Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Die Sechs und Dreyssigste Geistliche Lection verdambt/ nichts kan mir helffen; diweilen ich/ wie ein ander Judas/ unter demverlognen Titul der geistlichen Beruffung Christum gleichsamb mit einem Kuß verrathen hab: Jch hab kein wahre Lieb zu GOtt gehabt; der Fraß und Ehrgeitz haben alle meine Werck verdorben. Der Beichts-Vatter läst nicht nach; sondern bemühet sich/ ihn zu überreden/ daß er auffs wenigst den Nah- men JEsu und Mariä außspreche. Er aber antwortet: Jch kan nicht/ und wan ich schon könte/ so wolt ich doch nit. Bald hernach hat er den Gürtel/ das Agnus Dei sambt dem Rosenkrantz auß den Ermeln herauß geworffen/ und zu jeden Mahl geruffen: ich bin verdambt/ ich bin verdambt. Was Raths suchen allhier die gute Geistliche in so elendem Standt ihres Guardianen? sie eilen zur Kirchen/ werffen sieh vor dem hochheiligen Sacrament deß Altars. nie- der/ seufftzen/ weinen und halten allerinständigst an umb Barmhertzigkeit. Dieweiln der Krancke aber fortfähret zu ruffen: ich bin verdambt/ ich bin ver- dambt; ich bin ein ander Judas gewesen; so hat der Beichtvatter den allerheilig- sten Leib Christi ergriffen/ und ist in Begleitung aller anwesenden Geistlichen mit gewönlichem Pracht zu dem verzweifflenden Menschen gangen/ und hat ihn ermahnet/ er solte zum wenigsten die Göttliche Majestät anbetten und verehren. Er aber hat das Angesicht von dem Heyland der Welt abgewen- det und geruffen; Jch bin verdambt/ ich bin verdambt; ich bin der ander Judas gewesen. Nach diesem hat er noch viel grausamblicher zu heulen und zu ruffen angefangen; und gesagt: in ewigkeit/ in Ewigkeit! und endlich hat er noch einmahl überlaut geruffen/ O in Ewigkeit! und hat also seyn vermeintes geistliche Leben geendiget. Dieses unglückseeligen Menschen Angesicht ist nachmahls so schwartz und grausamblich worden/ daß es allen anschauenden einen Schröcken verursachet hat: die Augen und Mund hat man keines Weegs schliessen können/ sondern seynd gantz ungestalter Weiß allen zusehenden zu einem erschröcklichen Spectacul eröffnet geblieben. Sol- chen Außgang verdient daß abscheuliche Laster deß Fraaß. 4. Soll dann nicht ein jeder mit dem gern zu frieden seyn/ was ihm wird Wehe
Die Sechs und Dreyſſigſte Geiſtliche Lection verdambt/ nichts kan mir helffen; diweilen ich/ wie ein ander Judas/ unter demverlognen Titul der geiſtlichen Beruffung Chriſtum gleichſamb mit einem Kuß verrathen hab: Jch hab kein wahre Lieb zu GOtt gehabt; der Fraß und Ehrgeitz haben alle meine Werck verdorben. Der Beichts-Vatter laͤſt nicht nach; ſondern bemuͤhet ſich/ ihn zu uͤberreden/ daß er auffs wenigſt den Nah- men JEſu und Mariaͤ außſpreche. Er aber antwortet: Jch kan nicht/ und wan ich ſchon koͤnte/ ſo wolt ich doch nit. Bald hernach hat er den Guͤrtel/ das Agnus Dei ſambt dem Roſenkrantz auß den Ermeln herauß geworffen/ und zu jedẽ Mahl geruffen: ich bin verdambt/ ich bin verdambt. Was Raths ſuchen allhier die gute Geiſtliche in ſo elendem Standt ihres Guardianen? ſie eilen zur Kirchen/ werffen ſieh vor dem hochheiligen Sacrament deß Altars. nie- der/ ſeufftzen/ weinen und halten allerinſtaͤndigſt an umb Barmhertzigkeit. Dieweiln der Krancke aber fortfaͤhret zu ruffen: ich bin verdambt/ ich bin ver- dambt; ich bin ein ander Judas geweſen; ſo hat der Beichtvatter den allerheilig- ſten Leib Chriſti ergriffen/ und iſt in Begleitung aller anweſenden Geiſtlichen mit gewoͤnlichem Pracht zu dem verzweifflenden Menſchen gangen/ und hat ihn ermahnet/ er ſolte zum wenigſten die Goͤttliche Majeſtaͤt anbetten und verehren. Er aber hat das Angeſicht von dem Heyland der Welt