Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. uns. Warum ist dann der Eifer erloschen, und diewahre Menschenliebe so selten worden unter uns? Be- trübter Blick in die Familie Gottes, die ein einziger Geist beseelen, und ein gemeinschaftliches Band umschlies- sen sollte! Wir nennen ihn Vater, und ahmen ihn doch nicht nach. Ist nicht die Klage Gottes rührend? Bin ich Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich? (Maleachi 1, 6) Wir rechnen insgemein, so oft wir an das Unglück denken, das uns auch begegnen kann, auf den Beystand der Menschen. Sollten wir dann nicht auch bey aller Gelegenheit zeigen, daß wir ebenfalls ein drüderliches Herz in der Brust ha- ben, und gerne unsre Wohnung dem Reisenden öff- nen? (Hiob 31, 31.) Ihr edle, wie Gott liebende Menschen! wenn euch oft bange wird zu wohnen unter dem rauhen und verkehrten Geschlecht, (Phil. 2, 15.) und ihr, ihr arme Menschen, denen das Herz oft verwundet ist, die ihr schon oft vergeblich den Vorneh- men und Gewaltigen dieser Welt eure Noth geklagt habt, ihr wißt doch den Trost, der nie erschöpft werden kann. Was wir auf Erden nicht finden können, das ist im Himmel -- unser barmherziger Vater, und unser lie- bender Erlöser! Wir werden hier nur auf kurze Zeit ge- prüft. Wir gehen in die Schule, und reifen indessen zum Mann. Das Haus unsers Vaters ist nicht in die- ser Welt, aber wir gehen immer näher dazu. Wir weinen, tragen edeln Saamen, und bringen einst unsre Garben. (Ps. 126, 6.) Laßt uns dann Fleiß thun, hinein zu kommen in die Ruhe, daß unser keiner zurückbleibe. (Ebr. 4, 1.) Dort wird uns ein Engel den Pfeil aus der Wunde ziehen. Dort wer- den
Menſchenliebe des Erlöſers. uns. Warum iſt dann der Eifer erloſchen, und diewahre Menſchenliebe ſo ſelten worden unter uns? Be- trübter Blick in die Familie Gottes, die ein einziger Geiſt beſeelen, und ein gemeinſchaftliches Band umſchlieſ- ſen ſollte! Wir nennen ihn Vater, und ahmen ihn doch nicht nach. Iſt nicht die Klage Gottes rührend? Bin ich Vater, wo iſt meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich? (Maleachi 1, 6) Wir rechnen insgemein, ſo oft wir an das Unglück denken, das uns auch begegnen kann, auf den Beyſtand der Menſchen. Sollten wir dann nicht auch bey aller Gelegenheit zeigen, daß wir ebenfalls ein drüderliches Herz in der Bruſt ha- ben, und gerne unſre Wohnung dem Reiſenden öff- nen? (Hiob 31, 31.) Ihr edle, wie Gott liebende Menſchen! wenn euch oft bange wird zu wohnen unter dem rauhen und verkehrten Geſchlecht, (Phil. 2, 15.) und ihr, ihr arme Menſchen, denen das Herz oft verwundet iſt, die ihr ſchon oft vergeblich den Vorneh- men und Gewaltigen dieſer Welt eure Noth geklagt habt, ihr wißt doch den Troſt, der nie erſchöpft werden kann. Was wir auf Erden nicht finden können, das iſt im Himmel — unſer barmherziger Vater, und unſer lie- bender Erlöſer! Wir werden hier nur auf kurze Zeit ge- prüft. Wir gehen in die Schule, und reifen indeſſen zum Mann. Das Haus unſers Vaters iſt nicht in die- ſer Welt, aber wir gehen immer näher dazu. Wir weinen, tragen edeln Saamen, und bringen einſt unſre Garben. (Pſ. 126, 6.) Laßt uns dann Fleiß thun, hinein zu kommen in die Ruhe, daß unſer keiner zurückbleibe. (Ebr. 4, 1.) Dort wird uns ein Engel den Pfeil aus der Wunde ziehen. Dort wer- den
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Menſchenliebe des Erlöſers.
uns. Warum iſt dann der Eifer erloſchen, und die
wahre Menſchenliebe ſo ſelten worden unter uns? Be-
trübter Blick in die Familie Gottes, die ein einziger
Geiſt beſeelen, und ein gemeinſchaftliches Band umſchlieſ-
ſen ſollte! Wir nennen ihn Vater, und ahmen ihn doch
nicht nach. Iſt nicht die Klage Gottes rührend? Bin
ich Vater, wo iſt meine Ehre? Bin ich Herr, wo
fürchtet man mich? (Maleachi 1, 6) Wir rechnen
insgemein, ſo oft wir an das Unglück denken, das uns
auch begegnen kann, auf den Beyſtand der Menſchen.
Sollten wir dann nicht auch bey aller Gelegenheit zeigen,
daß wir ebenfalls ein drüderliches Herz in der Bruſt ha-
ben, und gerne unſre Wohnung dem Reiſenden öff-
nen? (Hiob 31, 31.) Ihr edle, wie Gott liebende
Menſchen! wenn euch oft bange wird zu wohnen unter
dem rauhen und verkehrten Geſchlecht, (Phil. 2,
15.) und ihr, ihr arme Menſchen, denen das Herz oft
verwundet iſt, die ihr ſchon oft vergeblich den Vorneh-
men und Gewaltigen dieſer Welt eure Noth geklagt habt,
ihr wißt doch den Troſt, der nie erſchöpft werden kann.
Was wir auf Erden nicht finden können, das iſt im
Himmel — unſer barmherziger Vater, und unſer lie-
bender Erlöſer! Wir werden hier nur auf kurze Zeit ge-
prüft. Wir gehen in die Schule, und reifen indeſſen
zum Mann. Das Haus unſers Vaters iſt nicht in die-
ſer Welt, aber wir gehen immer näher dazu. Wir
weinen, tragen edeln Saamen, und bringen einſt
unſre Garben. (Pſ. 126, 6.) Laßt uns dann Fleiß
thun, hinein zu kommen in die Ruhe, daß unſer
keiner zurückbleibe. (Ebr. 4, 1.) Dort wird uns
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