Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Deß innerlichen Gebetts. alsdan von der unendlichen Gerechtigkeit Gottes; von den Sünden deßvergangenen Lebens/ von den Straffen/ durch welche die Sünder gezüchti- get worden/ &c: immer und allzeit betrachten. Der andere Betrug/ so viel die Weiß zu betrachten belanget/ ist dieser; wann du den ordinari Ge- brauch zu betrachten verwerffest/ und ohne einige der obgemelten Vorberei- tungen/ zur Betrachtung/ gleich wie ein Schneider auff die Taffel springest. Der dritte Betrug bestehet darin/ wann du nemblich deinen eigenen Kräfften zu viel trawest. &c. Der Vierte Betrug entstehet daher; wann du das wahre Ziel und End der Betrachtung verfehlest: welches dann geschehen kan/ erstlich/ wann du durch die arglistige Griff deß bösen Feinds bezaubert/ zu keinen wahren und Gottgefälligen Tugenten zu er- langen/ dich auffmunterest; sonderen nur scheinbare/ oder unter dem Schein der Tugendt/ gute Tugenten zu erhalten trachtest. Zum Exempel: du vernachlässigest die Abtödtungen unterm Schein der Diseretion oder Be- scheidenheit: oder du lassest fahren die eusserliche Tugenten/ damit bey den Leuten nicht angesehen werdest: oder du unterhaltest geheimbe/ sinnliche und gefährliche freundschafften unterm Schein der brüderlichen Liebe. Oder wan du nachlässig bist im Steigen zur Vollkommenheit/ unterm Schein/ daß du die Ehr Gottes füglicher und nützlicher beförderen könnest an anderen. Oder wan du ein hohes Ambt verlangest/ unterm Schein/ daß du in solchem grösseren Nutzen bey anderen schaffen mögest. Oder wann du in denen Dingen allein den schüldigen Gehorsamb leistest/ welche dir zu vollbringen angenehmb/ und der menschlichen Vernunfft gemäß seynd/ unterm Schein einer Weißheit/ Bescheidenheit und Eiffer der Tugenten. Zum ande- ren verfehlestu das wahre Ziel und End der Betrachtung/ wann du durch den List deß bösen Feindts verführet/ unterm Schein eines grösseren und besseren Guts/ andere/ wiewohl sehr verdienstliche Affecten in dir erweckest/ so da in dem Stand deines Beruffs nicht können ins Werck gerichtet wer- den/ als nur mit schädlicher Unruhe deines Hertzen/ und augenscheinlicher Gefahr der Verderbnuß. Zum Exempel; du hast ein einsames Leben erwehlet; und wilst nun unterm Praetext eines Seelen-Eiffers/ in Gefahr daß du deine eigene Beruffung verlassen werdest/ von deiner Einsamkeit zur Welt oder villeicht zur Höllen dich wenden. Diese und dergleichen Gedancken und Neigungen mustu gäntzlich fahren lassen/ wann du in den Betrachtungen nicht wilst betrogen werden. Von den Mittelen wider den Betrug. Gegen die erste Art deß Betrugs/ so viel die Materi der Be- O o o 3
Deß innerlichen Gebetts. alsdan von der unendlichen Gerechtigkeit Gottes; von den Suͤnden deßvergangenen Lebens/ von den Straffen/ durch welche die Suͤnder gezuͤchti- get worden/ &c: immer und allzeit betrachten. Der andere Betrug/ ſo viel die Weiß zu betrachten belanget/ iſt dieſer; wann du den ordinari Ge- brauch zu betrachten verwerffeſt/ und ohne einige der obgemelten Vorberei- tungen/ zur Betrachtung/ gleich wie ein Schneider auff die Taffel ſpringeſt. Der dritte Betrug beſtehet darin/ wann du nemblich deinen eigenen Kraͤfften zu viel traweſt. &c. Der Vierte Betrug entſtehet daher; wann du das wahre Ziel und End der Betrachtung verfehleſt: welches dann geſchehen kan/ erſtlich/ wann du durch die argliſtige Griff deß boͤſen Feinds bezaubert/ zu keinen wahren und Gottgefaͤlligen Tugenten zu er- langen/ dich auffmuntereſt; ſonderen nur ſcheinbare/ oder unter dem Schein der Tugendt/ gute Tugenten zu erhalten trachteſt. Zum Exempel: du vernachlaͤſſigeſt die Abtoͤdtungen unterm Schein der Diſeretion oder Be- ſcheidenheit: oder du laſſeſt fahren die euſſerliche Tugenten/ damit bey den Leuten nicht angeſehen werdeſt: oder du unterhalteſt geheimbe/ ſinnliche und gefaͤhrliche freundſchafften unterm Schein der bruͤderlichen Liebe. Oder wan du nachlaͤſſig biſt im Steigen zur Vollkommenheit/ unterm Schein/ daß du die Ehr Gottes fuͤglicher und nuͤtzlicher befoͤrderen