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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neun und zwantzigste Geistliche Lection
sung und vätterlichen Kuß empfangen/ und selbigen an seine Seiten ge-
setzt; auch hat er ihm nach einem langen Gespräch einige Gaben und sehr
häuffigen Ablaß mitgetheilet. Ab dieser ungemeinen Gunst ist Justinus
also in seinen Gedancken erhoben worden/ daß er von Tag zu Tag übermü-
thiger worden/ auch endlich/ weilen er einen seiner Brüder mit einem Mes-
ser verletzt hatte/ in den Kercker geworffen worden. Nach dieser verrichte-
ten Buß ist er in das Neapolitanische Königreich flüchtig worden/ indem
er so grosse Laster begangen hat/ daß er derhalben in die Stadt gefänglich
eingezogen/ und in den Bänden armseeliglich gestorben ist. O entsetzlicher
und erschröcklicher Zufall! O grausame Veränderung! wer soll sich in Be-
rachtung dieses bösen Außgangs/ für der Gunst der Menschen nicht billig
förchten? wäre dieser anfangs heilige Münch nicht also gelobt und geehret
worden/ so würde er villeicht in so grosses Unheil nicht gerathen seyn. Dahe-
ro behalten die obgemeldte Wort deß H. Fulgentii ihre Krafft/ daß nemblich
der böse Feind den jenigen/ den er mit seinen Sünden nit überwinden kan/ durch
frembde Tugenden erlege. Und zwarn in diesem Fall macht ers/ wie der
Vogel Erodius/ welcher auff die Vögel/ so sich ins Wasser ducken/ hinzu-
fliehet/ und derselben Köpff so lang zerbeisset/ biß er sie über winde/ und also
gefänglich hinweg nehme. Wann der höllische Raub-Vogel sicht/ daß
die Menschen grosse Garben der Verdiensten auff dem Acker der Tugenden
zusammen binden/ fliehet er alsbald hinzu/ und sucht ihnen auff alle mög-
liche Weiß den geistlichen Raub/ vermög der eitelen Ehre zu benennen/ wie
sichs mit obgedachtem München in der That erwiesen hat.

3. Auß den Geistlichen deß H Pachomii hat einer einsmahls zwey wei-
dene Matten auff einen Tag geflochten/ da er doch mehr nicht/ als zu einer
verbunden ware; diese hat er auß einen eytelen Ehr dem H. Pachomio und
andern zum Beschauen außgestelt. Der kluge Pachomius vermerckt als-
bald den bossen/ und sagt zu den Umbstehenden: Sehet ihr nicht/ wie dieser
armseelige Mensch alle seine Arbeit deß gantzen Tags dem Teuffel geopffert
habe/ und nichts gewonnen hat/ indem er dadurch mehr den Menschen/ als
GOtt zu gefallen getrachtet hat? Nach diesem strafft der gemeldte heilige
Vatter diesen Geistlichen erst mit Worten hart ab/ und befilcht ihm/ daß er
die zwey Matten vor seinen Brüdern auff seinen Achselen tragen/ und von
selbigen demütiglich begehren solte/ sie mögten doch GOtt für ihn betten/
und ihm Verzeihung erlangen/ daß er die Matten höher/ als das Him-
melreich geschätzet habe. Hernach hat er ihn in ein enges Cellulein so hart
verschlossen/ daß er innerhalb fünff Monaten nicht hat dörffen hervor-

kom-

Die Neun und zwantzigſte Geiſtliche Lection
ſung und vaͤtterlichen Kuß empfangen/ und ſelbigen an ſeine Seiten ge-
ſetzt; auch hat er ihm nach einem langen Geſpraͤch einige Gaben und ſehr
haͤuffigen Ablaß mitgetheilet. Ab dieſer ungemeinen Gunſt iſt Juſtinus
alſo in ſeinen Gedancken erhoben worden/ daß er von Tag zu Tag uͤbermuͤ-
thiger worden/ auch endlich/ weilen er einen ſeiner Bruͤder mit einem Meſ-
ſer verletzt hatte/ in den Kercker geworffen worden. Nach dieſer verrichte-
ten Buß iſt er in das Neapolitaniſche Koͤnigreich fluͤchtig worden/ indem
er ſo groſſe Laſter begangen hat/ daß er derhalben in die Stadt gefaͤnglich
eingezogen/ und in den Baͤnden armſeeliglich geſtorben iſt. O entſetzlicher
und erſchroͤcklicher Zufall! O grauſame Veraͤnderung! wer ſoll ſich in Be-
rachtung dieſes boͤſen Außgangs/ fuͤr der Gunſt der Menſchen nicht billig
foͤrchten? waͤre dieſer anfangs heilige Muͤnch nicht alſo gelobt und geehret
worden/ ſo wuͤrde er villeicht in ſo groſſes Unheil nicht gerathen ſeyn. Dahe-
ro behalten die obgemeldte Wort deß H. Fulgentii ihre Krafft/ daß nemblich
der boͤſe Feind den jenigen/ den er mit ſeinen Suͤndẽ nit uͤberwinden kan/ durch
frembde Tugenden erlege. Und zwarn in dieſem Fall macht ers/ wie der
Vogel Erodius/ welcher auff die Voͤgel/ ſo ſich ins Waſſer ducken/ hinzu-
fliehet/ und derſelben Koͤpff ſo lang zerbeiſſet/ biß er ſie uͤber winde/ und alſo
gefaͤnglich hinweg nehme. Wann der hoͤlliſche Raub-Vogel ſicht/ daß
die Menſchen groſſe Garben der Verdienſten auff dem Acker der Tugenden
zuſammen binden/ fliehet er alsbald hinzu/ und ſucht ihnen auff alle moͤg-
liche Weiß den geiſtlichen Raub/ vermoͤg der eitelen Ehre zu benennen/ wie
ſichs mit obgedachtem Muͤnchen in der That erwieſen hat.

3. Auß den Geiſtlichen deß H Pachomii hat einer einsmahls zwey wei-
dene Matten auff einen Tag geflochten/ da er doch mehr nicht/ als zu einer
verbunden ware; dieſe hat er auß einen eytelen Ehr dem H. Pachomio und
andern zum Beſchauen außgeſtelt. Der kluge Pachomius vermerckt als-
bald den boſſen/ und ſagt zu den Umbſtehenden: Sehet ihr nicht/ wie dieſer
armſeelige Menſch alle ſeine Arbeit deß gantzen Tags dem Teuffel geopffert
habe/ und nichts gewonnen hat/ indem er dadurch mehr den Menſchen/ als
GOtt zu gefallen getrachtet hat? Nach dieſem ſtrafft der gemeldte heilige
Vatter dieſen Geiſtlichen erſt mit Worten hart ab/ und befilcht ihm/ daß er
die zwey Matten vor ſeinen Bruͤdern auff ſeinen Achſelen tragen/ und von
ſelbigen demuͤtiglich begehren ſolte/ ſie moͤgten doch GOtt fuͤr ihn betten/
und ihm Verzeihung erlangen/ daß er die Matten hoͤher/ als das Him-
melreich geſchaͤtzet habe. Hernach hat er ihn in ein enges Cellulein ſo hart
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kom-
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[366/0394] Die Neun und zwantzigſte Geiſtliche Lection ſung und vaͤtterlichen Kuß empfangen/ und ſelbigen an ſeine Seiten ge- ſetzt; auch hat er ihm nach einem langen Geſpraͤch einige Gaben und ſehr haͤuffigen Ablaß mitgetheilet. Ab dieſer ungemeinen Gunſt iſt Juſtinus alſo in ſeinen Gedancken erhoben worden/ daß er von Tag zu Tag uͤbermuͤ- thiger worden/ auch endlich/ weilen er einen ſeiner Bruͤder mit einem Meſ- ſer verletzt hatte/ in den Kercker geworffen worden. Nach dieſer verrichte- ten Buß iſt er in das Neapolitaniſche Koͤnigreich fluͤchtig worden/ indem er ſo groſſe Laſter begangen hat/ daß er derhalben in die Stadt gefaͤnglich eingezogen/ und in den Baͤnden armſeeliglich geſtorben iſt. O entſetzlicher und erſchroͤcklicher Zufall! O grauſame Veraͤnderung! wer ſoll ſich in Be- rachtung dieſes boͤſen Außgangs/ fuͤr der Gunſt der Menſchen nicht billig foͤrchten? waͤre dieſer anfangs heilige Muͤnch nicht alſo gelobt und geehret worden/ ſo wuͤrde er villeicht in ſo groſſes Unheil nicht gerathen ſeyn. Dahe- ro behalten die obgemeldte Wort deß H. Fulgentii ihre Krafft/ daß nemblich der boͤſe Feind den jenigen/ den er mit ſeinen Suͤndẽ nit uͤberwinden kan/ durch frembde Tugenden erlege. Und zwarn in dieſem Fall macht ers/ wie der Vogel Erodius/ welcher auff die Voͤgel/ ſo ſich ins Waſſer ducken/ hinzu- fliehet/ und derſelben Koͤpff ſo lang zerbeiſſet/ biß er ſie uͤber winde/ und alſo gefaͤnglich hinweg nehme. Wann der hoͤlliſche Raub-Vogel ſicht/ daß die Menſchen groſſe Garben der Verdienſten auff dem Acker der Tugenden zuſammen binden/ fliehet er alsbald hinzu/ und ſucht ihnen auff alle moͤg- liche Weiß den geiſtlichen Raub/ vermoͤg der eitelen Ehre zu benennen/ wie ſichs mit obgedachtem Muͤnchen in der That erwieſen hat. 3. Auß den Geiſtlichen deß H Pachomii hat einer einsmahls zwey wei- dene Matten auff einen Tag geflochten/ da er doch mehr nicht/ als zu einer verbunden ware; dieſe hat er auß einen eytelen Ehr dem H. Pachomio und andern zum Beſchauen außgeſtelt. Der kluge Pachomius vermerckt als- bald den boſſen/ und ſagt zu den Umbſtehenden: Sehet ihr nicht/ wie dieſer armſeelige Menſch alle ſeine Arbeit deß gantzen Tags dem Teuffel geopffert habe/ und nichts gewonnen hat/ indem er dadurch mehr den Menſchen/ als GOtt zu gefallen getrachtet hat? Nach dieſem ſtrafft der gemeldte heilige Vatter dieſen Geiſtlichen erſt mit Worten hart ab/ und befilcht ihm/ daß er die zwey Matten vor ſeinen Bruͤdern auff ſeinen Achſelen tragen/ und von ſelbigen demuͤtiglich begehren ſolte/ ſie moͤgten doch GOtt fuͤr ihn betten/ und ihm Verzeihung erlangen/ daß er die Matten hoͤher/ als das Him- melreich geſchaͤtzet habe. Hernach hat er ihn in ein enges Cellulein ſo hart verſchloſſen/ daß er innerhalb fuͤnff Monaten nicht hat doͤrffen hervor- kom-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/394>, abgerufen am 23.11.2024.