Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Frömmigkeit des Erlös. Unsre Gleichgült. nur mit seinen Vorschriften -- ach, daß man nichtüberall den größten Contrast finden könnte! Die meisten Gebote der Religion befolgt man nur aus Furcht vor der Strafe und Beschimpfung, man fürchtet mehr die Menschen, als Gott. Viele beobachtet man nur oben- hin, weil man nicht weiß, wie weit sich die Pflicht er- streckt. Man übertritt manche oft nur deswegen nicht, weil man schon durch seine Lage, durch sein Amt in der Welt davon zurückgehalten wird. Einige beobachtet man nur deswegen, weil man zu dieser Art der Sünden von Natur wenig Reizung hat. Von andern macht man sich ganz frey, weil man da seine Weichlichkeit, seine Ehrsucht, seine Selbstliebe und Selbstweisheit einschrän- ken müßte. Und werden nicht endlich denen, die in ei- nem unaufhörlichen Wirbel von Leidenschaften herumge- trieben werden, viele Forderungen der Religion so fremd, daß sie, wenn sie einmal daran erinnert werden, ihren Spott, ihr Erstaunen über so unerhörte Dinge nicht verbergen können? Es ist wahr, Religionsverachtung ist kein neues Laster, das erst in unsern Zeiten erfunden worden ist. Die Welt hat stets die größten Wohltha- ten Gottes geringgeschätzt. Die Diener des Erlösers können auch kein besseres Schicksal fordern, als er selber hatte. Das menschliche Herz ist immer im Glück tro- tzig, und im Unglück verzagt gewesen; aber ist dies Trost, ist es Entschuldigung für uns? Hört deswegen das Laster auf, Laster zu seyn, weil die Menschen schon seit etlichen Jahrhunderten nicht besser sind? Können wir dann nicht auch, durch die Fehler und Lieblingsgrillen des letzten Viertels von unserm Jahrhundert verführt, in die Grube stürzen, die schon Tausende verschlungen hat? Die
Frömmigkeit des Erlöſ. Unſre Gleichgült. nur mit ſeinen Vorſchriften — ach, daß man nichtüberall den größten Contraſt finden könnte! Die meiſten Gebote der Religion befolgt man nur aus Furcht vor der Strafe und Beſchimpfung, man fürchtet mehr die Menſchen, als Gott. Viele beobachtet man nur oben- hin, weil man nicht weiß, wie weit ſich die Pflicht er- ſtreckt. Man übertritt manche oft nur deswegen nicht, weil man ſchon durch ſeine Lage, durch ſein Amt in der Welt davon zurückgehalten wird. Einige beobachtet man nur deswegen, weil man zu dieſer Art der Sünden von Natur wenig Reizung hat. Von andern macht man ſich ganz frey, weil man da ſeine Weichlichkeit, ſeine Ehrſucht, ſeine Selbſtliebe und Selbſtweisheit einſchrän- ken müßte. Und werden nicht endlich denen, die in ei- nem unaufhörlichen Wirbel von Leidenſchaften herumge- trieben werden, viele Forderungen der Religion ſo fremd, daß ſie, wenn ſie einmal daran erinnert werden, ihren Spott, ihr Erſtaunen über ſo unerhörte Dinge nicht verbergen können? Es iſt wahr, Religionsverachtung iſt kein neues Laſter, das erſt in unſern Zeiten erfunden worden iſt. Die Welt hat ſtets die größten Wohltha- ten Gottes geringgeſchätzt. Die Diener des Erlöſers können auch kein beſſeres Schickſal fordern, als er ſelber hatte. Das menſchliche Herz iſt immer im Glück tro- tzig, und im Unglück verzagt geweſen; aber iſt dies Troſt, iſt es Entſchuldigung für uns? Hört deswegen das Laſter auf, Laſter zu ſeyn, weil die Menſchen ſchon ſeit etlichen Jahrhunderten nicht beſſer ſind? Können wir dann nicht auch, durch die Fehler und Lieblingsgrillen des letzten Viertels von unſerm Jahrhundert verführt, in die Grube ſtürzen, die ſchon Tauſende verſchlungen hat? Die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0074" n="68"/><fw place="top" type="header">Frömmigkeit des Erlöſ. Unſre Gleichgült.</fw><lb/> nur mit ſeinen Vorſchriften — ach, daß man nicht<lb/> überall den größten Contraſt finden könnte! Die meiſten<lb/> Gebote der Religion befolgt man nur aus Furcht vor<lb/> der Strafe und Beſchimpfung, man fürchtet mehr die<lb/> Menſchen, als Gott. Viele beobachtet man nur oben-<lb/> hin, weil man nicht weiß, wie weit ſich die Pflicht er-<lb/> ſtreckt. Man übertritt manche oft nur deswegen nicht,<lb/> weil man ſchon durch ſeine Lage, durch ſein Amt in der<lb/> Welt davon zurückgehalten wird. Einige beobachtet<lb/> man nur deswegen, weil man zu dieſer Art der Sünden<lb/> von Natur wenig Reizung hat. Von andern macht man<lb/> ſich ganz frey, weil man da ſeine Weichlichkeit, ſeine<lb/> Ehrſucht, ſeine Selbſtliebe und Selbſtweisheit einſchrän-<lb/> ken müßte. Und werden nicht endlich denen, die in ei-<lb/> nem unaufhörlichen Wirbel von Leidenſchaften herumge-<lb/> trieben werden, viele Forderungen der Religion ſo fremd,<lb/> daß ſie, wenn ſie einmal daran erinnert werden, ihren<lb/> Spott, ihr Erſtaunen über ſo unerhörte Dinge nicht<lb/> verbergen können? Es iſt wahr, Religionsverachtung iſt<lb/> kein neues Laſter, das erſt in unſern Zeiten erfunden<lb/> worden iſt. Die Welt hat ſtets die größten Wohltha-<lb/> ten Gottes geringgeſchätzt. Die Diener des Erlöſers<lb/> können auch kein beſſeres Schickſal fordern, als er ſelber<lb/> hatte. Das menſchliche Herz iſt immer im Glück tro-<lb/> tzig, und im Unglück verzagt geweſen; aber iſt dies Troſt,<lb/> iſt es Entſchuldigung für uns? Hört deswegen das Laſter<lb/> auf, Laſter zu ſeyn, weil die Menſchen ſchon ſeit etlichen<lb/> Jahrhunderten nicht beſſer ſind? Können wir dann nicht<lb/> auch, durch die Fehler und Lieblingsgrillen des letzten<lb/> Viertels von unſerm Jahrhundert verführt, in die Grube<lb/> ſtürzen, die ſchon Tauſende verſchlungen hat?</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [68/0074]
Frömmigkeit des Erlöſ. Unſre Gleichgült.
nur mit ſeinen Vorſchriften — ach, daß man nicht
überall den größten Contraſt finden könnte! Die meiſten
Gebote der Religion befolgt man nur aus Furcht vor
der Strafe und Beſchimpfung, man fürchtet mehr die
Menſchen, als Gott. Viele beobachtet man nur oben-
hin, weil man nicht weiß, wie weit ſich die Pflicht er-
ſtreckt. Man übertritt manche oft nur deswegen nicht,
weil man ſchon durch ſeine Lage, durch ſein Amt in der
Welt davon zurückgehalten wird. Einige beobachtet
man nur deswegen, weil man zu dieſer Art der Sünden
von Natur wenig Reizung hat. Von andern macht man
ſich ganz frey, weil man da ſeine Weichlichkeit, ſeine
Ehrſucht, ſeine Selbſtliebe und Selbſtweisheit einſchrän-
ken müßte. Und werden nicht endlich denen, die in ei-
nem unaufhörlichen Wirbel von Leidenſchaften herumge-
trieben werden, viele Forderungen der Religion ſo fremd,
daß ſie, wenn ſie einmal daran erinnert werden, ihren
Spott, ihr Erſtaunen über ſo unerhörte Dinge nicht
verbergen können? Es iſt wahr, Religionsverachtung iſt
kein neues Laſter, das erſt in unſern Zeiten erfunden
worden iſt. Die Welt hat ſtets die größten Wohltha-
ten Gottes geringgeſchätzt. Die Diener des Erlöſers
können auch kein beſſeres Schickſal fordern, als er ſelber
hatte. Das menſchliche Herz iſt immer im Glück tro-
tzig, und im Unglück verzagt geweſen; aber iſt dies Troſt,
iſt es Entſchuldigung für uns? Hört deswegen das Laſter
auf, Laſter zu ſeyn, weil die Menſchen ſchon ſeit etlichen
Jahrhunderten nicht beſſer ſind? Können wir dann nicht
auch, durch die Fehler und Lieblingsgrillen des letzten
Viertels von unſerm Jahrhundert verführt, in die Grube
ſtürzen, die ſchon Tauſende verſchlungen hat?
Die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |