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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Zwey und Viertzigste Geistliche Lection
wird man sehr grosse Andacht und Süssigkeit im Gebet/ und sehr aunehm-
liche Leichterung und Liebe zum Studiren empfinden.

Historia.
ex S. An-
tonino
Archi-
Ep.

5. Auff daß wir nun unsere angefangene Lection mit gewünschtem Nu-
tzen mögen fortsetzen; so wollen wir eine noch nit sehr gemeine Histori allhier
lassen an Tag kommen. Zu Patavia ware auß dem Orden deß H. Fran-
eisei ein sehr gelehrter und Gottseeliger Mann/ dessen Ambt erforderte/ daß
er zu der Fasten-Zeit dem Volck zu predigen pflegte. Es hat sich aber
einmals zugetragen/ daß er am vorigen Tag der folgenden Predig sehr un-
päßlich/ und zum Predigen unbequem worden. Hierüber kombt ungefchr
ein Frembdling/ aber desselbigen Ordens Geistlicher zum Kloster an/ und
sagt/ daß er Vorhabens seye nach Laureto zu reisen/ und die fürnembste
Städte in Jtalien zu besehen. Dieser aber ware groß und auffrecht von
Leib/ mit einer erstarreten Stirn/ mit glintzenden Augen/ sonsten mit sehr
weissem Mund/ und nicht unebenem schwartzen Bard versehen/ daß also die
Geistliche deß GOttes - Haußes darfür gehalten/ selbiger wurde die Stell
deß erkränckten Predigers zu vertretten bequem seyn/ derhalben haben sie
ihn ersucht/ er mögte doch im GOttes - Hauß deß H. Antonii/ dem hauffig
zulauffenden Volck am morgigen Tag predigen. Dieser Frembdling hat
sich anfänglich entschuldiget/ daß er nichts zum Predigen/ sondern was er
auffm Weeg nöthig haben würde/ mit sich genommen; daß er auch in zweyen
Jahren/ wegen eingefallener Kranckheit nit geprediget habe und andere solche
Entschuldigungen hat dieser vermeinte Frembdling vor gebracht/ daß man
auß allem dessen grosse Gelehrheit gnugsamb ermessen können: dahero hat
man ihm weiters zugesetzt/ und endlich die Resolution zum Predigen erhal-
ten. Was geschicht? Dieser auschnliche Mann steigt zur ge[k]önlichen
Stund auff die Cantzel/ und prediget daselbst/ mit ungemeiner Auffmerck-
sambkeit und grosser Verwunderung aller Zuhörer/ zwey gantze Stund lang
dermassen fruchtbarlich von den erschröcklichen Peinen der Verdambten/
daß alle anwesende insgesambt der häuffig fliessenden Zähren sich unmög-
lich haben enthalten können/ ja auch viele dergestalt kläglich geseuffzet/ daß
man hätte vermeinen sollen/ diese Scuffzer würden die Wolcken durchtrin-
gen. Keiner ware/ der nach geendigter Predig nicht mit hauffigen Zähren/
und mit Forcht der Höllen/ gleich wie einem Pfeil durchschossen nach Hauß
gienge: dahero ist der neue Prediger auch von jederman in grossen Ehren
gehalten worden. Da selbiger aber sein angefangene Reiß hat fortsetzen

wollen:

Die Zwey und Viertzigſte Geiſtliche Lection
wird man ſehr groſſe Andacht und Suͤſſigkeit im Gebet/ und ſehr aunehm-
liche Leichterung und Liebe zum Studiren empfinden.

Hiſtoria.
ex S. An-
tonino
Archi-
Ep.

5. Auff daß wir nun unſere angefangene Lection mit gewuͤnſchtem Nu-
tzen moͤgen fortſetzen; ſo wollen wir eine noch nit ſehr gemeine Hiſtori allhier
laſſen an Tag kommen. Zu Patavia ware auß dem Orden deß H. Fran-
eiſei ein ſehr gelehrter und Gottſeeliger Mann/ deſſen Ambt erforderte/ daß
er zu der Faſten-Zeit dem Volck zu predigen pflegte. Es hat ſich aber
einmals zugetragen/ daß er am vorigen Tag der folgenden Predig ſehr un-
paͤßlich/ und zum Predigen unbequem worden. Hieruͤber kombt ungefchr
ein Frembdling/ aber deſſelbigen Ordens Geiſtlicher zum Kloſter an/ und
ſagt/ daß er Vorhabens ſeye nach Laureto zu reiſen/ und die fuͤrnembſte
Staͤdte in Jtalien zu beſehen. Dieſer aber ware groß und auffrecht von
Leib/ mit einer erſtarreten Stirn/ mit glintzenden Augen/ ſonſten mit ſehr
weiſſem Mund/ und nicht unebenem ſchwartzen Bard verſehen/ daß alſo die
Geiſtliche deß GOttes - Haußes darfuͤr gehalten/ ſelbiger wurde die Stell
deß erkraͤnckten Predigers zu vertretten bequem ſeyn/ derhalben haben ſie
ihn erſucht/ er moͤgte doch im GOttes - Hauß deß H. Antonii/ dem hauffig
zulauffenden Volck am morgigen Tag predigen. Dieſer Frembdling hat
ſich anfaͤnglich entſchuldiget/ daß er nichts zum Predigen/ ſondern was er
auffm Weeg noͤthig haben wuͤrde/ mit ſich genommen; daß er auch in zweyen
Jahren/ wegen eingefallener Kranckheit nit geprediget habe und andere ſolche
Entſchuldigungen hat dieſer vermeinte Frembdling vor gebracht/ daß man
auß allem deſſen groſſe Gelehrheit gnugſamb ermeſſen koͤnnen: dahero hat
man ihm weiters zugeſetzt/ und endlich die Reſolution zum Predigen erhal-
ten. Was geſchicht? Dieſer auſchnliche Mann ſteigt zur ge[k]oͤnlichen
Stund auff die Cantzel/ und prediget daſelbſt/ mit ungemeiner Auffmerck-
ſambkeit und groſſer Verwunderung aller Zuhoͤrer/ zwey gantze Stund lang
dermaſſen fruchtbarlich von den erſchroͤcklichen Peinen der Verdambten/
daß alle anweſende insgeſambt der haͤuffig flieſſenden Zaͤhren ſich unmoͤg-
lich haben enthalten koͤnnen/ ja auch viele dergeſtalt klaͤglich geſeuffzet/ daß
man haͤtte vermeinen ſollen/ dieſe Scuffzer wuͤrden die Wolcken durchtrin-
gen. Keiner ware/ der nach geendigter Predig nicht mit hauffigen Zaͤhren/
und mit Forcht der Hoͤllen/ gleich wie einem Pfeil durchſchoſſen nach Hauß
gienge: dahero iſt der neue Prediger auch von jederman in groſſen Ehren
gehalten worden. Da ſelbiger aber ſein angefangene Reiß hat fortſetzen

