Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Von der Demuth. demüthigen! von dieser H. Jungfrauen/ andächtiger Leser/ lasset uns unserAugen schlagen auff den demüthigen Franciscum: in dessen Leben gelesenHistoria. wird/ daß ein Kloster-Geistlicher unter währendem Gebett einen herrlichen und mit allerhand kostbahren Edel-Gesteinen auff daß schönste außgezierten Thron geschen habe/ da er dann alsobald von den Umbstehenden sich befraget/ wem dieser prächtige Sessel doch möge zubereitet seyn/ und hat zur Antwort bekommen/ daß dieser dem demüthigen Francisco zugchöre; darauff dann der gemelte Geistliche sehr erfreut/ den H. Franciscum gefragt hat; was er von sich selbsten hielte? deme dann der demüthige Mann geantwortet: mich gedun- cket gäntzlich/ und halte es darfür/ daß ich unter allen Sündern der Gröste bin. Dieses kahme nun diesem Geistlichen seltzam vor/ derhalben den Franciscum fragete; wie er solches ohne Verletzung der Warheit von sich sagen könnte? hierauff hat Franciscus zur Antwort gegeben: er zweiffele nicht daran/ daß der aller gottloseste Sünder/ so auff Erden lebt/ besser seinem GOtt und Herrn dienen wurde/ als er thue; wann dergleichen Gnaden und Barmher- tzigkeit empfangen hätte. Lasset uns/ liebe Christen/ lasset keinen Verdruß schöpffen das jenige nachzufolgen/ welches so wohl belohnet wird. Ein jeder bilde sich gäntzlich ein/ er seye ein grösser Sünder als andere: dann obwohln er sich keiner sehr grossen Sünden bewust ist; so würde er doch in dergleichen Sünde fallen/ wan ihm darzu Gelegenheit gegeben/ und hergegen die Gnad GOttes entzogen würde. Jn solchem Sinn gabe Zeugnuß von sich selbsten/ und zwar auß gantzem seinem Hertzen der H. Philippus Nerius/ daß er seye der allergröste Sünder der gantzen Welt: und pflegte täglich die Göttliche Majestät mit diesen Worten anzur eden: HErr/ hüte dich heut vor mir; dann ich werde dich diesen Tag verrathen/ wie der Judas gethan hat; und werd noch mehr Böses thuen/ als er gethan hat/ wann du mich nicht bewahrest. Auch pflegte er zu sagen: Groß ist die Wunde der Seiten Christi; und wann mich GOtt nicht abhielte/ würde ich meinem Heyland eine weit grössere Wunde machen. Jn Summa/ es ist nicht außzusprechen/ wie erschrecklich ein solche Demut den bösen Geistern vorkomme/ vermittels deren der Mensch sich selb- sten verächtlich wird/ und sich für einen grossen Sünder haltet. Diese War- heit kan einiger Massen auß folgender kurtzen Geschicht erkennet werden: dan/ da einsmals dem höllisches Feind von einem frommen alten EinsidlerbefohlenHistoria. worden/ von einem Besessenen zu weichen; hat selbiger sich darzu willig erbot- ten/ wan ihm der Alte zuvor offenbahren wolte/ welche Böck/ und welche Läm- mer wären. Hierauf hat ihm der Einsidler geantwortet: die Böck seynd die je- nige/ so seynd/ wie ich bin; die Lämmer aber seynd Gott bekant. Da dieses der der Teuffel gehöret/ hat er überlaut geruffen: siehe/ siehe du Alter durch deine Demut werd ich gezwungen meine Wohnung zu verlassen. 10. Sol-