abgewen- det und geruffen; Jch bin verdambt/ ich bin verdambt; ich bin der ander Judas geweſen. Nach dieſem hat er noch viel grauſamblicher zu heulen und zu ruffen angefangen; und geſagt: in ewigkeit/ in Ewigkeit! und endlich hat er noch einmahl uͤberlaut geruffen/ O in Ewigkeit! und hat alſo ſeyn vermeintes geiſtliche Leben geendiget. Dieſes ungluͤckſeeligen Menſchen Angeſicht iſt nachmahls ſo ſchwartz und grauſamblich worden/ daß es allen anſchauenden einen Schroͤcken verurſachet hat: die Augen und Mund hat man keines Weegs ſchlieſſen koͤnnen/ ſondern ſeynd gantz ungeſtalter Weiß allen zuſehenden zu einem erſchroͤcklichen Spectacul eroͤffnet geblieben. Sol- chen Außgang verdient daß abſcheuliche Laſter deß Fraaß. 4. Soll dann nicht ein jeder mit dem gern zu frieden ſeyn/ was ihm wird Wehe
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Die Sechs und Dreyſſigſte Geiſtliche Lection
verdambt/ nichts kan mir helffen; diweilen ich/ wie ein ander Judas/ unter dem
verlognen Titul der geiſtlichen Beruffung Chriſtum gleichſamb mit einem
Kuß verrathen hab: Jch hab kein wahre Lieb zu GOtt gehabt; der Fraß und
Ehrgeitz haben alle meine Werck verdorben. Der Beichts-Vatter laͤſt nicht
nach; ſondern bemuͤhet ſich/ ihn zu uͤberreden/ daß er auffs wenigſt den Nah-
men JEſu und Mariaͤ außſpreche. Er aber antwortet: Jch kan nicht/ und
wan ich ſchon koͤnte/ ſo wolt ich doch nit. Bald hernach hat er den Guͤrtel/ das
Agnus Dei ſambt dem Roſenkrantz auß den Ermeln herauß geworffen/ und zu
jedẽ Mahl geruffen: ich bin verdambt/ ich bin verdambt. Was Raths ſuchen
allhier die gute Geiſtliche in ſo elendem Standt ihres Guardianen? ſie eilen
zur Kirchen/ werffen ſieh vor dem hochheiligen Sacrament deß Altars. nie-
der/ ſeufftzen/ weinen und halten allerinſtaͤndigſt an umb Barmhertzigkeit.
Dieweiln der Krancke aber fortfaͤhret zu ruffen: ich bin verdambt/ ich bin ver-
dambt; ich bin ein ander Judas geweſen; ſo hat der Beichtvatter den allerheilig-
ſten Leib Chriſti ergriffen/ und iſt in Begleitung aller anweſenden Geiſtlichen
mit gewoͤnlichem Pracht zu dem verzweifflenden Menſchen gangen/ und hat
ihn ermahnet/ er ſolte zum wenigſten die Goͤttliche Majeſtaͤt anbetten und
verehren. Er aber hat das Angeſicht von dem Heyland der Welt abgewen-
det und geruffen; Jch bin verdambt/ ich bin verdambt; ich bin der ander
Judas geweſen. Nach dieſem hat er noch viel grauſamblicher zu heulen und
zu ruffen angefangen; und geſagt: in ewigkeit/ in Ewigkeit! und endlich
hat er noch einmahl uͤberlaut geruffen/ O in Ewigkeit! und hat alſo ſeyn
vermeintes geiſtliche Leben geendiget. Dieſes ungluͤckſeeligen Menſchen
Angeſicht iſt nachmahls ſo ſchwartz und grauſamblich worden/ daß es allen
anſchauenden einen Schroͤcken verurſachet hat: die Augen und Mund hat
man keines Weegs ſchlieſſen koͤnnen/ ſondern ſeynd gantz ungeſtalter Weiß
allen zuſehenden zu einem erſchroͤcklichen Spectacul eroͤffnet geblieben. Sol-
chen Außgang verdient daß abſcheuliche Laſter deß Fraaß.
4. Soll dann nicht ein jeder mit dem gern zu frieden ſeyn/ was ihm wird
vorgelegt; da wir in Erfahrung kommen/ daß die Schlaucherey ſonderbahr
bey den Geiſtlichen ein ſolches Greuel in den Augen GOttes ſeye? O wie
viele werden nicht unter den weltlichen Leuten gefunden/ die nicht wiſſen was
Hunger ſeye? die ſich immer und dergeſtalt erſaͤttigt halten/ daß es ſie ſchier
niemahlen huͤngert; denen es unmoͤglich ſcheinet/ anders/ als mit vollem
Bauch zu ſchlaffen; und ſollen jedoch nicht vermeinen/ daß ſie unter die
Zahl der jenigen gehoͤren/ denen Chriſtus mit dieſen Worten gedreuet hat:
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