Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Frömmigkeit des Erlösers. Augenblick. Man meynt, daß man alles sehe, und siehtdoch nicht, wie es zugehet. Aber die Vermehrung ist so groß, und ist so unglaublich, daß am Ende weit mehr übrig war, als man überhaupt hatte, so viel, daß man noch eine ansehnliche Zahl hungriger Leute damit speisen konnte. Und kaum hat unser Erlöser diese Strahlen der göttlichen Majestät um sich herum blitzen lassen, so be- zeugte er sich gar nicht so wie jeder andre Mensch gehan- delt haben würde. Das Volk erstaunt über seine Größe, jauchzt ihm zu, erkennt in ihm den letzten wichtigen Leh- rer, der erwartet wurde, Dank und Freude ergreift die aufgeregten Gemüther, die Hoffnung kommt dazu, es dünkt ihnen, daß sie unter dem Scepter dieses liebevol- len Mannes unaussprechlich glücklich seyn könnten, sie bieten ihm also die Krone an, wollen ihn salben, und aus- rufen als König, als Messias in Jsrael. Ein Titel, den man ihm schuldig war, eine Ehre, die er mit in die Welt brachte, eine Würde, die er selbst zu andrer Zeit mit allem Ernst behauptete, und doch nimmt er sie jezt nicht an. Das festliche Getümmel um ihn herum war ihm beschwerlich. Er will lieber allein seyn, als das Freudengeschrey seiner Verehrer anhören. Als wenn er vom Staub der Erde, der in Thälern herumfliegt, frey seyn, und sich über die unreinen Dämpfe, die den Kör- per beschweren, und den Geist umnebeln, erheben wollte, steigt er auf dem Berg, der ihm immer wegen seiner einfachen natürlichen Majestät zum Schauplatz der Wun- der dienen mußte, noch höher, und winkt selber seinen vertrauten Freunden, daß ihm keiner nachfolgen sollte. Sonst wußte seine Weisheit jede Gelegenheit zu benutzen. Sonst bot sich seine Liebe überall an, und entzog sich kei- nem
Frömmigkeit des Erlöſers. Augenblick. Man meynt, daß man alles ſehe, und ſiehtdoch nicht, wie es zugehet. Aber die Vermehrung iſt ſo groß, und iſt ſo unglaublich, daß am Ende weit mehr übrig war, als man überhaupt hatte, ſo viel, daß man noch eine anſehnliche Zahl hungriger Leute damit ſpeiſen konnte. Und kaum hat unſer Erlöſer dieſe Strahlen der göttlichen Majeſtät um ſich herum blitzen laſſen, ſo be- zeugte er ſich gar nicht ſo wie jeder andre Menſch gehan- delt haben würde. Das Volk erſtaunt über ſeine Größe, jauchzt ihm zu, erkennt in ihm den letzten wichtigen Leh- rer, der erwartet wurde, Dank und Freude ergreift die aufgeregten Gemüther, die Hoffnung kommt dazu, es dünkt ihnen, daß ſie unter dem Scepter dieſes liebevol- len Mannes unausſprechlich glücklich ſeyn könnten, ſie bieten ihm alſo die Krone an, wollen ihn ſalben, und aus- rufen als König, als Meſſias in Jſrael. Ein Titel, den man ihm ſchuldig war, eine Ehre, die er mit in die Welt brachte, eine Würde, die er ſelbſt zu andrer Zeit mit allem Ernſt behauptete, und doch nimmt er ſie jezt nicht an. Das feſtliche Getümmel um ihn herum war ihm beſchwerlich. Er will lieber allein ſeyn, als das Freudengeſchrey ſeiner Verehrer anhören. Als wenn er vom Staub der Erde, der in Thälern herumfliegt, frey ſeyn, und ſich über die unreinen Dämpfe, die den Kör- per beſchweren, und den Geiſt umnebeln, erheben wollte, ſteigt er auf dem Berg, der ihm immer wegen ſeiner einfachen natürlichen Majeſtät zum Schauplatz der Wun- der dienen mußte, noch höher, und winkt ſelber ſeinen vertrauten Freunden, daß ihm keiner nachfolgen ſollte. Sonſt wußte ſeine Weisheit jede Gelegenheit zu benutzen. Sonſt bot ſich ſeine Liebe überall an, und entzog ſich kei- nem
