Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Seine Vorschriften zur Liebe. uns nicht schmeicheln? Eine Hand voll Thon, die sichselber weder helfen, noch erhalten kann. Ein Geschöpf, das am Mittag nicht weiß, ob es den Untergang der Abendsonne sehen, oder schon vorher nicht mehr seyn werde. Ein Strafwürdiger, der seinen Gott beleidigt, und ihm oft mit Verachtung begegnet. Aber die Barmherzigkeit Got- tes -- ist sie nicht unermeßlich, unbeschreiblich, unauf- hörlich? Umfaßt sie nicht Himmel und Erde, Engel und Menschen, Pflanzen und Thiere, Leib und Geist, Land und Meer? Ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht verkündigts der andern. (Ps. 19, 3.) Herr! wie sind deine Werke so groß, und so viel! Du hast sie alle weißlich geordnet, und die Erde ist voll deiner Gute! (Ps. 104, 24.) Von der Welt der Fixsterne herab bis zum Moos im Wasser, und bis zu der Schnecke, die dies Pflänzchen braucht, und frißt, ist alles Gottes Güte, Gottes Freygebigkeit. Was sind dagegen die kleinen Erweisungen der Liebe, die andre Menschen von uns erwarten können? Wir theilen et- was mit von fremdem Gut, das uns doch nicht gehört. Wir lassen den Bettler vor der Hausthüre von dem es- sen, was wir selber kurz vorher aus der allgemeinen Hand der Vorsehung erhalten haben. Der Herr macht uns die Freude, daß wir, die wir reicher, mächtiger, größer, weiser, und erfahrner sind, als unsre Brüder hienieden, seine Stelle vertreten, und das, was seine Güte ihnen zuwerfen will, so austheilen dürfen, als wenn sie es niemanden, als uns zu danken hätten. Das ist die wahre Gestalt unsrer Menschenliebe und unsrer Barmherzigkeit. Wir sind nichts dabey, als die Werk- zeuge Gottes. Wir geben nicht, der Herr giebt durch uns. L 2
Seine Vorſchriften zur Liebe. uns nicht ſchmeicheln? Eine Hand voll Thon, die ſichſelber weder helfen, noch erhalten kann. Ein Geſchöpf, das am Mittag nicht weiß, ob es den Untergang der Abendſonne ſehen, oder ſchon vorher nicht mehr ſeyn werde. Ein Strafwürdiger, der ſeinen Gott beleidigt, und ihm oft mit Verachtung begegnet. Aber die Barmherzigkeit Got- tes — iſt ſie nicht unermeßlich, unbeſchreiblich, unauf- hörlich? Umfaßt ſie nicht Himmel und Erde, Engel und Menſchen, Pflanzen und Thiere, Leib und Geiſt, Land und Meer? Ein Tag ſagts dem andern, und eine Nacht verkündigts der andern. (Pſ. 19, 3.) Herr! wie ſind deine Werke ſo groß, und ſo viel! Du haſt ſie alle weißlich geordnet, und die Erde iſt voll deiner Gute! (Pſ. 104, 24.) Von der Welt der Fixſterne herab bis zum Moos im Waſſer, und bis zu der Schnecke, die dies Pflänzchen braucht, und frißt, iſt alles Gottes Güte, Gottes Freygebigkeit. Was ſind dagegen die kleinen Erweiſungen der Liebe, die andre Menſchen von uns erwarten können? Wir theilen et- was mit von fremdem Gut, das uns doch nicht gehört. Wir laſſen den Bettler vor der Hausthüre von dem eſ- ſen, was wir ſelber kurz vorher aus der allgemeinen Hand der Vorſehung erhalten haben. Der Herr macht uns die Freude, daß wir, die wir reicher, mächtiger, größer, weiſer, und erfahrner ſind, als unſre Brüder hienieden, ſeine Stelle vertreten, und das, was ſeine Güte ihnen zuwerfen will, ſo austheilen dürfen, als wenn ſie es niemanden, als uns zu danken hätten. Das iſt die wahre Geſtalt unſrer Menſchenliebe und unſrer Barmherzigkeit. Wir ſind nichts dabey, als die Werk- zeuge Gottes. Wir geben nicht, der Herr giebt durch uns. L 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0169" n="163"/><fw place="top" type="header">Seine Vorſchriften zur Liebe.