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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Seine Vorschriften zur Liebe.
Sünde, bittet, wie sein Vorgänger, um Besserung und
Erleuchtung des Feindseligen zu Gott, und bewahrt die
Welt um sich herum vor den tobenden Ausbrüchen eines
erhitzten Unsinnigen. Muß uns dann das alles, so lang
uns noch Tugend und Rechtschaffenheit lieb ist, nicht
mehr werth seyn, als der Schatten von äußerlicher
Ehre? als das Gemälde des närrischen Ruhms bey
Leuten, die nicht fähig, und nicht berufen sind, unsern
Werth abzuwägen? Eben so vortrefflich will unser Er-
löser, daß die höchste Billigkeit unser Verhalten ge-
gen einander bestimmen soll. (Luc. 7, 38.) Wir dür-
fen nur fremde Empfindungen nach den unsrigen beur-
theilen. Wir dürfen nur in Gedanken die Personen
verwechseln, und uns an die Stelle desjenigen setzen,
dem wir etwas abgezwungen, erpreßt, vorenthalten,
verkleinert, geschmälert, zurückbehalten, entzogen, ab-
geläugnet, abgeschworen, fein oder grob entwendet ha-
ben, und uns dann fragen, wie uns zu Muth seyn
würde? Ob nicht das Herz vor Rache glühen, ob wir
uns nicht schämen würden, daß der andre verschlagener,
listiger gewesen, als wir; ob wir nicht auf Mittel sin-
nen würden, ihm eben so wieder zu begegnen, wie er ge-
gen uns verfuhr? Denn das ist der Gang der Vorsehung
in der Welt, und die natürliche Strafe der Gottlosig-
keit. Mit eben dem Maas, womit ihr messet, wird
man euch wieder messen.
Der Geizige verliert das
Zutrauen von andern; man vermeidet es, viel Verkehr
mit ihm zu haben, weil er immer mit dem Arbeiter
marktet, oder lange auf Bezahlung warten läßt, wenn
er indessen mit dem Geld in der Hand etwas gewinnen
kann, oder weil er sich im Umtauschen der Waaren gar

leicht
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Seine Vorſchriften zur Liebe.
Sünde, bittet, wie ſein Vorgänger, um Beſſerung und
Erleuchtung des Feindſeligen zu Gott, und bewahrt die
Welt um ſich herum vor den tobenden Ausbrüchen eines
erhitzten Unſinnigen. Muß uns dann das alles, ſo lang
uns noch Tugend und Rechtſchaffenheit lieb iſt, nicht
mehr werth ſeyn, als der Schatten von äußerlicher
Ehre? als das Gemälde des närriſchen Ruhms bey
Leuten, die nicht fähig, und nicht berufen ſind, unſern
Werth abzuwägen? Eben ſo vortrefflich will unſer Er-
löſer, daß die höchſte Billigkeit unſer Verhalten ge-
gen einander beſtimmen ſoll. (Luc. 7, 38.) Wir dür-
fen nur fremde Empfindungen nach den unſrigen beur-
theilen. Wir dürfen nur in Gedanken die Perſonen
verwechſeln, und uns an die Stelle desjenigen ſetzen,
dem wir etwas abgezwungen, erpreßt, vorenthalten,
verkleinert, geſchmälert, zurückbehalten, entzogen, ab-
geläugnet, abgeſchworen, fein oder grob entwendet ha-
ben, und uns dann fragen, wie uns zu Muth ſeyn
würde? Ob nicht das Herz vor Rache glühen, ob wir
uns nicht ſchämen würden, daß der andre verſchlagener,
liſtiger geweſen, als wir; ob wir nicht auf Mittel ſin-
nen würden, ihm eben ſo wieder zu begegnen, wie er ge-
gen uns verfuhr? Denn das iſt der Gang der Vorſehung
in der Welt, und die natürliche Strafe der Gottloſig-
keit. Mit eben dem Maas, womit ihr meſſet, wird
man euch wieder meſſen.
Der Geizige verliert das
Zutrauen von andern; man vermeidet es, viel Verkehr
mit ihm zu haben, weil er immer mit dem Arbeiter
marktet, oder lange auf Bezahlung warten läßt, wenn
er indeſſen mit dem Geld in der Hand etwas gewinnen
kann, oder weil er ſich im Umtauſchen der Waaren gar

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[151/0157] Seine Vorſchriften zur Liebe. Sünde, bittet, wie ſein Vorgänger, um Beſſerung und Erleuchtung des Feindſeligen zu Gott, und bewahrt die Welt um ſich herum vor den tobenden Ausbrüchen eines erhitzten Unſinnigen. Muß uns dann das alles, ſo lang uns noch Tugend und Rechtſchaffenheit lieb iſt, nicht mehr werth ſeyn, als der Schatten von äußerlicher Ehre? als das Gemälde des närriſchen Ruhms bey Leuten, die nicht fähig, und nicht berufen ſind, unſern Werth abzuwägen? Eben ſo vortrefflich will unſer Er- löſer, daß die höchſte Billigkeit unſer Verhalten ge- gen einander beſtimmen ſoll. (Luc. 7, 38.) Wir dür- fen nur fremde Empfindungen nach den unſrigen beur- theilen. Wir dürfen nur in Gedanken die Perſonen verwechſeln, und uns an die Stelle desjenigen ſetzen, dem wir etwas abgezwungen, erpreßt, vorenthalten, verkleinert, geſchmälert, zurückbehalten, entzogen, ab- geläugnet, abgeſchworen, fein oder grob entwendet ha- ben, und uns dann fragen, wie uns zu Muth ſeyn würde? Ob nicht das Herz vor Rache glühen, ob wir uns nicht ſchämen würden, daß der andre verſchlagener, liſtiger geweſen, als wir; ob wir nicht auf Mittel ſin- nen würden, ihm eben ſo wieder zu begegnen, wie er ge- gen uns verfuhr? Denn das iſt der Gang der Vorſehung in der Welt, und die natürliche Strafe der Gottloſig- keit. Mit eben dem Maas, womit ihr meſſet, wird man euch wieder meſſen. Der Geizige verliert das Zutrauen von andern; man vermeidet es, viel Verkehr mit ihm zu haben, weil er immer mit dem Arbeiter marktet, oder lange auf Bezahlung warten läßt, wenn er indeſſen mit dem Geld in der Hand etwas gewinnen kann, oder weil er ſich im Umtauſchen der Waaren gar leicht K 4

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/157>, abgerufen am 21.11.2024.