koͤnneſt an anderen. Oder wan du ein hohes Ambt verlangeſt/ unterm Schein/ daß du in ſolchem groͤſſeren Nutzen bey anderen ſchaffen moͤgeſt. Oder wann du in denen Dingen allein den ſchuͤldigen Gehorſamb leiſteſt/ welche dir zu vollbringen angenehmb/ und der menſchlichen Vernunfft gemaͤß ſeynd/ unterm Schein einer Weißheit/ Beſcheidenheit und Eiffer der Tugenten. Zum ande- ren verfehleſtu das wahre Ziel und End der Betrachtung/ wann du durch den Liſt deß boͤſen Feindts verfuͤhret/ unterm Schein eines groͤſſeren und beſſeren Guts/ andere/ wiewohl ſehr verdienſtliche Affecten in dir erweckeſt/ ſo da in dem Stand deines Beruffs nicht koͤnnen ins Werck gerichtet wer- den/ als nur mit ſchaͤdlicher Unruhe deines Hertzen/ und augenſcheinlicher Gefahr der Verderbnuß. Zum Exempel; du haſt ein einſames Leben erwehlet; und wilſt nun unterm Prætext eines Seelen-Eiffers/ in Gefahr daß du deine eigene Beruffung verlaſſen werdeſt/ von deiner Einſamkeit zur Welt oder villeicht zur Hoͤllen dich wenden. Dieſe und dergleichen Gedancken und Neigungen muſtu gaͤntzlich fahren laſſen/ wann du in den Betrachtungen nicht wilſt betrogen werden. Von den Mittelen wider den Betrug. Gegen die erſte Art deß Betrugs/ ſo viel die Materi der Be- O o o 3
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Deß innerlichen Gebetts.
alsdan von der unendlichen Gerechtigkeit Gottes; von den Suͤnden deß
vergangenen Lebens/ von den Straffen/ durch welche die Suͤnder gezuͤchti-
get worden/ &c: immer und allzeit betrachten. Der andere Betrug/
ſo viel die Weiß zu betrachten belanget/ iſt dieſer; wann du den ordinari Ge-
brauch zu betrachten verwerffeſt/ und ohne einige der obgemelten Vorberei-
tungen/ zur Betrachtung/ gleich wie ein Schneider auff die Taffel ſpringeſt.
Der dritte Betrug beſtehet darin/ wann du nemblich deinen eigenen
Kraͤfften zu viel traweſt. &c. Der Vierte Betrug entſtehet daher;
wann du das wahre Ziel und End der Betrachtung verfehleſt: welches dann
geſchehen kan/ erſtlich/ wann du durch die argliſtige Griff deß boͤſen
Feinds bezaubert/ zu keinen wahren und Gottgefaͤlligen Tugenten zu er-
langen/ dich auffmuntereſt; ſonderen nur ſcheinbare/ oder unter dem Schein
der Tugendt/ gute Tugenten zu erhalten trachteſt. Zum Exempel: du
vernachlaͤſſigeſt die Abtoͤdtungen unterm Schein der Diſeretion oder Be-
ſcheidenheit: oder du laſſeſt fahren die euſſerliche Tugenten/ damit bey den
Leuten nicht angeſehen werdeſt: oder du unterhalteſt geheimbe/ ſinnliche und
gefaͤhrliche freundſchafften unterm Schein der bruͤderlichen Liebe. Oder wan
du nachlaͤſſig biſt im Steigen zur Vollkommenheit/ unterm Schein/ daß du
die Ehr Gottes fuͤglicher und nuͤtzlicher befoͤrderen koͤnneſt an anderen.
Oder wan du ein hohes Ambt verlangeſt/ unterm Schein/ daß du in ſolchem
groͤſſeren Nutzen bey anderen ſchaffen moͤgeſt. Oder wann du in denen
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angenehmb/ und der menſchlichen Vernunfft gemaͤß ſeynd/ unterm Schein
einer Weißheit/ Beſcheidenheit und Eiffer der Tugenten. Zum ande-
ren verfehleſtu das wahre Ziel und End der Betrachtung/ wann du durch
den Liſt deß boͤſen Feindts verfuͤhret/ unterm Schein eines groͤſſeren und
beſſeren Guts/ andere/ wiewohl ſehr verdienſtliche Affecten in dir erweckeſt/
ſo da in dem Stand deines Beruffs nicht koͤnnen ins Werck gerichtet wer-
den/ als nur mit ſchaͤdlicher Unruhe deines Hertzen/ und augenſcheinlicher
Gefahr der Verderbnuß. Zum Exempel; du haſt ein einſames Leben erwehlet;
und wilſt nun unterm Prætext eines Seelen-Eiffers/ in Gefahr daß du deine
eigene Beruffung verlaſſen werdeſt/ von deiner Einſamkeit zur Welt oder
villeicht zur Hoͤllen dich wenden. Dieſe und dergleichen Gedancken und
Neigungen muſtu gaͤntzlich fahren laſſen/ wann du in den Betrachtungen
nicht wilſt betrogen werden.
Von den Mittelen wider den Betrug.
Gegen die erſte Art deß Betrugs/ ſo viel die Materi der
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Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/505>, abgerufen am 29.06.2024. |