Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesinnung Jesu Christi
Religion: und jede Erquickung, die jezt ein seufzender
Christ in den Schmerzen der Krankheit, oder eine kla-
gende Witwe, oder ein unglücklicher Vater, oder irgend
ein Niedergeschlagener in einer von jenen unzähligen,
körnichten, kraftvollen Stellen findet, worin die Apo-
stel den Himmel vor unsern Augen aufschließen, und da-
durch jedes Leiden verringern; alle jene hohe göttliche
Tröstungen, die jezt ein sterbender Mensch von einem
andern Menschen, der ohne diese Religion sich auch vor
dem Tod entsetzen müßte, erhalten kann; jene allmäch-
tige Ermunterungen zu jeder großen Handlung, jene
Versetzungen vor den Thron Gottes -- sind lauter Fol-
gen von der Treue, von der Langmuth, von der Herab-
lassung, womit Jesus Christus seine Schüler bearbei-
tete. Oft störeten sie seine weise Reden mit den seltsam-
sten Fragen, oft verstanden sie seine deutlichste Beleh-
rungen nicht, weil sie durch Vorurtheile geblendet waren;
(Lucä 18, 34.) noch bey der letzten Unterredung, wo er
sie eben verlassen wollte, fiel ihnen der stolze Gedanke,
Regenten, Gefetzgeber der Erde zu seyn, wieder ein;
(Apost. Gesch. 1, 6.) sie widersprachen ihm oft ins An-
gesicht, sie forderten ihren sanftmüthigen Lehrer auf,
Feuer vom Himmel fallen zu lassen, eine ganze Stadt
in Aschenhaufen zu verwandeln, und dachten nicht dar-
an, welche empfindliche Kränkung dies für sein weiches
Herz seyn mußte; (s. Lucä 9, 51. etc.) sie schliesen ein,
wenn er sie zu den glänzendsten Offenbarungen seiner Ma-
jestät mitgenommen hatte; (s. Lucä 9, 32.) sie versprachen
ihm mit Mund und Herz Treue, aber eine Stunde nach-
her wankte doch der feurige Petrus selber, und ein an-
drer, den er auch geliebt, auch bearbeitet hatte, ward

zum

Geſinnung Jeſu Chriſti
Religion: und jede Erquickung, die jezt ein ſeufzender
Chriſt in den Schmerzen der Krankheit, oder eine kla-
gende Witwe, oder ein unglücklicher Vater, oder irgend
ein Niedergeſchlagener in einer von jenen unzähligen,
körnichten, kraftvollen Stellen findet, worin die Apo-
ſtel den Himmel vor unſern Augen aufſchließen, und da-
durch jedes Leiden verringern; alle jene hohe göttliche
Tröſtungen, die jezt ein ſterbender Menſch von einem
andern Menſchen, der ohne dieſe Religion ſich auch vor
dem Tod entſetzen müßte, erhalten kann; jene allmäch-
tige Ermunterungen zu jeder großen Handlung, jene
Verſetzungen vor den Thron Gottes — ſind lauter Fol-
gen von der Treue, von der Langmuth, von der Herab-
laſſung, womit Jeſus Chriſtus ſeine Schüler bearbei-
tete. Oft ſtöreten ſie ſeine weiſe Reden mit den ſeltſam-
ſten Fragen, oft verſtanden ſie ſeine deutlichſte Beleh-
rungen nicht, weil ſie durch Vorurtheile geblendet waren;
(Lucä 18, 34.) noch bey der letzten Unterredung, wo er
ſie eben verlaſſen wollte, fiel ihnen der ſtolze Gedanke,
Regenten, Gefetzgeber der Erde zu ſeyn, wieder ein;
(Apoſt. Geſch. 1, 6.) ſie widerſprachen ihm oft ins An-
geſicht, ſie forderten ihren ſanftmüthigen Lehrer auf,
Feuer vom Himmel fallen zu laſſen, eine ganze Stadt
in Aſchenhaufen zu verwandeln, und dachten nicht dar-
an, welche empfindliche Kränkung dies für ſein weiches
Herz ſeyn mußte; (ſ. Lucä 9, 51. ꝛc.) ſie ſchlieſen ein,
wenn er ſie zu den glänzendſten Offenbarungen ſeiner Ma-
jeſtät mitgenommen hatte; (ſ. Lucä 9, 32.) ſie verſprachen
ihm mit Mund und Herz Treue, aber eine Stunde nach-
her wankte doch der feurige Petrus ſelber, und ein an-
drer, den er auch geliebt, auch bearbeitet hatte, ward