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0102" n="96"/><fw place="top" type="header">Frömmigkeit des Erlöſers.</fw><lb/> Augenblick. Man meynt, daß man alles ſehe, und ſieht<lb/> doch nicht, wie es zugehet. Aber die Vermehrung iſt<lb/> ſo groß, und iſt ſo unglaublich, daß am Ende weit mehr<lb/> übrig war, als man überhaupt hatte, ſo viel, daß man<lb/> noch eine anſehnliche Zahl hungriger Leute damit ſpeiſen<lb/> konnte. Und kaum hat unſer Erlöſer dieſe Strahlen der<lb/> göttlichen Majeſtät um ſich herum blitzen laſſen, ſo be-<lb/> zeugte er ſich gar nicht ſo wie jeder andre Menſch gehan-<lb/> delt haben würde. Das Volk erſtaunt über ſeine Größe,<lb/> jauchzt ihm zu, erkennt in ihm den letzten wichtigen Leh-<lb/> rer, der erwartet wurde, Dank und Freude ergreift die<lb/> aufgeregten Gemüther, die Hoffnung kommt dazu, es<lb/> dünkt ihnen, daß ſie unter dem Scepter dieſes liebevol-<lb/> len Mannes unausſprechlich glücklich ſeyn könnten, ſie<lb/> bieten ihm alſo die Krone an, wollen ihn ſalben, und aus-<lb/> rufen als König, als Meſſias in Jſrael. Ein Titel,<lb/> den man ihm ſchuldig war, eine Ehre, die er mit in die<lb/> Welt brachte, eine Würde, die er ſelbſt zu andrer Zeit<lb/> mit allem Ernſt behauptete, und doch nimmt er ſie jezt<lb/> nicht an. Das feſtliche Getümmel um ihn herum war<lb/> ihm beſchwerlich. Er will lieber allein ſeyn, als das<lb/> Freudengeſchrey ſeiner Verehrer anhören. Als wenn er<lb/> vom Staub der Erde, der in Thälern herumfliegt, frey<lb/> ſeyn, und ſich über die unreinen Dämpfe, die den Kör-<lb/> per beſchweren, und den Geiſt umnebeln, erheben wollte,<lb/> ſteigt er auf dem Berg, der ihm immer wegen ſeiner<lb/> einfachen natürlichen Majeſtät zum Schauplatz der Wun-<lb/> der dienen mußte, noch höher, und winkt ſelber ſeinen<lb/> vertrauten Freunden, daß ihm keiner nachfolgen ſollte.<lb/> Sonſt wußte ſeine Weisheit jede Gelegenheit zu benutzen.<lb/> Sonſt bot ſich ſeine Liebe überall an, und entzog ſich kei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nem</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0102]
Frömmigkeit des Erlöſers.
Augenblick. Man meynt, daß man alles ſehe, und ſieht
doch nicht, wie es zugehet. Aber die Vermehrung iſt
ſo groß, und iſt ſo unglaublich, daß am Ende weit mehr
übrig war, als man überhaupt hatte, ſo viel, daß man
noch eine anſehnliche Zahl hungriger Leute damit ſpeiſen
konnte. Und kaum hat unſer Erlöſer dieſe Strahlen der
göttlichen Majeſtät um ſich herum blitzen laſſen, ſo be-
zeugte er ſich gar nicht ſo wie jeder andre Menſch gehan-
delt haben würde. Das Volk erſtaunt über ſeine Größe,
jauchzt ihm zu, erkennt in ihm den letzten wichtigen Leh-
rer, der erwartet wurde, Dank und Freude ergreift die
aufgeregten Gemüther, die Hoffnung kommt dazu, es
dünkt ihnen, daß ſie unter dem Scepter dieſes liebevol-
len Mannes unausſprechlich glücklich ſeyn könnten, ſie
bieten ihm alſo die Krone an, wollen ihn ſalben, und aus-
rufen als König, als Meſſias in Jſrael. Ein Titel,
den man ihm ſchuldig war, eine Ehre, die er mit in die
Welt brachte, eine Würde, die er ſelbſt zu andrer Zeit
mit allem Ernſt behauptete, und doch nimmt er ſie jezt
nicht an. Das feſtliche Getümmel um ihn herum war
ihm beſchwerlich. Er will lieber allein ſeyn, als das
Freudengeſchrey ſeiner Verehrer anhören. Als wenn er
vom Staub der Erde, der in Thälern herumfliegt, frey
ſeyn, und ſich über die unreinen Dämpfe, die den Kör-
per beſchweren, und den Geiſt umnebeln, erheben wollte,
ſteigt er auf dem Berg, der ihm immer wegen ſeiner
einfachen natürlichen Majeſtät zum Schauplatz der Wun-
der dienen mußte, noch höher, und winkt ſelber ſeinen
vertrauten Freunden, daß ihm keiner nachfolgen ſollte.
Sonſt wußte ſeine Weisheit jede Gelegenheit zu benutzen.
Sonſt bot ſich ſeine Liebe überall an, und entzog ſich kei-
nem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |