Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Die Eilffte Geistliche Lection Und abermal/ gleich wie ein Blum von der Wurtzel lebet/ und ohne selbigeverdürret; also müssen alle Tugenden/ wann sie durch die Wurtzel der De- muth nicht erhalten werden/ alsbald verwelchen. Schließlich kan die De- muth unter allen Tugenden die niederigste und höchste billig genennet wer- den; dann/ wie mehr sie den Menschen erniedriget; desto mehr erhebt und erhöhet sie denselbigen. 2. Damit wir aber in Erfahrung kommen mögen/ worinn die ware wann
Die Eilffte Geiſtliche Lection Und abermal/ gleich wie ein Blum von der Wurtzel lebet/ und ohne ſelbigeverduͤrret; alſo muͤſſen alle Tugenden/ wann ſie durch die Wurtzel der De- muth nicht erhalten werden/ alsbald verwelchen. Schließlich kan die De- muth unter allen Tugenden die niederigſte und hoͤchſte billig genennet wer- den; dann/ wie mehr ſie den Menſchen erniedriget; deſto mehr erhebt und erhoͤhet ſie denſelbigen. 2. Damit wir aber in Erfahrung kommen moͤgen/ worinn die ware wann
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Die Eilffte Geiſtliche Lection
Und abermal/ gleich wie ein Blum von der Wurtzel lebet/ und ohne ſelbige
verduͤrret; alſo muͤſſen alle Tugenden/ wann ſie durch die Wurtzel der De-
muth nicht erhalten werden/ alsbald verwelchen. Schließlich kan die De-
muth unter allen Tugenden die niederigſte und hoͤchſte billig genennet wer-
den; dann/ wie mehr ſie den Menſchen erniedriget; deſto mehr erhebt
und erhoͤhet ſie denſelbigen.
2. Damit wir aber in Erfahrung kommen moͤgen/ worinn die ware
Demuth beſtehe/ ſo wirds noͤthig ſeyn/ dieſelbe mit folgender Pinſel zu ent-
werffen. Der H. Thomas ſagt: Die Demuth iſt ein loͤbliche
Verwerffung ihrer ſelbſten zu den allerniderigſten Dingen.
Hierauß ſchlieſſen wir nun/ daß die Verrichtung dieſer Tugend zweyfachig
ſeye: nemblich/ daß man ſich nicht erhoͤhe/ oder erhoͤhet zu werden verlange/
mehr als man verdienet: und daß man ſich alſo erniedrige/ und erniedriget
zu werden trachte/ daß man ſich deß verdienten Lohns nicht wuͤrdig
ſchaͤtze. Zu dieſen zween Aembtern oder Verrichtungen koͤnnen alle Staf-
felen der Demuth/ ſo andere nicht ohne Muͤhe erfunden haben/ gezogen
werden. So viel nun das erſte Ambt betrifft/ muß/ dieſem gemaͤß/ der
Menſch ſich oder ſeinen Verdienſten nichts zuſchreiben/ ja ſo gar/ er muß
nicht begehren von andern gelobt/ geehret/ oder auch anderen (auffs we-
nigs denen/ die hoͤher als er/ oder ſeines gleichen ſeynd) vorgezogen zu wer-
den; ſondern muß ſich vielmehr der Gaben GOttes unwuͤrdig/ und zu al-
len Dingen untauglich aclten. Zu dem andern Ambt gehoͤret/ daß er allen/
auch dem geringſten weiche/ und auff ſolche Weiß mit ſich/ als dem aller-
veraͤchtlichſten Menſchen umbgehe in ſeinen Gedancken/ Worten und
Wercken; und daß er wuͤnſche/ ſuche und ſich erfreue/ auch von andern fuͤr
einen ſolchen verwuͤrfflichen Menſchen gehalten zu werden. Jn ſothanem
dreyfachigen Staffel beſtehet dann die hoͤchſte Vollkommenheit der De-
muth. Es wird aber einer veraͤchtlich oder verwuͤrfflich gehalten durch die
Gedancken; wann oder er ſelbſt/ oder andere eine ſchlechte Meynung von
ihm haben/ denſelben freventlich urtheilen/ oder falſche Argwohn von ihm
ſchoͤpffen. Mit Worten wird einer veraͤchtlich gehalten/ wann er
nemblich verachtet wird/ wann muͤndlich geſtrafft wird/ wann mit Schelt-
und Schmaͤh-Worten wird angegriffen/ und ſeine verborgene Maͤngel von
andern offenbahret werden. Alsdann wird ſchließlich auch einer mit den
Wercken veraͤchtlich hergenommen/ wann man ſelbigen zu Verrichtung
der aller geringſten und veraͤchtli chſten Dingen gebrauchet; wann er in an-
derer Geſellſchafft mit dem niederigſten Orth muß vor lieb nehmen/ und
wann
2. 2. q. 151.
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