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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Ueber die Tempelreinigung Christi.
Gesetze, für die feyerliche Würde der Religion, für die
Freyheit des Volks, für die Gerechtsame der Heiden, die
sich schon zum Theil mit Abrahams Nachkommen verei-
nigt hatten; und das that er im Angesicht der römischen
Wache, die sich nicht widersetzte, weil er so wenig Lärm
und Aufruhr machen wollte, daß er vielmehr dem Unfug
wehrte, und für Stille, Ruhe, und Ordnung kämpfte.
Er that es unter den Augen seiner Jünger, die jezt im-
mer mehr zu solchen kühnen Thaten, zum Ernst und zur
Entschlossenheit angefeuert werden mußten. Und er hätte
weniger Ehrfurcht gegen seinen Vater, weniger Liebe ge-
gen die Menschen haben müssen, wenn ihn nicht dieser
klägliche Verfall der Religion angegriffen hätte. Er sah
da das Blut fließen, das seit mehr als tausend Jahren
ihn, und den Tod, den er nun ausstehen wollte, abge-
bildet hatte. Ach, wie viel chmerz, wie viel Angst
und Unruhe wird ihm diese sichtbare Verachtung, diese
schändliche Kaltsinnigkeit seines Volks verursacht haben?
Wie tief wird das alles, nebst dem Gedanken an die
Raubsucht und an die Herrschsucht der Pharisäer, die al-
lein das Volk von ihm abwendig machte, in sein men-
schenfreundliches Herz eingedrungen seyn!

Lernen wir aber an dem Eifer, womitAnwendung
auf uns.

unser Erlöser die Stille und Wohlanstän-
digkeit des Tempels wieder herstellt, den wahren Werth
des äußerlichen Gottesdienstes recht beurtheilen, und
schätzen. Wer wußte besser, als er, daß alle öffentliche
so genannte Gotteshäuser, alle Ermahnungen und Lob-
gesänge, alle Danksagungen und Gebete, alle heilige
Gebräuche und Anstalten, daß das alles nur Rinde der

Religion,
O 2

Ueber die Tempelreinigung Chriſti.
Geſetze, für die feyerliche Würde der Religion, für die
Freyheit des Volks, für die Gerechtſame der Heiden, die
ſich ſchon zum Theil mit Abrahams Nachkommen verei-
nigt hatten; und das that er im Angeſicht der römiſchen
Wache, die ſich nicht widerſetzte, weil er ſo wenig Lärm
und Aufruhr machen wollte, daß er vielmehr dem Unfug
wehrte, und für Stille, Ruhe, und Ordnung kämpfte.
Er that es unter den Augen ſeiner Jünger, die jezt im-
mer mehr zu ſolchen kühnen Thaten, zum Ernſt und zur
Entſchloſſenheit angefeuert werden mußten. Und er hätte
weniger Ehrfurcht gegen ſeinen Vater, weniger Liebe ge-
gen die Menſchen haben müſſen, wenn ihn nicht dieſer
klägliche Verfall der Religion angegriffen hätte. Er ſah
da das Blut fließen, das ſeit mehr als tauſend Jahren
ihn, und den Tod, den er nun ausſtehen wollte, abge-
bildet hatte. Ach, wie viel chmerz, wie viel Angſt
und Unruhe wird ihm dieſe ſichtbare Verachtung, dieſe
ſchändliche Kaltſinnigkeit ſeines Volks verurſacht haben?
Wie tief wird das alles, nebſt dem Gedanken an die
Raubſucht und an die Herrſchſucht der Phariſäer, die al-
lein das Volk von ihm abwendig machte, in ſein men-
ſchenfreundliches Herz eingedrungen ſeyn!

Lernen wir aber an dem Eifer, womitAnwendung
auf uns.

unſer Erlöſer die Stille und Wohlanſtän-
digkeit des Tempels wieder herſtellt, den wahren Werth
des äußerlichen Gottesdienſtes recht beurtheilen, und
ſchätzen. Wer wußte beſſer, als er, daß alle öffentliche
ſo genannte Gotteshäuſer, alle Ermahnungen und Lob-
geſänge, alle Dankſagungen und Gebete, alle heilige
Gebräuche und Anſtalten, daß das alles nur Rinde der

Religion,
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[211/0217] Ueber die Tempelreinigung Chriſti. Geſetze, für die feyerliche Würde der Religion, für die Freyheit des Volks, für die Gerechtſame der Heiden, die ſich ſchon zum Theil mit Abrahams Nachkommen verei- nigt hatten; und das that er im Angeſicht der römiſchen Wache, die ſich nicht widerſetzte, weil er ſo wenig Lärm und Aufruhr machen wollte, daß er vielmehr dem Unfug wehrte, und für Stille, Ruhe, und Ordnung kämpfte. Er that es unter den Augen ſeiner Jünger, die jezt im- mer mehr zu ſolchen kühnen Thaten, zum Ernſt und zur Entſchloſſenheit angefeuert werden mußten. Und er hätte weniger Ehrfurcht gegen ſeinen Vater, weniger Liebe ge- gen die Menſchen haben müſſen, wenn ihn nicht dieſer klägliche Verfall der Religion angegriffen hätte. Er ſah da das Blut fließen, das ſeit mehr als tauſend Jahren ihn, und den Tod, den er nun ausſtehen wollte, abge- bildet hatte. Ach, wie viel chmerz, wie viel Angſt und Unruhe wird ihm dieſe ſichtbare Verachtung, dieſe ſchändliche Kaltſinnigkeit ſeines Volks verurſacht haben? Wie tief wird das alles, nebſt dem Gedanken an die Raubſucht und an die Herrſchſucht der Phariſäer, die al- lein das Volk von ihm abwendig machte, in ſein men- ſchenfreundliches Herz eingedrungen ſeyn! Lernen wir aber an dem Eifer, womit unſer Erlöſer die Stille und Wohlanſtän- digkeit des Tempels wieder herſtellt, den wahren Werth des äußerlichen Gottesdienſtes recht beurtheilen, und ſchätzen. Wer wußte beſſer, als er, daß alle öffentliche ſo genannte Gotteshäuſer, alle Ermahnungen und Lob- geſänge, alle Dankſagungen und Gebete, alle heilige Gebräuche und Anſtalten, daß das alles nur Rinde der Religion, Anwendung auf uns. O 2

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/217>, abgerufen am 23.06.2024.