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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Gegen die selbsterfundene Religion.
die elendesten Menschen um sich. Heuchler, Bösewich-
ter, Verketzerer, Verdammungssüchtige, und Blinde,
Lahme und Krüppel umringten ihn, wo er war. Aber
Er lebte immer unsträflich und gut; wiewohl er wußte,
daß ihm die Nation zuletzt das Leben nehmen würde, so
blieb er doch bey seinen frommen Entschließungen stand-
haft, und starb mit dem Gedanken an seine kommende
Seligkeit den allerschrecklichsten Tod. Viele tausend
Kranke heilte ein Wort von ihm. Er gab sich für den
Messias aus, und bewies, daß er es war. Kein Lehrer,
kein Weltweiser, kein Redner, kein Staatsmann und
Führer des Volks that je die Wunder, die die Geschichte
von ihm erzählt. Als er einmal zufällig Ursache gewor-
den war, daß ein ungeheurer Schwarm von Menschen
beynahe in Lebensgefahr gerieth, entschließt er sich zu hel-
fen, und wählt dazu ein Mittel, das freylich in jeder an-
dern Hand, ausser der seinigen, unnütz und unbedeu-
tend gewesen wäre. Er erfüllt das Volk mit großen
Erwartungen, und macht Anstalten zu der allervollkom-
mensten Speisung, als wenn in der Wüste alles im
Ueberfluß vor ihm läge. Und in der That, Ueberfluß
entsteht in seinen Händen. Einige kleine Brodte, und
wenige getrocknete Fische, die der Morgenländer auf Rei-
sen immer mit sich führt, vervielfältigen sich auf seinen
Befehl, unvermerkt, indem er austheilt, so unbegreiflich,
daß er an fünftausend Menschen abgeben kann. Da er
anfängt, sieht man beynahe nichts, und der Haufen wird
immer größer, je länger er austheilt. Es ist nicht an-
ders, als wenn die Quelle des Segens durch seine Hand
flösse. Was die Natur sonst langsam, in der Tiefe des
Erdbodens, an jedem Saamkorn thut, das geschieht im

Augen-

Gegen die ſelbſterfundene Religion.
die elendeſten Menſchen um ſich. Heuchler, Böſewich-
ter, Verketzerer, Verdammungsſüchtige, und Blinde,
Lahme und Krüppel umringten ihn, wo er war. Aber
Er lebte immer unſträflich und gut; wiewohl er wußte,
daß ihm die Nation zuletzt das Leben nehmen würde, ſo
blieb er doch bey ſeinen frommen Entſchließungen ſtand-
haft, und ſtarb mit dem Gedanken an ſeine kommende
Seligkeit den allerſchrecklichſten Tod. Viele tauſend
Kranke heilte ein Wort von ihm. Er gab ſich für den
Meſſias aus, und bewies, daß er es war. Kein Lehrer,
kein Weltweiſer, kein Redner, kein Staatsmann und
Führer des Volks that je die Wunder, die die Geſchichte
von ihm erzählt. Als er einmal zufällig Urſache gewor-
den war, daß ein ungeheurer Schwarm von Menſchen
beynahe in Lebensgefahr gerieth, entſchließt er ſich zu hel-
fen, und wählt dazu ein Mittel, das freylich in jeder an-
dern Hand, auſſer der ſeinigen, unnütz und unbedeu-
tend geweſen wäre. Er erfüllt das Volk mit großen
Erwartungen, und macht Anſtalten zu der allervollkom-
menſten Speiſung, als wenn in der Wüſte alles im
Ueberfluß vor ihm läge. Und in der That, Ueberfluß
entſteht in ſeinen Händen. Einige kleine Brodte, und
wenige getrocknete Fiſche, die der Morgenländer auf Rei-
ſen immer mit ſich führt, vervielfältigen ſich auf ſeinen
Befehl, unvermerkt, indem er austheilt, ſo unbegreiflich,
daß er an fünftauſend Menſchen abgeben kann. Da er
anfängt, ſieht man beynahe nichts, und der Haufen wird
immer größer, je länger er austheilt. Es iſt nicht an-
ders, als wenn die Quelle des Segens durch ſeine Hand
flöſſe. Was die Natur ſonſt langſam, in der Tiefe des
Erdbodens, an jedem Saamkorn thut, das geſchieht im

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[95/0101] Gegen die ſelbſterfundene Religion. die elendeſten Menſchen um ſich. Heuchler, Böſewich- ter, Verketzerer, Verdammungsſüchtige, und Blinde, Lahme und Krüppel umringten ihn, wo er war. Aber Er lebte immer unſträflich und gut; wiewohl er wußte, daß ihm die Nation zuletzt das Leben nehmen würde, ſo blieb er doch bey ſeinen frommen Entſchließungen ſtand- haft, und ſtarb mit dem Gedanken an ſeine kommende Seligkeit den allerſchrecklichſten Tod. Viele tauſend Kranke heilte ein Wort von ihm. Er gab ſich für den Meſſias aus, und bewies, daß er es war. Kein Lehrer, kein Weltweiſer, kein Redner, kein Staatsmann und Führer des Volks that je die Wunder, die die Geſchichte von ihm erzählt. Als er einmal zufällig Urſache gewor- den war, daß ein ungeheurer Schwarm von Menſchen beynahe in Lebensgefahr gerieth, entſchließt er ſich zu hel- fen, und wählt dazu ein Mittel, das freylich in jeder an- dern Hand, auſſer der ſeinigen, unnütz und unbedeu- tend geweſen wäre. Er erfüllt das Volk mit großen Erwartungen, und macht Anſtalten zu der allervollkom- menſten Speiſung, als wenn in der Wüſte alles im Ueberfluß vor ihm läge. Und in der That, Ueberfluß entſteht in ſeinen Händen. Einige kleine Brodte, und wenige getrocknete Fiſche, die der Morgenländer auf Rei- ſen immer mit ſich führt, vervielfältigen ſich auf ſeinen Befehl, unvermerkt, indem er austheilt, ſo unbegreiflich, daß er an fünftauſend Menſchen abgeben kann. Da er anfängt, ſieht man beynahe nichts, und der Haufen wird immer größer, je länger er austheilt. Es iſt nicht an- ders, als wenn die Quelle des Segens durch ſeine Hand flöſſe. Was die Natur ſonſt langſam, in der Tiefe des Erdbodens, an jedem Saamkorn thut, das geſchieht im Augen-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/101>, abgerufen am 24.11.2024.