Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Frömmigkeit des Erlösers. zweckmäßigen Mittel zur Vollkommenheit, die AbsichtenGottes mit den Erdensöhnen, und den sicheren Weg, seine Liebe wieder zu erlangen, nicht wußte, gerieth man nothwendig immer in Sümpfe, in Untiefen, in einen finstern Wald, man fuhr wild, ohne Stern und Weg- weiser, auf einem weiten ungebahnten Weg herum, man ermüdete sich mit tausend Fragen, kämpfte mit Zweifeln, verlohr oft plötzlich allen Faden, um durch das Labyrinth zu kommen, die Wahrheit schien endlich den Gescheute- sten so ein tief vergrabener Schatz zu seyn, daß man ihn mit Hebezeug und Rädern nicht herauf bringen konnte. Sehet da, Christen! das Elend des Menschengeschlechts, ehe Jesus Christus kam, und seine selige Religion! Und sollten wir dann nun den Glauben hergeben, der durch so viele Zeichen, Wunder, herrliche Eigenschaften, und vortreffliche Wirkungen bestätigt ist? Das Leben Jesu Christi ist, auch ohne seine Lehre, der reinste und schönste Abdruck des göttlichen Willens. Es ist ein inniges wahres Vergnügen, wenn man die ganze Reihe der gros- sen, liebenswürdigen und wohlthätigen Handlungen, womit Er immer beschäftigt war, vor den Augen vorbey- gehen läßt. Es ist äusserst lehrreich und unterrichtend, wenn man in seinem Wandel die Züge der wahren brauchbaren Weisheit, die Spuren der tiefen Klugheit, und die herrlichen, überdachten, festgegründeten Grundsätze aufsucht, wornach sein ganzes Betragen eingerichtet war. Sein Amt war das schwerste, das je ein Mensch beklei- dete. Mit Gott hatte er mehr Umgang, mehr Verrich- tungen, die nur vor seinen Augen insgeheim geschahen, als die Geschichte uns sagen konnte. Er hatte stets auf der einen Seite die verdorbensten, und auf der andern die
Frömmigkeit des Erlöſers. zweckmäßigen Mittel zur Vollkommenheit, die AbſichtenGottes mit den Erdenſöhnen, und den ſicheren Weg, ſeine Liebe wieder zu erlangen, nicht wußte, gerieth man nothwendig immer in Sümpfe, in Untiefen, in einen finſtern Wald, man fuhr wild, ohne Stern und Weg- weiſer, auf einem weiten ungebahnten Weg herum, man ermüdete ſich mit tauſend Fragen, kämpfte mit Zweifeln, verlohr oft plötzlich allen Faden, um durch das Labyrinth zu kommen, die Wahrheit ſchien endlich den Geſcheute- ſten ſo ein tief vergrabener Schatz zu ſeyn, daß man ihn mit Hebezeug und Rädern nicht herauf bringen konnte. Sehet da, Chriſten! das Elend des Menſchengeſchlechts, ehe Jeſus Chriſtus kam, und ſeine ſelige Religion! Und ſollten wir dann nun den Glauben hergeben, der durch ſo viele Zeichen, Wunder, herrliche Eigenſchaften, und vortreffliche Wirkungen beſtätigt iſt? Das Leben Jeſu Chriſti iſt, auch ohne ſeine Lehre, der reinſte und ſchönſte Abdruck des göttlichen Willens. Es iſt ein inniges wahres Vergnügen, wenn man die ganze Reihe der groſ- ſen, liebenswürdigen und wohlthätigen Handlungen, womit Er immer beſchäftigt war, vor den Augen vorbey- gehen läßt. Es iſt äuſſerſt lehrreich und unterrichtend, wenn man in ſeinem Wandel die Züge der wahren brauchbaren Weisheit, die Spuren der tiefen Klugheit, und die herrlichen, überdachten, feſtgegründeten Grundſätze aufſucht, wornach ſein ganzes Betragen eingerichtet war. Sein Amt war das ſchwerſte, das je ein Menſch beklei- dete. Mit Gott hatte er mehr Umgang, mehr Verrich- tungen, die nur vor ſeinen Augen insgeheim geſchahen, als die Geſchichte uns ſagen konnte. Er hatte ſtets auf der einen Seite die verdorbenſten, und auf der andern die
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Frömmigkeit des Erlöſers.
zweckmäßigen Mittel zur Vollkommenheit, die Abſichten
Gottes mit den Erdenſöhnen, und den ſicheren Weg,
ſeine Liebe wieder zu erlangen, nicht wußte, gerieth man
nothwendig immer in Sümpfe, in Untiefen, in einen
finſtern Wald, man fuhr wild, ohne Stern und Weg-
weiſer, auf einem weiten ungebahnten Weg herum, man
ermüdete ſich mit tauſend Fragen, kämpfte mit Zweifeln,
verlohr oft plötzlich allen Faden, um durch das Labyrinth
zu kommen, die Wahrheit ſchien endlich den Geſcheute-
ſten ſo ein tief vergrabener Schatz zu ſeyn, daß man ihn
mit Hebezeug und Rädern nicht herauf bringen konnte.
Sehet da, Chriſten! das Elend des Menſchengeſchlechts,
ehe Jeſus Chriſtus kam, und ſeine ſelige Religion! Und
ſollten wir dann nun den Glauben hergeben, der durch
ſo viele Zeichen, Wunder, herrliche Eigenſchaften, und
vortreffliche Wirkungen beſtätigt iſt? Das Leben Jeſu
Chriſti iſt, auch ohne ſeine Lehre, der reinſte und ſchönſte
Abdruck des göttlichen Willens. Es iſt ein inniges
wahres Vergnügen, wenn man die ganze Reihe der groſ-
ſen, liebenswürdigen und wohlthätigen Handlungen,
womit Er immer beſchäftigt war, vor den Augen vorbey-
gehen läßt. Es iſt äuſſerſt lehrreich und unterrichtend,
wenn man in ſeinem Wandel die Züge der wahren
brauchbaren Weisheit, die Spuren der tiefen Klugheit,
und die herrlichen, überdachten, feſtgegründeten Grundſätze
aufſucht, wornach ſein ganzes Betragen eingerichtet war.
Sein Amt war das ſchwerſte, das je ein Menſch beklei-
dete. Mit Gott hatte er mehr Umgang, mehr Verrich-
tungen, die nur vor ſeinen Augen insgeheim geſchahen,
als die Geſchichte uns ſagen konnte. Er hatte ſtets auf
der einen Seite die verdorbenſten, und auf der andern
die
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