wollen:
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[548/0576] Die Zwey und Viertzigſte Geiſtliche Lection wird man ſehr groſſe Andacht und Suͤſſigkeit im Gebet/ und ſehr aunehm- liche Leichterung und Liebe zum Studiren empfinden. 5. Auff daß wir nun unſere angefangene Lection mit gewuͤnſchtem Nu- tzen moͤgen fortſetzen; ſo wollen wir eine noch nit ſehr gemeine Hiſtori allhier laſſen an Tag kommen. Zu Patavia ware auß dem Orden deß H. Fran- eiſei ein ſehr gelehrter und Gottſeeliger Mann/ deſſen Ambt erforderte/ daß er zu der Faſten-Zeit dem Volck zu predigen pflegte. Es hat ſich aber einmals zugetragen/ daß er am vorigen Tag der folgenden Predig ſehr un- paͤßlich/ und zum Predigen unbequem worden. Hieruͤber kombt ungefchr ein Frembdling/ aber deſſelbigen Ordens Geiſtlicher zum Kloſter an/ und ſagt/ daß er Vorhabens ſeye nach Laureto zu reiſen/ und die fuͤrnembſte Staͤdte in Jtalien zu beſehen. Dieſer aber ware groß und auffrecht von Leib/ mit einer erſtarreten Stirn/ mit glintzenden Augen/ ſonſten mit ſehr weiſſem Mund/ und nicht unebenem ſchwartzen Bard verſehen/ daß alſo die Geiſtliche deß GOttes - Haußes darfuͤr gehalten/ ſelbiger wurde die Stell deß erkraͤnckten Predigers zu vertretten bequem ſeyn/ derhalben haben ſie ihn erſucht/ er moͤgte doch im GOttes - Hauß deß H. Antonii/ dem hauffig zulauffenden Volck am morgigen Tag predigen. Dieſer Frembdling hat ſich anfaͤnglich entſchuldiget/ daß er nichts zum Predigen/ ſondern was er auffm Weeg noͤthig haben wuͤrde/ mit ſich genommen; daß er auch in zweyen Jahren/ wegen eingefallener Kranckheit nit geprediget habe und andere ſolche Entſchuldigungen hat dieſer vermeinte Frembdling vor gebracht/ daß man auß allem deſſen groſſe Gelehrheit gnugſamb ermeſſen koͤnnen: dahero hat man ihm weiters zugeſetzt/ und endlich die Reſolution zum Predigen erhal- ten. Was geſchicht? Dieſer auſchnliche Mann ſteigt zur gekoͤnlichen Stund auff die Cantzel/ und prediget daſelbſt/ mit ungemeiner Auffmerck- ſambkeit und groſſer Verwunderung aller Zuhoͤrer/ zwey gantze Stund lang dermaſſen fruchtbarlich von den erſchroͤcklichen Peinen der Verdambten/ daß alle anweſende insgeſambt der haͤuffig flieſſenden Zaͤhren ſich unmoͤg- lich haben enthalten koͤnnen/ ja auch viele dergeſtalt klaͤglich geſeuffzet/ daß man haͤtte vermeinen ſollen/ dieſe Scuffzer wuͤrden die Wolcken durchtrin- gen. Keiner ware/ der nach geendigter Predig nicht mit hauffigen Zaͤhren/ und mit Forcht der Hoͤllen/ gleich wie einem Pfeil durchſchoſſen nach Hauß gienge: dahero iſt der neue Prediger auch von jederman in groſſen Ehren gehalten worden. Da ſelbiger aber ſein angefangene Reiß hat fortſetzen wollen:

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/576>, abgerufen am 22.11.2024.