Von der Demuth. demuͤthigen! von dieſer H. Jungfrauen/ andaͤchtiger Leſer/ laſſet uns unſerAugen ſchlagen auff den demuͤthigen Franciſcum: in deſſen Leben geleſenHiſtoria. wird/ daß ein Kloſter-Geiſtlicher unter waͤhrendem Gebett einen herrlichen und mit allerhand koſtbahren Edel-Geſteinen auff daß ſchoͤnſte außgezierten Thron geſchen habe/ da er dann alſobald von den Umbſtehenden ſich befraget/ wem dieſer praͤchtige Seſſel doch moͤge zubereitet ſeyn/ und hat zur Antwort bekommen/ daß dieſer dem demuͤthigen Franciſco zugchoͤre; darauff dann der gemelte Geiſtliche ſehr erfreut/ den H. Franciſcum gefragt hat; was er von ſich ſelbſten hielte? deme dann der demuͤthige Mann geantwortet: mich gedun- cket gaͤntzlich/ und halte es darfuͤr/ daß ich unter allen Suͤndern der Groͤſte bin. Dieſes kahme nun dieſem Geiſtlichen ſeltzam vor/ derhalben den Franciſcum fragete; wie er ſolches ohne Verletzung der Warheit von ſich ſagen koͤnnte? hierauff hat Franciſcus zur Antwort gegeben: er zweiffele nicht daran/ daß der aller gottloſeſte Suͤnder/ ſo auff Erden lebt/ beſſer ſeinem GOtt und Herrn dienen wurde/ als er thue; wann dergleichen Gnaden und Barmher- tzigkeit empfangen haͤtte. Laſſet uns/ liebe Chriſten/ laſſet keinen Verdruß ſchoͤpffen das jenige nachzufolgen/ welches ſo wohl belohnet wird. Ein jeder bilde ſich gaͤntzlich ein/ er ſeye ein groͤſſer Suͤnder als andere: dann obwohln er ſich keiner ſehr groſſen Suͤnden bewuſt iſt; ſo wuͤrde er doch in dergleichen Suͤnde fallen/ wan ihm darzu Gelegenheit gegeben/ und hergegen die Gnad GOttes entzogen wuͤrde. Jn ſolchem Sinn gabe Zeugnuß von ſich ſelbſten/ und zwar auß gantzem ſeinem Hertzen der H. Philippus Nerius/ daß er ſeye der allergroͤſte Suͤnder der gantzen Welt: und pflegte taͤglich die Goͤttliche Majeſtaͤt mit dieſen Worten anzur eden: HErr/ huͤte dich heut vor mir; dann ich werde dich dieſen Tag verrathen/ wie der Judas gethan hat; und werd noch mehr Boͤſes thuen/ als er gethan hat/ wann du mich nicht bewahreſt. Auch pflegte er zu ſagen: Groß iſt die Wunde der Seiten Chriſti; und wann mich GOtt nicht abhielte/ wuͤrde ich meinem Heyland eine weit groͤſſere Wunde machen. Jn Summa/ es iſt nicht außzuſprechen/ wie erſchrecklich ein ſolche Demut den boͤſen Geiſtern vorkomme/ vermittels deren der Menſch ſich ſelb- ſten veraͤchtlich wird/ und ſich fuͤr einen groſſen Suͤnder haltet. Dieſe War- heit kan einiger Maſſen auß folgender kurtzen Geſchicht erkennet werden: dan/ da einsmals dem hoͤlliſches Feind von einem from̃en alten EinſidlerbefohlenHiſtoria. worden/ von einem Beſeſſenen zu weichen; hat ſelbiger ſich darzu willig erbot- ten/ wan ihm der Alte zuvor offenbahren wolte/ welche Boͤck/ und welche Laͤm- mer waͤren. Hierauf hat ihm der Einſidler geantwortet: die Boͤck ſeynd die je- nige/ ſo ſeynd/ wie ich bin; die Laͤmmer aber ſeynd Gott bekant. Da dieſes der der Teuffel gehoͤret/ hat er uͤberlaut geruffen: ſiehe/ ſiehe du Alter durch deine Demut werd ich gezwungen meine Wohnung zu verlaſſen. 10. Sol-
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Augen ſchlagen auff den demuͤthigen Franciſcum: in deſſen Leben geleſen
wird/ daß ein Kloſter-Geiſtlicher unter waͤhrendem Gebett einen herrlichen
und mit allerhand koſtbahren Edel-Geſteinen auff daß ſchoͤnſte außgezierten
Thron geſchen habe/ da er dann alſobald von den Umbſtehenden ſich befraget/
wem dieſer praͤchtige Seſſel doch moͤge zubereitet ſeyn/ und hat zur Antwort
bekommen/ daß dieſer dem demuͤthigen Franciſco zugchoͤre; darauff dann der
gemelte Geiſtliche ſehr erfreut/ den H. Franciſcum gefragt hat; was er von ſich
ſelbſten hielte? deme dann der demuͤthige Mann geantwortet: mich gedun-
cket gaͤntzlich/ und halte es darfuͤr/ daß ich unter allen Suͤndern der Groͤſte bin.