</fw><lb/> uns nicht ſchmeicheln? Eine Hand voll Thon, die ſich<lb/> ſelber weder helfen, noch erhalten kann. Ein Geſchöpf,<lb/> das am Mittag nicht weiß, ob es den Untergang der<lb/> Abendſonne ſehen, oder ſchon vorher nicht mehr ſeyn werde.<lb/> Ein Strafwürdiger, der ſeinen Gott beleidigt, und ihm oft<lb/> mit Verachtung begegnet. Aber die Barmherzigkeit Got-<lb/> tes — iſt ſie nicht unermeßlich, unbeſchreiblich, unauf-<lb/> hörlich? Umfaßt ſie nicht Himmel und Erde, Engel und<lb/> Menſchen, Pflanzen und Thiere, Leib und Geiſt, Land<lb/> und Meer? <hi rendition="#fr">Ein Tag ſagts dem andern, und eine<lb/> Nacht verkündigts der andern.</hi> (Pſ. 19, 3.) <hi rendition="#fr">Herr!<lb/> wie ſind deine Werke ſo groß, und ſo viel! Du<lb/> haſt ſie alle weißlich geordnet, und die Erde iſt<lb/> voll deiner Gute!</hi> (Pſ. 104, 24.) Von der Welt der<lb/> Fixſterne herab bis zum Moos im Waſſer, und bis zu<lb/> der Schnecke, die dies Pflänzchen braucht, und frißt, iſt<lb/> alles Gottes Güte, Gottes Freygebigkeit. Was ſind<lb/> dagegen die kleinen Erweiſungen der Liebe, die andre<lb/> Menſchen von uns erwarten können? Wir theilen et-<lb/> was mit von fremdem Gut, das uns doch nicht gehört.<lb/> Wir laſſen den Bettler vor der Hausthüre von dem eſ-<lb/> ſen, was wir ſelber kurz vorher aus der allgemeinen<lb/> Hand der Vorſehung erhalten haben. Der Herr macht<lb/> uns die Freude, daß wir, die wir reicher, mächtiger,<lb/> größer, weiſer, und erfahrner ſind, als unſre Brüder<lb/> hienieden, ſeine Stelle vertreten, und das, was ſeine<lb/> Güte ihnen zuwerfen will, ſo austheilen dürfen, als wenn<lb/> ſie es niemanden, als uns zu danken hätten. Das iſt<lb/> die wahre Geſtalt unſrer Menſchenliebe und unſrer<lb/> Barmherzigkeit. Wir ſind nichts dabey, als die Werk-<lb/> zeuge Gottes. Wir geben nicht, der Herr giebt durch<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">uns.</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [163/0169]
Seine Vorſchriften zur Liebe.
uns nicht ſchmeicheln? Eine Hand voll Thon, die ſich
ſelber weder helfen, noch erhalten kann. Ein Geſchöpf,
das am Mittag nicht weiß, ob es den Untergang der
Abendſonne ſehen, oder ſchon vorher nicht mehr ſeyn werde.
Ein Strafwürdiger, der ſeinen Gott beleidigt, und ihm oft
mit Verachtung begegnet. Aber die Barmherzigkeit Got-
tes — iſt ſie nicht unermeßlich, unbeſchreiblich, unauf-
hörlich? Umfaßt ſie nicht Himmel und Erde, Engel und
Menſchen, Pflanzen und Thiere, Leib und Geiſt, Land
und Meer? Ein Tag ſagts dem andern, und eine
Nacht verkündigts der andern. (Pſ. 19, 3.) Herr!
wie ſind deine Werke ſo groß, und ſo viel! Du
haſt ſie alle weißlich geordnet, und die Erde iſt
voll deiner Gute! (Pſ. 104, 24.) Von der Welt der
Fixſterne herab bis zum Moos im Waſſer, und bis zu
der Schnecke, die dies Pflänzchen braucht, und frißt, iſt
alles Gottes Güte, Gottes Freygebigkeit. Was ſind
dagegen die kleinen Erweiſungen der Liebe, die andre
Menſchen von uns erwarten können? Wir theilen et-
was mit von fremdem Gut, das uns doch nicht gehört.
Wir laſſen den Bettler vor der Hausthüre von dem eſ-
ſen, was wir ſelber kurz vorher aus der allgemeinen
Hand der Vorſehung erhalten haben. Der Herr macht
uns die Freude, daß wir, die wir reicher, mächtiger,
größer, weiſer, und erfahrner ſind, als unſre Brüder
hienieden, ſeine Stelle vertreten, und das, was ſeine
Güte ihnen zuwerfen will, ſo austheilen dürfen, als wenn
ſie es niemanden, als uns zu danken hätten. Das iſt
die wahre Geſtalt unſrer Menſchenliebe und unſrer
Barmherzigkeit. Wir ſind nichts dabey, als die Werk-
zeuge Gottes. Wir geben nicht, der Herr giebt durch
uns.
L 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |