinein kommen. Es ſind lange Gebaͤude, worin
2. groſſe Thore immer offen ſtehen; dadurch ſind viele un-
verſehens gefangen worden. Die Eltern oder Vormuͤn-
der ſagen, ſie wolten mit dem jungen Verſchwender ſpa-
zieren fahren, und ehe er ſichs vermuthet, faͤhrt die Kut-
ſche bei dem Thor hinein, und das Thor faͤllt zu. Die
Arbeiten werden nach Maasgabe der Vergehungen aus-
getheilt. Die ſchwerſte iſt, Fernambucksholz raſpeln,
denn das iſt ſo ſchwer und hart wie Stein- oder Tauwerk
ſpinnen, oder grobe Tuͤcher, die ſie Feil nennen, und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/704>, abgerufen am 16.02.2025.
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