von den Aposteln, indem sie fortrücken, grade vor den Heiland zu stehen kommt, so zuckt er Achseln und Kopf, vom Drath und dem Gange des Uhrwerks so bestimmt, zusammen, macht eine Verbeugung, die possirlich ge- nug aussieht, vor ihm, und geht dann weiter. Die schärfer sehen als ich, sagen, daß Judas nur ein hä- misches tückisches Kompliment mache. Sind sie alle vorbei passirt, so gehen sie auf die andre Seite, und der Weg geht nach der Stellung der Zuschauer von der Rech- ten nach der Linken, wieder zu einer Thüre hinein, die gerade nach dem Judas zufährt. Fast alle Tage kom- men Fremde daher, der Küstersjunge soll sich ganz gut dabei befinden, indem er gegen ein Biergeld eine Be- schreibung anbietet, die man ihm gern läßt, wenn man das Spiel mit angesehen hat. In allen Kirchen sind schöne Uhren, Kanzeln und prächtige Orgeln, besonders im Dohm. Aber in der Marienkirche ist sogar eine ganze Reihe eines Todtentanzes abgemalt. Da stehen die abgeschmacktesten Fratzen, Knochenmänner, Ske- lete etc. zum Anblick für Christen, die sich Protestanten nennen, und noch halb Papisten sind.
Das Rathhaus macht keine ganz schlechte Figur. Der innere Audienzsaal übertrist an Pracht und Male- reien den Hamburger weit. Die Börse ist ein einge- schlossenes Gebäude, aber klein. Neue Häuser sieht man, aber es ist doch noch viel altes dran, sie behalten die alte Form, die Dächer bei. Sie haben meist eiser- ne Oefen, aber sie setzen sie inwendig mit holländischen Klinkern, die sie auf die Kante stellen, aus. Das er- hält die Wärme eben so lange, als wenn es ganz Kachel- ofen wäre. In allen hiesigen Oefen wird Torf gebrannt,
und
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von den Apoſteln, indem ſie fortruͤcken, grade vor den Heiland zu ſtehen kommt, ſo zuckt er Achſeln und Kopf, vom Drath und dem Gange des Uhrwerks ſo beſtimmt, zuſammen, macht eine Verbeugung, die poſſirlich ge- nug ausſieht, vor ihm, und geht dann weiter. Die ſchaͤrfer ſehen als ich, ſagen, daß Judas nur ein haͤ- miſches tuͤckiſches Kompliment mache. Sind ſie alle vorbei paſſirt, ſo gehen ſie auf die andre Seite, und der Weg geht nach der Stellung der Zuſchauer von der Rech- ten nach der Linken, wieder zu einer Thuͤre hinein, die gerade nach dem Judas zufaͤhrt. Faſt alle Tage kom- men Fremde daher, der Kuͤſtersjunge ſoll ſich ganz gut dabei befinden, indem er gegen ein Biergeld eine Be- ſchreibung anbietet, die man ihm gern laͤßt, wenn man das Spiel mit angeſehen hat. In allen Kirchen ſind ſchoͤne Uhren, Kanzeln und praͤchtige Orgeln, beſonders im Dohm. Aber in der Marienkirche iſt ſogar eine ganze Reihe eines Todtentanzes abgemalt. Da ſtehen die abgeſchmackteſten Fratzen, Knochenmaͤnner, Ske- lete ꝛc. zum Anblick fuͤr Chriſten, die ſich Proteſtanten nennen, und noch halb Papiſten ſind.
Das Rathhaus macht keine ganz ſchlechte Figur. Der innere Audienzſaal uͤbertriſt an Pracht und Male- reien den Hamburger weit. Die Boͤrſe iſt ein einge- ſchloſſenes Gebaͤude, aber klein. Neue Haͤuſer ſieht man, aber es iſt doch noch viel altes dran, ſie behalten die alte Form, die Daͤcher bei. Sie haben meiſt eiſer- ne Oefen, aber ſie ſetzen ſie inwendig mit hollaͤndiſchen Klinkern, die ſie auf die Kante ſtellen, aus. Das er- haͤlt die Waͤrme eben ſo lange, als wenn es ganz Kachel- ofen waͤre. In allen hieſigen Oefen wird Torf gebrannt,
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von den Apoſteln, indem ſie fortruͤcken, grade vor den
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vom Drath und dem Gange des Uhrwerks ſo beſtimmt,
zuſammen, macht eine Verbeugung, die poſſirlich ge-
nug ausſieht, vor ihm, und geht dann weiter. Die
ſchaͤrfer ſehen als ich, ſagen, daß Judas nur ein haͤ-
miſches tuͤckiſches Kompliment mache. Sind ſie alle
vorbei paſſirt, ſo gehen ſie auf die andre Seite, und der
Weg geht nach der Stellung der Zuſchauer von der Rech-
ten nach der Linken, wieder zu einer Thuͤre hinein, die
gerade nach dem Judas zufaͤhrt. Faſt alle Tage kom-
men Fremde daher, der Kuͤſtersjunge ſoll ſich ganz gut
dabei befinden, indem er gegen ein Biergeld eine Be-
ſchreibung anbietet, die man ihm gern laͤßt, wenn man
das Spiel mit angeſehen hat. In allen Kirchen ſind
ſchoͤne Uhren, Kanzeln und praͤchtige Orgeln, beſonders
im Dohm. Aber in der Marienkirche iſt ſogar eine
ganze Reihe eines Todtentanzes abgemalt. Da ſtehen
die abgeſchmackteſten Fratzen, Knochenmaͤnner, Ske-
lete ꝛc. zum Anblick fuͤr Chriſten, die ſich Proteſtanten
nennen, und noch halb Papiſten ſind.
Das Rathhaus macht keine ganz ſchlechte Figur.
Der innere Audienzſaal uͤbertriſt an Pracht und Male-
reien den Hamburger weit. Die Boͤrſe iſt ein einge-
ſchloſſenes Gebaͤude, aber klein. Neue Haͤuſer ſieht
man, aber es iſt doch noch viel altes dran, ſie behalten
die alte Form, die Daͤcher bei. Sie haben meiſt eiſer-
ne Oefen, aber ſie ſetzen ſie inwendig mit hollaͤndiſchen
Klinkern, die ſie auf die Kante ſtellen, aus. Das er-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/719>, abgerufen am 21.11.2024.
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