Dieſes kahme nun dieſem Geiſtlichen ſeltzam vor/ derhalben den Franciſcum
fragete; wie er ſolches ohne Verletzung der Warheit von ſich ſagen koͤnnte?
hierauff hat Franciſcus zur Antwort gegeben: er zweiffele nicht daran/ daß
der aller gottloſeſte Suͤnder/ ſo auff Erden lebt/ beſſer ſeinem GOtt und
Herrn dienen wurde/ als er thue; wann dergleichen Gnaden und Barmher-
tzigkeit empfangen haͤtte. Laſſet uns/ liebe Chriſten/ laſſet keinen Verdruß
ſchoͤpffen das jenige nachzufolgen/ welches ſo wohl belohnet wird. Ein jeder
bilde ſich gaͤntzlich ein/ er ſeye ein groͤſſer Suͤnder als andere: dann obwohln
er ſich keiner ſehr groſſen Suͤnden bewuſt iſt; ſo wuͤrde er doch in dergleichen
Suͤnde fallen/ wan ihm darzu Gelegenheit gegeben/ und hergegen die Gnad
GOttes entzogen wuͤrde. Jn ſolchem Sinn gabe Zeugnuß von ſich ſelbſten/
und zwar auß gantzem ſeinem Hertzen der H. Philippus Nerius/ daß er ſeye
der allergroͤſte Suͤnder der gantzen Welt: und pflegte taͤglich die Goͤttliche
Majeſtaͤt mit dieſen Worten anzur eden: HErr/ huͤte dich heut vor mir; dann
ich werde dich dieſen Tag verrathen/ wie der Judas gethan hat; und werd noch
mehr Boͤſes thuen/ als er gethan hat/ wann du mich nicht bewahreſt. Auch
pflegte er zu ſagen: Groß iſt die Wunde der Seiten Chriſti; und wann mich
GOtt nicht abhielte/ wuͤrde ich meinem Heyland eine weit groͤſſere Wunde
machen. Jn Summa/ es iſt nicht außzuſprechen/ wie erſchrecklich ein ſolche
Demut den boͤſen Geiſtern vorkomme/ vermittels deren der Menſch ſich ſelb-
ſten veraͤchtlich wird/ und ſich fuͤr einen groſſen Suͤnder haltet. Dieſe War-
heit kan einiger Maſſen auß folgender kurtzen Geſchicht erkennet werden: dan/
da einsmals dem hoͤlliſches Feind von einem from̃en alten Einſidlerbefohlen
worden/ von einem Beſeſſenen zu weichen; hat ſelbiger ſich darzu willig erbot-
ten/ wan ihm der Alte zuvor offenbahren wolte/ welche Boͤck/ und welche Laͤm-
mer waͤren. Hierauf hat ihm der Einſidler geantwortet: die Boͤck ſeynd die je-
nige/ ſo ſeynd/ wie ich bin; die Laͤmmer aber ſeynd Gott bekant. Da dieſes der
der Teuffel gehoͤret/ hat er uͤberlaut geruffen: ſiehe/ ſiehe du Alter durch deine
Demut werd ich gezwungen meine Wohnung zu verlaſſen.
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Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/147>, abgerufen am 26.06.2024. |