Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Seine Vorschriften zur Liebe. Thun, vor der Unruhe, vor dem Eifer, womit einer demandern in Weg laufen, und da, wo man goldene Spiel- sachen austheilt, zuvorkommen will. Was machen wir insgemein in den Stunden, wo unser abgematteter Geist nach Erholung seufzt? Wir verschließen einander das Herz, und lassen unsern Rang und unser Vermögen se- hen. Wir beobachten eine Menge Förmlichkeiten, und verlieren alle Munterkeit und natürliche Frölichkeit. Wir verbergen einander das, was uns drückt, damit unsre Feinde nicht jauchzen über uns. Wir rücken immer wei- ter von einander, und kommen doch alle Tage näher zu dem Grabe, das uns vereinigt, zu der Ewigkeit, die uns alle versammlet. Dieser rennt nach zahlreichen Gesell- schaften, und doch wohnt dort wenig Vergnügen. Je- ner liebt den Umgang mit andern mehr als mit sich sel- ber, und verliert darüber die Zeit der Aussaat für die Ewigkeit. Wo Offenherzigkeit und Heiterkeit, wo mun- tre Einfälle, verschämte Scherze, leichte gefällige Erzäh- lungen, kleine anständige Spiele, schuldlose Unterhal- tungen, angenehme Zeitverkürzungen dem Weisen wahre Erholungen wären, da will ein andrer seinen Gift aus- schütten, will die Religion mit Koth werfen, will seinen platten Witz schärfen, will der Keuschheit Hohn sprechen, will die guten Sitten lächerlich machen, will Gottes beste Gaben, wie ein Thier, in sich saufen, will über Schüch- terne, Unerfahrne, Schlechtgekleidete spotten, will -- -- ach, Christen! wessen Geistes Kinder sind wir dann? Verehrungswerth ist der, der die geselligen Bande fester anzieht, der hilft, daß einem andern das gepeinigte Herz wieder freyer schlägt, der andre des Elends vergessen macht, und der dem, der schon lange geweint hat, die müde K 2
Seine Vorſchriften zur Liebe. Thun, vor der Unruhe, vor dem Eifer, womit einer demandern in Weg laufen, und da, wo man goldene Spiel- ſachen austheilt, zuvorkommen will. Was machen wir insgemein in den Stunden, wo unſer abgematteter Geiſt nach Erholung ſeufzt? Wir verſchließen einander das Herz, und laſſen unſern Rang und unſer Vermögen ſe- hen. Wir beobachten eine Menge Förmlichkeiten, und verlieren alle Munterkeit und natürliche Frölichkeit. Wir verbergen einander das, was uns drückt, damit unſre Feinde nicht jauchzen über uns. Wir rücken immer wei- ter von einander, und kommen doch alle Tage näher zu dem Grabe, das uns vereinigt, zu der Ewigkeit, die uns alle verſammlet. Dieſer rennt nach zahlreichen Geſell- ſchaften, und doch wohnt dort wenig Vergnügen. Je- ner liebt den Umgang mit andern mehr als mit ſich ſel- ber, und verliert darüber die Zeit der Ausſaat für die Ewigkeit. Wo Offenherzigkeit und Heiterkeit, wo mun- tre Einfälle, verſchämte Scherze, leichte gefällige Erzäh- lungen, kleine anſtändige Spiele, ſchuldloſe Unterhal- tungen, angenehme Zeitverkürzungen dem Weiſen wahre Erholungen wären, da will ein andrer ſeinen Gift aus- ſchütten, will die Religion mit Koth werfen, will ſeinen platten Witz ſchärfen, will der Keuſchheit Hohn ſprechen, will die guten Sitten lächerlich machen, will Gottes beſte Gaben, wie ein Thier, in ſich ſaufen, will über Schüch- terne, Unerfahrne, Schlechtgekleidete ſpotten, will — — ach, Chriſten! weſſen Geiſtes Kinder ſind wir dann? Verehrungswerth iſt der, der die geſelligen Bande feſter anzieht, der hilft, daß einem andern das gepeinigte Herz wieder freyer ſchlägt, der andre des Elends vergeſſen macht, und der dem, der ſchon lange geweint hat, die müde K 2
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Seine Vorſchriften zur Liebe.
Thun, vor der Unruhe, vor dem Eifer, womit einer dem
andern in Weg laufen, und da, wo man goldene Spiel-
ſachen austheilt, zuvorkommen will. Was machen wir
insgemein in den Stunden, wo unſer abgematteter Geiſt
nach Erholung ſeufzt? Wir verſchließen einander das
Herz, und laſſen unſern Rang und unſer Vermögen ſe-
hen. Wir beobachten eine Menge Förmlichkeiten, und
verlieren alle Munterkeit und natürliche Frölichkeit. Wir
verbergen einander das, was uns drückt, damit unſre
Feinde nicht jauchzen über uns. Wir rücken immer wei-
ter von einander, und kommen doch alle Tage näher zu
dem Grabe, das uns vereinigt, zu der Ewigkeit, die uns
alle verſammlet. Dieſer rennt nach zahlreichen Geſell-
ſchaften, und doch wohnt dort wenig Vergnügen. Je-
ner liebt den Umgang mit andern mehr als mit ſich ſel-
ber, und verliert darüber die Zeit der Ausſaat für die
Ewigkeit. Wo Offenherzigkeit und Heiterkeit, wo mun-
tre Einfälle, verſchämte Scherze, leichte gefällige Erzäh-
lungen, kleine anſtändige Spiele, ſchuldloſe Unterhal-
tungen, angenehme Zeitverkürzungen dem Weiſen wahre
Erholungen wären, da will ein andrer ſeinen Gift aus-
ſchütten, will die Religion mit Koth werfen, will ſeinen
platten Witz ſchärfen, will der Keuſchheit Hohn ſprechen,
will die guten Sitten lächerlich machen, will Gottes beſte
Gaben, wie ein Thier, in ſich ſaufen, will über Schüch-
terne, Unerfahrne, Schlechtgekleidete ſpotten, will — —
ach, Chriſten! weſſen Geiſtes Kinder ſind wir dann?
Verehrungswerth iſt der, der die geſelligen Bande feſter
anzieht, der hilft, daß einem andern das gepeinigte Herz
wieder freyer ſchlägt, der andre des Elends vergeſſen
macht, und der dem, der ſchon lange geweint hat, die
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