zum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0294" n="288"/><fw place="top" type="header">Ge&#x017F;innung Je&#x017F;u Chri&#x017F;ti</fw><lb/>
Religion: und jede Erquickung, die jezt ein &#x017F;eufzender<lb/>
Chri&#x017F;t in den Schmerzen der Krankheit, oder eine kla-<lb/>
gende Witwe, oder ein unglücklicher Vater, oder irgend<lb/>
ein Niederge&#x017F;chlagener in einer von jenen unzähligen,<lb/>
körnichten, kraftvollen Stellen findet, worin die Apo-<lb/>
&#x017F;tel den Himmel vor un&#x017F;ern Augen auf&#x017F;chließen, und da-<lb/>
durch jedes Leiden verringern; alle jene hohe göttliche<lb/>
Trö&#x017F;tungen, die jezt ein &#x017F;terbender Men&#x017F;ch von einem<lb/>
andern Men&#x017F;chen, der ohne die&#x017F;e Religion &#x017F;ich auch vor<lb/>
dem Tod ent&#x017F;etzen müßte, erhalten kann; jene allmäch-<lb/>
tige Ermunterungen zu jeder großen Handlung, jene<lb/>
Ver&#x017F;etzungen vor den Thron Gottes &#x2014; &#x017F;ind lauter Fol-<lb/>
gen von der Treue, von der Langmuth, von der Herab-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ung, womit <hi rendition="#fr">Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus</hi> &#x017F;eine Schüler bearbei-<lb/>
tete. Oft &#x017F;töreten &#x017F;ie &#x017F;eine wei&#x017F;e Reden mit den &#x017F;elt&#x017F;am-<lb/>
&#x017F;ten Fragen, oft ver&#x017F;tanden &#x017F;ie &#x017F;eine deutlich&#x017F;te Beleh-<lb/>
rungen nicht, weil &#x017F;ie durch Vorurtheile geblendet waren;<lb/>
(Lucä 18, 34.) noch bey der letzten Unterredung, wo er<lb/>
&#x017F;ie eben verla&#x017F;&#x017F;en wollte, fiel ihnen der &#x017F;tolze Gedanke,<lb/>
Regenten, Gefetzgeber der Erde zu &#x017F;eyn, wieder ein;<lb/>
(Apo&#x017F;t. Ge&#x017F;ch. 1, 6.) &#x017F;ie wider&#x017F;prachen ihm oft ins An-<lb/>
ge&#x017F;icht, &#x017F;ie forderten ihren &#x017F;anftmüthigen Lehrer auf,<lb/>
Feuer vom Himmel fallen zu la&#x017F;&#x017F;en, eine ganze Stadt<lb/>
in A&#x017F;chenhaufen zu verwandeln, und dachten nicht dar-<lb/>
an, welche empfindliche Kränkung dies für &#x017F;ein weiches<lb/>
Herz &#x017F;eyn mußte; (&#x017F;. Lucä 9, 51. &#xA75B;c.) &#x017F;ie &#x017F;chlie&#x017F;en ein,<lb/>
wenn er &#x017F;ie zu den glänzend&#x017F;ten Offenbarungen &#x017F;einer Ma-<lb/>
je&#x017F;tät mitgenommen hatte; (&#x017F;. Lucä 9, 32.) &#x017F;ie ver&#x017F;prachen<lb/>
ihm mit Mund und Herz Treue, aber eine Stunde nach-<lb/>
her wankte doch der feurige Petrus &#x017F;elber, und ein an-<lb/>
drer, den er auch geliebt, auch bearbeitet hatte, ward<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zum</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0294] Geſinnung Jeſu Chriſti Religion: und jede Erquickung, die jezt ein ſeufzender Chriſt in den Schmerzen der Krankheit, oder eine kla- gende Witwe, oder ein unglücklicher Vater, oder irgend ein Niedergeſchlagener in einer von jenen unzähligen, körnichten, kraftvollen Stellen findet, worin die Apo- ſtel den Himmel vor unſern Augen aufſchließen, und da- durch jedes Leiden verringern; alle jene hohe göttliche Tröſtungen, die jezt ein ſterbender Menſch von einem andern Menſchen, der ohne dieſe Religion ſich auch vor dem Tod entſetzen müßte, erhalten kann; jene allmäch- tige Ermunterungen zu jeder großen Handlung, jene Verſetzungen vor den Thron Gottes — ſind lauter Fol- gen von der Treue, von der Langmuth, von der Herab- laſſung, womit Jeſus Chriſtus ſeine Schüler bearbei- tete. Oft ſtöreten ſie ſeine weiſe Reden mit den ſeltſam- ſten Fragen, oft verſtanden ſie ſeine deutlichſte Beleh- rungen nicht, weil ſie durch Vorurtheile geblendet waren; (Lucä 18, 34.) noch bey der letzten Unterredung, wo er ſie eben verlaſſen wollte, fiel ihnen der ſtolze Gedanke, Regenten, Gefetzgeber der Erde zu ſeyn, wieder ein; (Apoſt. Geſch. 1, 6.) ſie widerſprachen ihm oft ins An- geſicht, ſie forderten ihren ſanftmüthigen Lehrer auf, Feuer vom Himmel fallen zu laſſen, eine ganze Stadt in Aſchenhaufen zu verwandeln, und dachten nicht dar- an, welche empfindliche Kränkung dies für ſein weiches Herz ſeyn mußte; (ſ. Lucä 9, 51. ꝛc.) ſie ſchlieſen ein, wenn er ſie zu den glänzendſten Offenbarungen ſeiner Ma- jeſtät mitgenommen hatte; (ſ. Lucä 9, 32.) ſie verſprachen ihm mit Mund und Herz Treue, aber eine Stunde nach- her wankte doch der feurige Petrus ſelber, und ein an- drer, den er auch geliebt, auch bearbeitet hatte, ward zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/294
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/294>, abgerufen am 23.06.2024.